Der Zusammenhang zwischen Stress und chronischen Krankheiten ist komplex. Die Gene, individuelle Bewältigungsstrategien, der Lebensstil sowie das soziale Umfeld sind nur einige Faktoren, die unsere Stressanfälligkeit beeinflussen. Aber nicht jeder Stress wirkt sich negativ aus. So haben Studien gezeigt, dass kurzzeitiger Stress das Immunsystem stärkt, chronischer Stress hingegen das Immunsystem schwächt.
Stress führt zudem zur Ausschüttung von Histamin, das bei Asthmatiker:innen eine schwere Bronchokonstriktion auslösen kann. Auch das Risiko für Diabetes mellitus wird durch Stress erhöht, da psychischer Stress den Insulinbedarf verändert. Stress beeinflusst darüber hinaus die Säurekonzentration im Magen und kann Magenbeschwerden hervorrufen, genauso wie er zur Plaquebildung in den Arterien (Atherosklerose) beitragen kann.
Stress als Ursache und Folge
In der Regel ist Stress nicht der alleinige Auslöser einer Erkrankung, sondern vielmehr ein Risikofaktor, der Erkrankungen begünstigen kann. Umgekehrt kann eine bereits bestehende Erkrankung bzw. die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung Distress auslösen und den Heilungsprozess beeinflussen. Zudem erleben viele Menschen mit chronischen Schmerzen negativen Stress, der wiederum die Schmerzen verstärken kann – ein Teufelskreis entsteht. Auch wenn genaue Zahlen fehlen, gehen Mediziner:innen davon aus, dass Stress bei vielen chronischen und schweren Erkrankungen eine Rolle spielt – sowohl als Mitverursacher als auch als Folge der Krankheit.
Stress sabotiert gesunde Ernährung
Stress kann eine ausgewogene Ernährung und einen gesunden Lebensstil regelrecht sabotieren. In einer Stresssituation greifen wir vermehrt zu energiereichen, insbesondere zuckerreichen Lebensmitteln. Die Erklärung liegt auf der Hand: Unser Gehirn verbraucht bis zu 50 % der aufgenommenen Glucose. Bei Belastungen kann der Glucoseverbrauch auf bis zu 90 % ansteigen. Mit dem Bedarf nach rasch verfügbarer Energie steigt auch der Nährstoffbedarf, da die erhöhte Mitochondrientätigkeit sowohl Makromoleküle als auch Mikronährstoffe verbraucht.
Was passiert in der Stresssituation?
Gerät der Körper in Stress, übernimmt das autonome Nervensystem die Regie. Der Organismus aktiviert den Sympathikus, jenen Teil des autonomen Nervensystems, der unter anderem für die Flucht- und Kampf-Reaktion zuständig ist. Parallel werden Hormone freigesetzt, die den Körper optimal auf die Stresssituation vorbereiten. Dazu zählen die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die den Blutdruck sowie den Blutzuckerspiegel erhöhen, den Herzschlag aktivieren und die Bronchien für die vermehrte Sauerstoffaufnahme vorbereiten. Das Hormon Cortisol aus der Nebennierenrinde kommt etwas zeitversetzt ins Spiel und erhöht kurzfristig die körperliche Leistungsfähigkeit und die Konzentration. Chronischer Stress sowie ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel führen hingegen zu gesundheitlichen Belastungen inklusive psychischen Problemen, Schlafstörungen, erhöhtem Blutdruck, Diabetes und vielem mehr. Der natürliche Gegenspieler von Cortisol ist das Hormon DHEA (Dehydroepiandrosteron) aus der Nebennierenrinde, das im Regelfall eine übermäßige Cortisolpräsenz regulieren sollte. In Stresssituationen wird dieser Mechanismus jedoch auf Kosten der DHEA-Produktion ausgehebelt.
Die Rolle des Nervus Vagus
Der Vagusnerv ist der größte Nerv des Parasympathikus, der in Phasen der Entspannung, der Ruhe und der Erholung aktiv ist. Anhaltender Stress kann den Vagusnerv schädigen und zu körperlichen und mentalen Problemen führen. Daher ist es wichtig, Stressbewältigungstechniken wie Meditation, Atemtechniken, Progressive Muskelentspannung, Yoga etc. zu erlernen, den Vagusnerv zu beruhigen und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Aktivität und Entspannung zu fördern.
