Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Medikamentöse Behandlung nach katheter­basierten Eingriffen

Mag. pharm. Christopher Waxenegger
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Es kann vorkommen, dass Patient:innen lange nach einer Koronarintervention Medikamente einnehmen, für die keine Indikation mehr besteht. © iStock
Es kann vorkommen, dass Patient:innen lange nach einer Koronarintervention Medikamente einnehmen, für die keine Indikation mehr besteht. © iStock

In Europa sterben jährlich mehr als vier Millionen Menschen infolge einer Herz-Kreislauf-Erkrankung – ein Großteil mit atherosklerotischer Komponente (Atherosclerotic Cardiovascular Disease, ASCVD). In Österreich sind kardiovaskuläre Erkrankungen Todesursache Nummer 1 und für 35 % aller Todesfälle verantwortlich. Auf Basis der Diagnosen- und Leistungsdokumentation der österreichischen Krankenanstalten und der Todesursachenstatistik wurden allein 2019 19.000 kardiovaskuläre Neuerkrankungen dokumentiert (Angina pectoris, Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit). Im selben Jahr entfielen 38.000 Krankenstände und rund 1.157.000 Krankenstandstage auf Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, definiert im Sinne der ICD-10-Codes I05 bis I79. 1.900 Menschen wurden frühzeitig pensioniert, davon 75 % aufgrund ischämischer Herzkrankheiten, zerebrovaskulärer Krankheiten und/oder Krankheiten der Arterien. Auch in der Apotheke vergeht kein Tag, an dem nicht zumindest ein Medikament aus dem genannten Indikationskreis abgegeben wird.

Europäische Leitlinien als Standard

Diagnostik und Behandlung kardiovaskulärer Patient:innen orientieren sich an evidenzbasierten Guidelines wie der aktualisierten Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum akuten Koronarsyndrom (ACS). Darin wurden erstmals die Empfehlungen für das Management des ACS ohne ST-Elevation (NSTEMI; inkompletter Koronarverschluss) und des ACS mit ST-Elevation (STEMI; kompletter Koronarverschluss) zusammengeführt. Weitere Leitlinien und Konsensuspapiere informieren detailliert über das Vorgehen bei/nach perkutaner Koronarintervention (PCI) und der etwas weniger bekannten Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI), deren Ziel es ist, verengte oder undichte Aortenklappen des Herzens minimalinvasiv zu ersetzen. Der vorliegende Beitrag soll die für Pharmazeut:innen wesentlichen Aussagen komprimiert darstellen und um Abkürzungen ergänzen, die sich häufig in Entlassungs- und Arztbriefen finden.

Ziel der perkutanen Koronarintervention (PCI) und der Transkatheter-Aorten-klappen-Implantation (TAVI) ist es, verengte oder undichte Aortenklappen des Herzens minimalinvasiv zu ersetzen. © Shutterstock
Ziel der perkutanen Koronarintervention (PCI) und der Transkatheter-Aorten-klappen-Implantation (TAVI) ist es, verengte oder undichte Aortenklappen des Herzens minimalinvasiv zu ersetzen. © Shutterstock
Im Überblick
Wichtige Abkürzungen

ACS Akutes Koronarsyndrom
ARNI Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren
ASCVD Atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen 
CABG Koronararterienbypass 
DAPT Duale plättchenhemmende Therapie 
DES Medikamentenbeschichteter Stent 
DOAK Direkte orale Antikoagulanzien
HI Herzinsuffizienz
KHK Koronare Herzkrankheit
LE Lungenembolie
LVEF Linksventrikuläre Ejektionsfraktion
MRA Mineralcorticoid-Rezeptor-Antagonisten
NSTEMI Nicht-ST-Streckenhebungs-Myokardinfarkt 
PCI Perkutane Koronarintervention
RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System 
SAPT Einfache plättchenhemmende Therapie 
STEMI ST-Streckenhebungs-Myokardinfarkt 
TAVI Transkatheter-Aortenklappen-Implantation
TVT Tiefe Venenthrombosen
VKA Vitamin-K-Antagonisten

