
Ein gutes soziales Umfeld wirkte zudem eher aufbauend. "Die Beziehung zwischen dem Konsum von Genussmitteln und dem Wohlbefinden ist aber längst nicht so einfach wie man erwarten würde", meinte die Psychologin Giorgia Silani gegenüber der APA.
Ungesundes gerade dann, wenn die Verzweiflung, der Stress oder auch die Einsamkeit besonders groß sind? Das scheint naheliegend. Jedoch kam die Wissenschafterin der Universität Wien gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen kürzlich in einer Studie zu einem gegenteiligen Ergebnis: Genussmittel wie "süßes, salziges oder üppiges", also geschmacksintensives Essen oder auch Fernsehen, wurden eher genutzt, um eine bereits gute Stimmung zu verstärken. Für Silani ist eine "schöne Botschaft" der Studie: "Manche Belohnungsstrategien können uns in schwierigen Zeiten eben auch helfen, ein Wohlbefinden zu wahren. Wir sollten daher einen zeitlich begrenzten Überkonsum - man trinkt etwas mehr, man isst etwas mehr ungesundes Essen - nicht dämonisieren", erklärt Silani vom Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Uni Wien.
Natürlich solle zwar niemand zum Genuss von mehr Fast Food, mehr Alkohol oder mehr Zigaretten angehalten werden, um glücklich zu sein. Aber: "Letztlich scheint es doch etwas sehr Natürliches zu sein: Im Lockdown wird einem bewusst, dass man nicht viel dagegen tun kann - also warum sich nicht mit anderen austauschen, gemeinsam Serien schauen oder online spielen - oder eben auch mehr Ungesundes konsumieren?"
Studie mit verwunderlichen Ergebnissen
Im Rahmen einer früheren Studie konnten die Wiener Psychologinnen und Psychologen bereits zeigen, dass acht Stunden Alleinsein ein ähnliches Erschöpfungs- und Müdigkeitsgefühl hervorrufen wie Nahrungsentzug. Dabei flossen bereits Daten aus einer größeren Feldstudie, die während des ersten Lockdowns erhoben wurden, ein. In dem aktuellen Projekt, das von Silani und Postdoc Ana Stijovic geleitet wurde, sammelte man während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 von rund 800 erwachsenen Teilnehmern – vorwiegend aus Österreich, aber auch aus Deutschland und Italien – an sieben aufeinanderfolgenden Tagen mehrfach täglich über eine App Informationen: über die momentane Stimmung, den Wunsch nach Dingen wie etwa "süßem, salzigen oder üppigen Essen", Zigaretten oder anderen Tabakprodukten, sexueller Aktivität, TV-Serien oder -Filmen und auch Alkohol.
Wenn die Teilnehmer der Studie sich selbst als gut gestimmt wahrnahmen und mehr Austausch mit anderen (z.B. virtuell oder telefonisch) hatten, konsumierten sie auch mehr "Comfort Food", verbrachten zur Ablenkung mehr Zeit vor dem Bildschirm oder rauchten und tranken mehr. Dieser Genuss diente eher dazu, eine positive Grundstimmung aufrechtzuerhalten. Negative Stimmung und weniger soziale Kontakte hingegen führten zu geringerem Konsum und weniger Genuss. Man "sündigte" eher nicht, um eine bereits schlechte Stimmung zu verbessern, wie die im Fachblatt "Biological Psychiatry" veröffentlichte Untersuchung zeigte.
Essen, um Stimmung zu regulieren
Der Schwerpunkt der Studie lag hauptsächlich auf dem Essverhalten, wobei die anzukreuzende Kategorie "süßes, salziges oder üppiges Essen" keine Gegenkategorie hatte – also "Schokolade, Chips, Fast Food, Käse, Süßigkeiten", wie sie den Teilnehmern als Beispiele gegeben wurden, ohne dass diese mit Gemüse, Obst oder Müsli verglichen wurden. Dennoch konnte man auch ohne diese zusätzliche Differenzierung deutlich zeigen, so Silani, dass "Comfort Food" nach wie vor zur Regulierung der Stimmung verwendet wird – nur eben anders als ursprünglich erwartet. Eine weitergehende Differenzierung könnte jedoch noch tiefere Einblicke in das Verhältnis von Essen und Stimmung ermöglichen.
"Es gibt auch sehr interessante Beobachtungen bei Affen, von einer durch einen Hurrikan zerstörten Insel im Pazifik. Nach der Naturkatastrophe blieben die Affen auch häufiger in sozialen Gruppen beisammen, teilten ihr Essen untereinander und suchten damit quasi Wege, ihre Verbindung zu stärken", wie die Forscherin erzählte. Auch hier habe sich eben die Bedeutung sozialer Interaktionen und des Gemeinsamen als Mittel, um mit Bedrohungen umzugehen, gezeigt. Kein Indiz lieferte die Studie natürlich, so Silani, ob die Tiere zu einer bestimmten Art von Essen tendierten.
APA