Zu den häufigen Stresssymptomen, die durch einen überlasteten Vagusnerv verursacht werden können, zählen Erschöpfung und chronische Müdigkeit, Unruhe und Schlafstörungen, Verspannungen und Schmerzen, erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen, Herzrasen und extremes Schwitzen, Nervosität, Angstzustände und Burn-out.
Stress als Mikronährstoffräuber
Die Ziele einer Nährstoffsupplementierung liegen neben dem Ausgleich möglicher Defizite v. a. in der Aktivierung der Energieproduktion in den Mitochondrien, dem Lösen von Verspannungen und Krampfzuständen, der Beruhigung der Nerven, der Reduktion von oxidativem Stress in den Gefäßen, der Steigerung der Stresstoleranz sowie der Verbesserung der Immunkompetenz. So kann eine Extraportion Mikronährstoffe nicht nur die Folgen, sondern möglicherweise auch die Ursache der Stressreaktion positiv beeinflussen.
hÄUFIG STRESSBEDINGT
- psychische Erkrankungen: Burn-out, Depressionen, Angststörungen, Panikattacken
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt, Schlaganfall
- Magen-Darm-Erkrankungen: Sodbrennen, Refluxkrankheit, Magengeschwür, Durchfall, Verstopfung, Reizdarm-Syndrom (RDS)
- Diabetes mellitus
- Tinnitus, Hörsturz
- Infektanfälligkeit
- Muskelverspannungen: Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Krämpfe
- Hautkrankheiten: Neurodermitis, Schuppenflechte (Psoriasis)
Kasten
B-Vitamine – die Klassiker
B-Vitamine sind unentbehrlich im Rahmen der Energieproduktion. Jeder Mangel geht daher mit einer empfindlichen Leistungseinbuße und chronischer Müdigkeit einher. So stellen die B-Vitamine im Rahmen der Burn-Out-Prophylaxe die wichtigsten Mikronährstoffe dar und sollten bereits bei den ersten Anzeichen einer Erschöpfung ergänzt werden. Neben der mitochondrialen Energieproduktion sorgen die B-Vitamine für eine positive Grundstimmung, steigern die Konzentration und stärken das Nervenkostüm.
Empfohlene Dosierung
Vitamin B-Komplex: 100–200 mg/Tag
Coenzym Q10 für gestresste Zellen
Coenzym Q10 ist ein fettlösliches Antioxidans, das stressbedingten Entzündungsreaktionen Paroli bietet. Sämtliche energieproduzierenden Prozesse im Körper sind von Coenzym Q10 abhängig. Zusätzliche Gaben können den Körper in der Regeneration unterstützen und umso rascher aus dem Leistungstief helfen.
Empfohlene Dosierung
Coenzym Q10: 60–120 mg/Tag
Entspannung mit Magnesium
Magnesium wirkt als klassischer Antistress-Mineralstoff entspannend und beruhigend. Ein Mangel an Magnesium und Calcium führt zu einer erhöhten neuromuskulären und zentralnervösen Erregbarkeit, spürbar als Verspannung, Verkrampfung, Durchblutungsstörung oder Verstopfung. Eine ausreichende Versorgung aktiviert die Energiebereitstellung und lässt das Muskel- und Nervensystem zur Ruhe kommen. Optimalerweise wird Magnesium mit weiteren Elektrolyten wie Calcium und Kalium kombiniert.
Empfohlene Dosierung
Magnesium: 300–400 mg/Tag
Calcium: 300–400 mg/Tag
Kalium: 300–400 mg/Tag
Lecithin für den nervösen Darm
Lecithin (Phosphatidylcholin) zählt zu den fettähnlichen Substanzen (Phospholipiden) und übernimmt als Bestandteil der Zellwände und des Nervengewebes verschiedene wichtige Funktionen im Stoffwechsel. Lecithin ist der Vorläufer des Neurotransmitters Acetylcholin, das eine entscheidende Rolle im vegetativen Nervensystem spielt.
Phosphatidylcholin trägt als Bestandteil der Darmschleimhaut zum Erhalt der schützenden Barriere bei. V. a. bei stressbedingten Verdauungsstörungen wie Reizdarm, Durchfall, nervösem Darm etc. bietet sich Lecithin als beruhigender und regenerierender Nährstoff an.