Therapie nach PCI/CABG

Die PCI ist fester Bestandteil der Therapie eines akuten Koronarsyndroms. Mit ihrer Hilfe werden hochgradige Koronarstenosen durch Aufblasen eines Ballonkatheters, der von Chirurg:innen über einen dünnen Draht ins Zielgefäß eingebracht wird, erweitert. In der Regel folgt die Implantation eines medikamentenbeschichteten Stents (DES), um das entsprechende Areal dauerhaft offen zu halten. Ein Koronararterienbypass (CABG) kommt dann zum Einsatz, wenn PCI, Rotablation, Stent-Implantation etc. nicht indiziert oder erfolglos geblieben sind. Ziel der medikamentösen Therapie ist es, weitere kardiovaskuläre Ereignisse und belastungsinduzierte pektanginöse Beschwerden zu verhindern.

Ein Koronararterienbypass (CABG) kommt dann zum Einsatz, wenn PCI, Rotablation, Stent-Implantation etc. nicht indiziert oder erfolglos geblieben sind. © Shutterstock
Ein Koronararterienbypass (CABG) kommt dann zum Einsatz, wenn PCI, Rotablation, Stent-Implantation etc. nicht indiziert oder erfolglos geblieben sind. © Shutterstock

Die Standardtherapie besteht aus einer dualen plättchenhemmenden Therapie (DAPT) mit Magenschutz, RAAS- und lipidsenkenden Medikamenten sowie ggf. oralen Antikoagulanzien. Eine DAPT nach ACS sollte aus 75–100 mg ASS plus einem potenten P2Y12-Inhibitor (Prasugrel oder Ticagrelor) bestehen und für zwölf Monate beibehalten werden. Clopidogrel gilt als Mittel der zweiten Wahl, sollten Prasugrel oder Ticagrelor nicht verfügbar oder kontraindiziert sein. Die empfohlene Dosierung von Prasugrel beträgt 10 mg/Tag, bei Patient:innen mit einem Körpergewicht unter 60 kg oder ≥ 75 Jahren 5 mg/Tag. Bei Ticagrelor sind es eingangs 180 mg, gefolgt von 90 mg 2 x täglich, bei Clopidogrel 300–600 mg, gefolgt von 75 mg/Tag. Bei Patient:innen mit hohem Blutungs- und geringem Ischämierisiko besteht die Möglichkeit, die DAPT nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung nach ein, drei oder sechs Monaten vorzeitig zu beenden. Unabhängig davon wird ASS bzw. Clopidogrel lebenslang als einfache plättchenhemmende Therapie (SAPT) fortgeführt.

Antiinflammatorischer Ansatz mit niedrigdosiertem Colchicin

Die lipidsenkende Therapie mit einem hochpotenten Statin (z. B. Atorvastatin oder Rosuvastatin) plus Ezetimib soll schon während des Index-Aufenthalts initiiert und bei Nichterreichen des Zielwerts (< 55 mg/dl LDL-C plus 
Senkung ≥ 50 % vom Ausgangswert) um Bempedoinsäure bzw. PCSK9-Hemmer erweitert werden. RAAS-Hemmer sind bei erhöhtem Blutdruck, Diabetes, chronischer Niereninsuffizienz oder reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF < 40 %) obligatorisch. Auch bei Betablockern ist der prognostische Langzeitnutzen bei eingeschränkter Pumpfunktion zweifelsfrei belegt. Das gilt auch für Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI), Mineralcorticoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) und SGLT-2-Inhibitoren („Fantastic Four“), die bei allen herzinsuffizienten Patient:innen indiziert sind. Für ACS-Patient:innen mit erhaltener LVEF geben die ESC-Leitlinien in den ersten 6 bis 12 Monaten Betablockern immerhin eine IIa-Empfehlung, sehen eine Langzeittherapie aber zunehmend kritisch. Zurzeit laufen Studien, die sich mit dieser Fragestellung (ACS + erhaltene LVEF + Betablocker) beschäftigen. Mit niedrig dosiertem Colchicin (0,5 mg/Tag) empfiehlt die ESC erstmals einen antiinflammatorischen Ansatz, insbesondere wenn andere Risikofaktoren unzureichend kontrolliert sind oder unter optimaler Therapie wiederkehrende kardiovaskuläre Ereignisse auftreten. Dies umfasst sowohl Patient:innen nach einem ACS als auch Patient:innen mit chronischer koronarer Herzkrankheit (KHK) ohne ACS. 

