Polymyalgia rheumatica

Wie aus dem Nichts

Mag. pharm. Sieglinde  PLASONIG
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Charakteristisch für die Polymyalagia rheumatica sind ausgeprägte Schmerzen, die einem Muskelkater ähneln und sich in kurzer Zeit entwickeln. © Shutterstock
Charakteristisch für die Polymyalagia rheumatica sind ausgeprägte Schmerzen, die einem Muskelkater ähneln und sich in kurzer Zeit entwickeln. © Shutterstock

Sie dürfte weit weniger bekannt sein als die Rheumatoide Arthritis, ist aber dennoch die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung des höheren Lebensalters: die Polymyalgia rheumatica (PMR). Sie betrifft fast ausschließlich Menschen über 50 Jahre, der Altersgipfel liegt um die 70. Wie bei vielen Autoimmunerkrankungen sind Frauen stärker gefährdet als Männer – sie sind etwa dreimal so häufig betroffen.

Epidemiologie

In Österreich werden jährlich zwischen 1.600 und 4.000 Neuerkrankungen pro Jahr diagnostiziert; und es bleibt oft nicht bei Muskelschmerzen und Steifigkeit: In etwa 10–20 % der Fälle ist die Krankheit mit einer gefährlichen Entzündung der Schläfenarterie vergesellschaftet, einer sog. Riesenzellarteriitis (siehe Kasten unten). Unbehandelt droht hier die irreversible Erblindung durch einen Verschluss des Gefäßes. Es besteht keine einheitliche Meinung darüber, ob PMR und Riesenzellarteriitis zwei unterschiedliche Erkrankungen sind oder Ausprägungen ein und desselben Krankheitsprozesses. Möglicherweise handelt es sich bei der PMR um eine frühe, subklinische Vaskulitis.

Häufige Komorbidität
Riesenzellarteriitis

Die Polymyalgia rheumatica ist überzufällig häufig mit einer Entzündung größerer Gefäße – insbesondere der Schläfenarterie (Arteria temporalis) – verbunden. 

Symptome einer solchen Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis) sind Kopfschmerzen, Druckempfindlichkeit, vermehrtes Hervortreten der Schläfenarterie, Schmerzen beim Kauen oder flüchtige Sehstörungen. Solche Beschwerden müssen unverzüglich ärztlich abgeklärt werden. Bereits bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis muss umgehend eine hochdosierte Glucocorticoid-Therapie begonnen werden, da ein erhebliches Risiko einer plötzlichen, irreversiblen 
Erblindung besteht.


Symptomatik

Charakteristisch für die PMR sind ausgeprägte Schmerzen, die einem Muskelkater ähneln und sich in kurzer Zeit entwickeln (innerhalb weniger Tage bis zwei Wochen oder buchstäblich „über Nacht“). Die Beschwerden sind typischerweise symmetrisch und betreffen besonders häufig den Nacken, die Schultern und Oberarme. Die Betroffenen klagen über Steifigkeit, Schwäche und eine Einschränkung ihrer Mobilität. Tätigkeiten, die das Anheben der Arme erfordern, können schwierig werden – sogar das Zähneputzen, Rasieren oder Haarewaschen. 

Weitere häufig betroffene Regionen sind die Hüften, Oberschenkel und die Lendenwirbelsäule. Dies führt zu Problemen beim Treppensteigen oder beim Aufstehen aus dem Sitzen. Die Schmerzen sind sowohl in Ruhe als auch bei Bewegung vorhanden und verändern sich im Tagesverlauf wenig. Wenn es Schwankungen gibt, so sind die Schmerzen in der zweiten Nachthälfte und morgens am stärksten. In einigen Fällen finden sich auch geschwollene Gelenke und Tenosyovitiden.

Zusätzlich leiden viele Betroffene auch unter Allgemeinsymptomen: Sie fühlen sich abgeschlagen und antriebsschwach, entwickeln Fieber und schwitzen vermehrt. Manche leiden unter Appetitmangel und verlieren an Gewicht. Mit dem Krankheitsbeginn kann sich auch abrupt eine depressive Verstimmung einstellen, die sich mit Therapiebeginn wieder legt. 

