In der vorherigen Saison habe es eine besonders hohe Infektionswelle gegeben, "das ist untypisch gewesen", erläuterte Raimon. "Aber zu sagen, es reduziert sich auf eine hohe Infektionswelle, die man nicht bedienen konnte, wäre zu kurz gegriffen." Die Bemühungen zur Definition der Liste mit den Präparaten, die auf die Bevorratung kommen, laufen noch, informierte der Pharmig-Präsident. Sie enthalte jedoch vorerst 18 Wirkstoffe, die im neuen Preisband des Dachverbands der Sozialversicherungsträger im Herbst Preissenkungen unterzogen werden sollen. "Das wird natürlich das Thema Lieferengpässe beeinflussen und das ist nichts, was in unserer Macht liegt als Industrie", betonte Raimon.
Andere Staaten hätten zudem auch Initiativen gesetzt. "In einem guten Teil Europas sind andere Vorsorgemaßnahmen getroffen worden", berichtete er von Preiserhöhungen in "acht oder neun Ländern" in kritischen Segmenten. "Die Auswirkungen dessen getrau ich mir noch nicht einzuschätzen", erklärte Raimon. "Die Preise in Österreich für Arzneimittel sind billiger als viele glauben", monierte er "keinerlei Inflationsanpassung" in der Branche hierzulande. "Das Thema Lieferengpässe kann nicht entkoppelt werden vom Preisniveau im Land."
"Pharma ist ein sehr regulierter Markt", betonte der Österreich-Geschäftsführer des internationalen Pharmakonzerns AbbVie. Die Regularien würden bestimmt durch den Gesetzgeber, die Sozialversicherung sowie Vollzugs- und Verwaltungsbehörden. Innerhalb dieses von den Institutionen festgelegten Rahmens könne sich die Pharmaindustrie bewegen und lediglich warnen, dass "bestimmte Dinge, die jetzt zur Diskussion stehen, wenn sie im Herbst umgesetzt werden, zu weiterer Destabilisierung führen könnten." Neben dem Preisband würden Themen wie die Wirkstoffverschreibung "sicher nicht stabilisierend auf den Markt wirken", warnte Raimon.
Zahl der klinischen Studien nimmt ab
Auch der Forschungs- und Produktionsstandort sei "ganz entscheidend von den Rahmenbedingungen abhängig". Die Zahl der klinischen Studien, die in Österreich stattfinden, beginnt abzunehmen, berichtete Raimon. "Wir müssen darauf achtgeben, dass wir unseren Anteil bestmöglich halten können", von ausbauen sei Österreich schon entfernt, weil zu viele Länder Interesse haben, an globalen klinischen Studien teilzunehmen. Es gebe hierzulande gute Infrastruktur sowie gute Medizinerinnen und Mediziner, aber es brauche eine Diskussion, wie man deren Teil der administrativen Arbeit erleichtern und damit die Arbeit am Patienten intensivieren könne.
Raimon kritisierte auch den österreichischen Ansatz: "Wir haben eh ein Präparat". Dass ein Zweiter, Dritter, Vierter in derselben Indikation geforscht habe, mit einem etwas anderen Wirkansatz, aber auch mit einem Präparat erfolgreich ist und Nutzen bringt, sei "ein unschätzbarer Wert für den Patienten, besonders wenn es chronisch kranke Patienten sind". Die Zweiten, Dritten, Vierten müssten jedoch dafür, dass sie in einem Wettrennen, das zehn Jahre gedauert hat, vielleicht ein halbes Jahr später dran sind, massive Preisabschläge hinnehmen, informierte Raimon. "Das ist natürlich kein besonders schönes Signal, das man aus dem Land sendet."
"Es ist toll, dass noch Mitgliedsunternehmen hier Produktionen haben", sagte der Pharmig-Präsident. Es gebe Beispiele, wo Firmen "an die vier Milliarden Euro in ihre Infrastruktur investiert haben". Es sei auch wirtschaftlich wichtig, "die Industrie mit dem größten Exportbilanzüberschuss in Europa" im Land zu behalten. Das werde die Arbeit und Herausforderung der nächsten Jahre sein. "Ich bleibe optimistisch", versicherte Raimon. Um Europa wettbewerbsfähig zu halten, sei es entscheidend, auf Innovationen zu fokussieren.
Hinter der neuen Pharma Legislation der EU stecke eine "gute Intention", er habe aber auch Sorge, "dass sich Europa in eine Situation bringt, die es in der geopolitischen Wettbewerbsfähigkeit nicht bestärken wird, weil es tatsächlich so ist, dass Schutzfristen verkürzt werden sollen". Die bisherige Zehn-Jahres-Frist als Schutz für das geistige Eigentum und für Daten und Erkenntnisgewinne habe sehr geholfen, Investitionen nach Europa zu holen oder in Europa zu halten. Die nun geplanten sechs Jahre seien "schon ein Unterschied". Dabei gehe es nicht nur um die forschende pharmazeutische Industrie, sondern auch um Institutionen, die Auftragsforschung betreiben, und letztlich auch um Start-ups, betonte der Pharmig-Präsident.
APA/Red.