Therapie nach TAVI

Für Patient:innen nach TAVI richtet sich die medikamentöse Therapie nach komorbiden Grunderkrankungen (z. B. KHK, HI) und ob in den letzten drei Monaten ein Koronar-Stent gesetzt wurde. Ist das der Fall, schließt sich an die Operation eine sechs Monate dauernde DAPT mit ASS 100 mg/Tag und Clopidogrel 75 mg/Tag plus PPI an, die in der Folge in eine lebenslange SAPT übergeht. Bei Patient:innen ohne Stenting ist gleich von Beginn an eine lebenslange SAPT als Standard etabliert.

Was tun bei oraler Antikoagulation?

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) finden sich bei einer Vielzahl kardiovaskulärer Risikopatient:innen im Medikationsplan und werden unter anderem zur Schlaganfallprophylaxe bei (nicht-)valvulärem Vorhofflimmern oder zur Behandlung und Prophylaxe erstmals aufgetretener oder rezidivierender tiefer Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) eingesetzt. Es ist anzunehmen, dass aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Alterung der Gesellschaft die Zahl potenzieller Patient:innen, die eine lebenslange orale Antikoagulation benötigen, in den nächsten Jahren kontinuierlich steigen wird. Dies ist insofern relevant, als dass sich in den Leitlinien der ESC und European Heart Rhythm Association (EHRA) das medikamentöse Vorgehen nach PCI und TAVI unter laufender oraler Antikoagulation unterscheidet.

Patient:innen mit ACS und PCI sollen grundsätzlich eine einmonatige Triple-Therapie bestehend aus DOAK, Clopidogrel und ASS plus PPI erhalten, gefolgt von einer dualen Therapie mit DOAK und Clopidogrel plus PPI für weitere elf Monate. Darauf schließt sich eine lebenslange DOAK-Monotherapie an. Für Patient:innen mit hohem Blutungs- und niedrigem Thromboserisiko kommt alternativ eine einwöchige Triple-Therapie mit DOAK, Ticagrelor und ASS plus PPI infrage, auf die sich eine elf Monate dauernde duale Therapie mit DOAK und Ticagrelor plus PPI anschließt, bevor wie zuvor auf eine DOAK-Monotherapie gewechselt wird. Patient:innen mit elektiver PCI erhalten in der ersten Woche DOAK, Clopidogrel, und ASS plus PPI, gefolgt von DOAK und Clopidogrel plus PPI für fünf Monate, bevor man auch hier auf eine DOAK-Monotherapie switcht. Für Patient:innen unter DOAK/VKA nach TAVI orientiert sich die Therapie wiederum danach, ob in den letzten drei Monaten ein Koronar-Stent implantiert wurde. Patient:innen, auf die das zutrifft, erhalten nach dem Eingriff für sechs Monate DOAK und Clopidogrel bzw. ASS plus PPI, gefolgt von einer DOAK-Monotherapie. Bei Patient:innen ohne kürzlich zurückliegendes Stenting reicht eine DOAK-Monotherapie.

Take-Home-Message

Patient:innen nach katheterbasierten Eingriffen erhalten je nach Blutungs- und Thromboserisiko eine individuell abgestimmte Therapie variabler Dauer. Es kann passieren, dass ASS, Clopidogrel und Co. eingenommen werden, obwohl das auslösende Ereignis schon länger zurückliegt und keine Indikation mehr vorhanden ist (unreflektierte Folgeverordnungen). Pharmazeut:innen sitzen an der Schnittstelle zwischen stationären, ambulanten, fachärztlichen und niedergelassenen Professionen und haben einen guten Überblick. Dieses Potenzial lässt sich gezielt für Patient:innen nutzen. 

Quellen

  • Byrne RA et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J 2023; 44(38):3720-382
  • Czypionka et al.: Volkswirtschaftliche Kosten der Hypercholesterinämie in Österreich. Institut für Höhere Studien (IHS), 2022.
  • Griebler R et al.: Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Österreich. Update 2020. Wien: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), 2021.
  • Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J  2020; 41(3):407-477
  • Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J 2020; 41(1):111-188

    Weitere Quellen auf Anfrage

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