Ätiopathogenese

Die Ursachen der Polymyalgia rheumatica sind nicht geklärt. Ins Spiel gebracht werden genetische Faktoren, ein möglicher Zusammenhang mit Infektionen, Alterungsprozesse des Immun- und Gefäßsystems sowie Störungen endokriner Achsen. 

Diagnostik 

Es existiert kein spezifischer Nachweis für die PMR. In der Diagnostik ist daher die Klinik des Patienten/der Patientin sehr bedeutsam ‒ und auch der Ausschluss von Differenzialdiagnosen mit ähnlicher Symptomatik. In Betracht gezogen werden müssen etwa eine Rheumatoide Arthritis mit Weichteilbeteiligung, Myositiden, bösartige Tumoren, eine Fibromyalgie und Virusinfektionen. Im Labor zeigen sich bei der PMR normalerweise eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und ein erhöhter CRP-Wert (C-reaktives Protein) als unspezifische Marker der Entzündungsaktivität. Diese Werte werden auch zum Verfolgen des Therapieverlaufs herangezogen.

Im Labor zeigen sich bei der PMR normalerweise eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und ein erhöhter CRP-Wert als unspezifische Marker der Entzündungsaktivität. © Shutterstock
Im Labor zeigen sich bei der PMR normalerweise eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und ein erhöhter CRP-Wert als unspezifische Marker der Entzündungsaktivität. © Shutterstock

Therapie

Das Mittel der Wahl in der Behandlung der PMR ist die Therapie mit Glucocorticoiden. Es gilt der Grundsatz „so hoch wie nötig, so niedrig wie möglich“. Die Initialdosis beträgt gemäß Leitlinie dabei zumeist zwischen 15 und 25 mg Prednison-Äquivalent pro Tag (entspricht 15–25 mg Prednisolon). Initialdosen ≤ 7,5 mg oder über 30 mg pro Tag sollten vermieden werden. Die Wirkung der Glucocorticoide tritt im Normalfall sehr rasch ein und ist für die Betroffenen ganz klar spürbar (sie können ihre Beschwerden sogar als „wie weggeblasen“ empfinden). Der Effekt der Glucocorticoide bei der PMR ist dermaßen charakteristisch, dass bei fehlender Besserung sogar die Diagnose überdacht werden muss. 

Glucocorticoide sollten in der Behandlung der PMR oral angewendet werden. Die intramuskuläre Anwendung von Methylprednisolon wäre zwar ebenfalls wirksam, ist aber unüblich. Empfohlen ist die orale Gabe als morgendliche Einzeldosis (u. a., um die zirkadiane Rhythmik nicht zu beeinträchtigen und Schlafstörungen zu vermeiden). In speziellen Situationen kann aber auch auf eine geteilte Dosis umgestellt werden ‒ etwa dann, wenn während der Reduktion der Glucocorticoid-Dosis im Bereich unterhalb von 5 mg/d Prednison-Äquivalent nächtliche Schmerzen auftreten. 

Im Therapieverlauf wird die Glucocorticoid-Dosis nun kontinuierlich reduziert. Die Ärztin bzw. der Arzt richtet sich dabei nach der Symptomatik des Patienten/der Patientin, den Entzündungswerten und allenfalls auftretenden Nebenwirkungen der Glucocorticoid-Therapie. Wenn von einer höheren Initialdosis ausgegangen wurde (z. B. 25 mg), kann im Allgemeinen etwas rascher reduziert werden als bei niedrigeren Initialdosen.

Gemäß der Leitlinie sollte bei der initialen Reduktion möglichst eine Dosis von 10 mg/d Prednison-Äquivalent innerhalb von vier bis acht Wochen erreicht werden. Danach wird die tägliche Dosis weiter um 1 mg alle vier Wochen bis zum Absetzen reduziert. Flammt dabei die Krankheit wieder auf, so wird die Zufuhr wieder erhöht – zumindest bis auf jene Dosis, bei der die Betroffenen zuletzt beschwerdefrei waren. Danach wird innerhalb von vier bis acht Wochen neuerlich reduziert auf die Dosis, bei der das Rezidiv auftrat.

