Künstliche Intelligenz in der Medizin

KI erkennt Krankheiten an Immunzell-Rezeptoren

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Dies haben Maxim Zaslavsky von der US-Stanford University und seine Co-Autoren in der Wissenschaftszeitschrift "Science" berichtet. Die Krankheiten werden an der Gensequenz der Rezeptoren der Immunzellen abgelesen.

Derzeit wird eine Infektionskrankheit meist anhand der Erreger als Ursache diagnostiziert. Dies erfordert oft eine langwierige Analyse, da zunächst eine Kultur angelegt und ausgewertet werden muss. Auch Antikörperreaktionen setzen häufig erst mit Verzögerung ein. Bei Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes erfolgt die Diagnose anhand der Stoffwechselveränderungen, während sie bei Rheuma mit erheblicher Unsicherheit anhand einer Kombination zahlreicher Symptome und Laborwerte (wie den Rheumafaktoren) gestellt wird.

Suche nach spezifischen Rezeptor-Eigenschaften

Die Wissenschaftler, darunter auch Experten des Tropeninstituts der Universität Basel, verfolgten einen neuen Ansatz: Krankheiten rufen spezifische Reaktionen des Immunsystems hervor. Dabei bilden B- und T-Immunzellen jeweils einzigartige Rezeptoren aus. Die zentrale Idee der Forscher: Anhand dieser Rezeptoren könnte ermittelt werden, mit welchen Erregern oder Krankheitsprozessen das körpereigene Abwehrsystem aktuell konfrontiert ist.

KI-System mit 30 Millionen Datenpaketen gefüttert

Die Forscher sequenzierten deshalb bei Patienten mit Infektionen oder Autoimmunerkrankungen bestimmte Teile in den Genen für die B- und T-Zell-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind essenziell für die Erkennung von Krankheitserregern, können jedoch bei Autoimmunerkrankungen fehlgeleitete Abwehrreaktionen gegen körpereigenes Gewebe auslösen. Um typische Muster dieser Rezeptorveränderungen zu identifizieren, entwickelten die Wissenschaftler die KI-gestützte Software Mal-ID („Machine Learning for Immunological Diagnosis“), die spezifische Veränderungen in den Immunzellen für bestimmte Krankheiten erkennen soll.

"In einer Pilotstudie hat Mal-ID die Sequenzdaten von 16,2 Millionen B-Zell-Rezeptoren und 23,5 Millionen T-Zell-Rezeptoren ausgewertet. Sie stammten aus Blutproben von 593 Personen, von denen 63 mit SARS-CoV-2 und 95 mit dem HI-Virus infiziert waren", berichtete dazu das Deutsche Ärzteblatt. 86 der Probanden hätten an einer Autoimmunerkrankung (Lupus erythematodes), 92 an Typ-1-Diabetes (ebenfalls eine Autoimmunerkrankung) gelitten. 37 Probanden waren gegen die Influenza geimpft worden. 217 Testpersonen bildeten als nicht Betroffene die Kontrollgruppe.

Fast hundertprozentige Genauigkeit

Das Ergebnis: Mal-ID erkannte die einzelnen Erkrankungen – darunter SARS-CoV-2-Infektionen, HIV, Lupus und Typ-1-Diabetes – sowie eine vorherige Influenza-Impfung mit einer nahezu hundertprozentigen Sensitivität (korrekte Identifikation Betroffener) und Spezifität (Ausschluss einer Erkrankung bei Nichtbetroffenen). Dabei zeigte sich ein Unterschied je nach Art der Erkrankung: Die Gensequenzen der B-Zell-Rezeptoren identifizierten HIV- und Covid-19-Infektionen sowie die Influenza-Impfung, während die T-Zell-Rezeptoren für die Erkennung von Lupus erythematodes und Typ-1-Diabetes ausschlaggebend waren.

"Da die Kosten für die Sequenzierung von Genen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sind, könnte das Verfahren für die klinische Diagnostik interessant werden. Dies gilt insbesondere für Autoimmunerkrankungen, die oft erst nach einer monate- bis jahrelangen Suche diagnostiziert werden", schrieb dazu das Deutsche Ärzteblatt.

Algorithmus leicht adaptierbar

Obwohl Mal-ID bisher nur für sechs Krankheiten bzw. immunologische Zustände (darunter eine Impfung) entwickelt wurde, sind die Forscher zuversichtlich, dass der Algorithmus schnell erweitert werden kann. Sie gehen davon aus, dass er auch immunologische Signaturen anderer Erkrankungen zuverlässig erkennen kann – insbesondere bei komplexen Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis (chronische Polyarthritis).

"Patienten müssen oft jahrelang kämpfen, bevor sie eine Diagnose erhalten, und selbst dann sind die Namen, die wir diesen Krankheiten geben, wie Oberbegriffe, welche die biologische Vielfalt hinter komplexen Krankheiten übersehen", sagte Zaslavsky. "Wenn wir Mal-ID nutzen könnten, um die Heterogenität hinter Lupus oder rheumatoider Arthritis zu entschlüsseln, hätte das große Auswirkungen."


APA

Studie

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