Empfohlene Dosierung
Lecithin: 3–4 g/Tag
Antioxidantien
Eine unzureichende Versorgung mit Vitamin C führt zu einer reduzierten Stresstoleranz. Vitamin C ist an der Bildung der Katecholamine und Steroidhormone beteiligt, die einen unmittelbaren Einfluss auf das vegetative Nervensystem ausüben. Darüber hinaus kann Stress radikalbedingte Entzündungsreaktionen hervorrufen, die mit Antioxidantien wie Vitamin C in der Kombination mit z. B. Vitamin E, Selen und Zink gut in Griff zu bekommen sind. So schützt das Vitamin als stärkstes wasserlösliches Antioxidans die Gefäße vor einer anderen Art von Stress – dem oxidativen Stress.
Empfohlene Dosierung
Vitamin C: 500–2.000 mg/Tag
Vitamin E: 200–300 I.E./Tag
Zink: 10–15 mg/Tag
Selen: 50–70 µg/Tag
Glutamin
Bei physischen und psychischen Stresszuständen kommt es zu einer Verarmung des Glutaminpools im Organismus. L-Glutamin ist als Bestandteil von Glutathion von zentraler Bedeutung für das Immunsystem, ist der Vorläufer des beruhigenden Neurotransmitters GABA sowie ein wichtiges Nährsubstrat für die Schleimhautzellen des Magen-Darm-Traktes. So lassen sich durch eine Glutaminsupplementierung ein überaktives Nervensystem sowie die körpereigene Glutathionsynthese verbessern und die Entzündungsbereitschaft reduzieren. Gleichermaßen dient Glutamin als wichtiges Nährsubstrat bei stressbedingten Magen-Darm-Beschwerden.
Empfohlene Dosierung
L-Glutamin: 5–10 g/Tag
Serotonin und Melatonin
Schlafmangel führt unweigerlich zu einem erhöhten Nährstoffbedarf. In Kombination mit Stress ist der Bedarf entsprechend höher. 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) kann die Schlafqualität verbessern, indem es u. a. mit den Cofaktoren Vitamin B6, Vitamin C, Magnesium und Folsäure zu Serotonin umgewandelt wird. So sorgen 100–300 mg 5-OH-Tryptophan ca. 30 Minuten vor dem Schlafengehen für die nötige Entspannung und einen erholsamen Schlaf. Es empfiehlt sich ein langsames Herantasten an die individuell passende Dosierung, beginnend bei 50 mg. Nach rund fünf Tagen und ausbleibender Wirkung wird auf 100 mg gesteigert. Dieses Schema wird beibehalten, bis die richtige Einstellung gefunden ist.
Empfohlene Dosierung
5-HTP: 100–300 mg/Tag
Adaptogene Pflanzen
Adaptogene sind bestimmte Nahrungsmittel bzw. Wirkstoffe, die dem Körper helfen können, mit Stress besser umzugehen. Die stressmodulierenden Effekte der Adaptogene werden mit der Ausbalancierung verschiedener Mechanismen, die mit der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (Stressachse) in Verbindung stehen, begründet. Dazu zählt u. a. die Regulation von Schlüsselmediatoren der Stressantwort, einschließlich der Cortisol-Ausschüttung. Adaptogene Pflanzen wie beispielsweise die Rosenwurz (Rhodiola rosea), die Macawurzel und die Ashwagandhawurzel zeigen Auswirkungen u. a. auf die Schlafqualität, Angstzustände, Aufmerksamkeit und Belastbarkeit.
Empfohlene Dosierung
Rosenwurz (Rhodiola rosea): 100–300 mg/Tag
Macawurzel (Lepidium meyenii): 3–4 g/Tag
Ashwagandhawurzel (Withania somnifera): 300–500 mg/Tag
Quellen
• Lopresti AL: The effects of psychological and environmental stress on micronutrient concentrations in the body: A review of the evidence. Adv Nutr 2020; 11(1): 103-112
• Anghelescu IG et al.: Stress management and the role of Rhodiola rosea: A review. Int J Psychiatry Clin Pract 2018; 22(4): 242-252
• Boyle NB et al.: The effects of magnesium supplementation on subjective anxiety and stress: A systematic review. Nutrients 2017; 9(5): 429
• Ford TC et al.: The effect of a high-dose vitamin B multivitamin supplement on the relationship between brain metabolism and blood biomarkers of oxidative stress: A randomized control trial. Nutrients 2018; 10(12): 1860
• De Oliveira IJ et al.: Effects of oral vitamin C supplementation on anxiety in students: A double-blind, randomized, placebo-controlled trial. Pak J Biol Sci 2015; 18(1): 11-18