Methotrexat als Zusatz

Methotrexat (MTX) kann bei der Polymyalgia rheumatica zusätzlich zur Behandlung mit Glucocorticoiden eingesetzt werden. Die Entscheidung, ob MTX zum Einsatz kommt oder nicht, wird von Fall zu Fall individuell gefällt. So wird es etwa dann verwendet, wenn der/die Betroffene

  • ein hohes Risiko für Rezidive hat oder eine lange Therapiedauer zu erwarten ist,
  • auf Glucocorticoide nicht ausreichend angesprochen oder Glucocorticoid-induzierte Nebenwirkungen entwickelt hat,
  • Begleiterkrankungen oder Begleitmedikamente aufweist, die das
    Auftreten von Glucocorticoid-induzierten Nebenwirkungen wahrscheinlicher machen (Glucocorticoid-sparender Effekt).

Warum nicht NSAR oder TNF-α-Blocker?

Viele Patientinnen und Patienten sind verständlicherweise skeptisch gegen langandauernde Glucocorticoid-Therapien. NSAR bringen bei der Polymyalgia rheumatica jedoch keine wesentliche Linderung und stellen daher keine echte Therapiealternative dar. Die Leitlinie weist darauf hin, dass NSAR nicht zur Therapie der PMR eingesetzt werden sollen, da das Nebenwirkungsrisiko größer ist als der meist geringe therapeutische Nutzen. Sie kommen nur bei milden Verlaufsformen zur Anwendung oder wenn zusätzlich Schmerzen anderer Ursache bestehen.

TNF-α-Blocker sollen gemäß Leitlinie bei der Polymyalgia rheumatica nicht verwendet werden, da es keinen Beweis für deren Wirksamkeit gibt. Für den Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab gibt es positive Ergebnisse aus Studien, aber noch keine Empfehlung (bei der Riesenzellarteriitis hingegen sehr wohl).

Häufig Langzeittherapie erforderlich

Bei der PMR sind oft lange Glucocorticoid-Behandlungen erforderlich: Je nach Krankheitsverlauf kann eine Therapiedauer von sechs Monaten bis zu mehreren Jahren nötig sein. Die üblichen Begleitmaßnahmen (Calcium, Vitamin D) und entsprechende Kontrolluntersuchungen zur Knochenvorsorge dürfen daher nicht vergessen werden. Ärztliche Folgevisiten werden im ersten Jahr etwa alle vier bis acht Wochen anberaumt, danach alle zwei bis drei Monate sowie bei Rezidiven. Dabei werden die Krankheitsaktivität, Nebenwirkungen der Therapie sowie Begleiterkrankungen und Begleitmedikation überprüft. 

Mittel der Wahl sind Glucocorticoide mit einer Initialdosis von 15–25 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag. Empfohlen ist die orale Einnahme als morgendliche Einzeldosis. © iStock
Mittel der Wahl sind Glucocorticoide mit einer Initialdosis von 15–25 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag. Empfohlen ist die orale Einnahme als morgendliche Einzeldosis. © iStock


Der Wert von Physiotherapie ist bei der Polymyalgia rheumatica nicht belegt. Dennoch kann ein individuelles Übungsprogramm gerade für ältere Personen wertvoll sein, um die Muskelmasse und  -funktion zu erhalten und das Sturzrisiko zu reduzieren. Wie bei anderen rheumatischen Erkrankungen kann eine Ernährung mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren (Fisch), viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch unterstützend empfohlen werden.

Quellen

•   S3 Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica, AWMF Reg. Nr. 060/006
•   S2k Leitlinie Management der Großgefäßvaskulitiden AWMF Reg. Nr. 060–007
•   Pongratz R et al.: Rheuma – Das Chamäleon unter den Krankheiten. 2018 MedMedia Verlag 3. Auflage

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