Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von Psychopharmaka sind vielfältig und können über den gesamten Therapieverlauf auftreten. Am häufigsten sind sie in den ersten zwei bis vier Wochen, klingen aber oft auch ohne Dosisreduktion wieder ab.
Ursachenfindung
Manche Patient:innen sind besonders anfällig für UAW. Die Ursachen können sowohl psychischer Natur sein – etwa bei Panikstörungen oder generalisierter Angsterkrankung – als auch auf eine veränderte Pharmakokinetik zurückzuführen sein, bspw. durch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder einen verlangsamten Wirkstoffabbau (z. B. bei CYP 2D6-Poor-Metabolizern). Auch bei einem raschen Wechsel zwischen Antidepressiva können vegetative Symptome auftreten, die fälschlicherweise als Nebenwirkungen des neuen Medikaments interpretiert werden. Tatsächlich handelt es sich hier aber oft um Absetzsymptome des vorherigen Präparats.
UAW zu Therapiebeginn
Einige UAW treten nur zeitlich begrenzt zu Therapiebeginn auf, wie z. B. Übelkeit bei SSRI. In diesem Fall kann ein Zuwarten gerechtfertigt sein, sofern es für Patient:innen akzeptabel ist.
Die meisten Antidepressiva werden über CYP-Iso-enzyme (CYP 3A4, 2D6, 2C9, 2C19, 1A2) verstoffwechselt, wobei sie Substrate, Inhibitoren oder Induktoren des jeweiligen Isoenzyms sein können. Die selektive Hemmung der Serotonin- oder Noradrenalinaufnahme führt zu zahlreichen charakteristischen Nebenwirkungen, die meist nur vorübergehend auftreten. Zu den häufigeren UAW zählen verminderter Appetit, Übelkeit, Diarrhoe, Kopfschmerzen, Schwitzen, Unruhe, Schlafstörungen und sexuelle Funktionsstörungen. Letztgenannte bleiben oft bestehen.
Trizyklika: hohes UAW-Potenzial
Trizyklische Antidepressiva (TCA) binden an unterschiedliche Rezeptoren und weisen daher ein hohes Nebenwirkungspotenzial auf. Die Bindung an den α1-Rezeptor kann zu Schwindel und orthostatischer Hypotonie führen, die Interaktion mit dem H1-Rezeptor wird für Gewichtszunahme und Müdigkeit verantwortlich gemacht. Die Blockade der muskarinischen Acetylcholinrezeptoren führt zum charakteristischen Spektrum der anticholinergen Nebenwirkungen: Neben Mundtrockenheit kommt es häufig zu einer Obstipation, die sich bis zum Darmverschluss entwickeln kann. Hier helfen ausreichend Flüssigkeit, Bewegung sowie die Gabe von Macrogol oder Lactulose. Weitere typische anticholinerge Effekte sind Akkommodationsstörungen mit verschwommenem Sehen, Miktionsstörungen bis hin zum Harnverhalt sowie exzessives Schwitzen. In schweren Fällen können auch Verwirrtheitszustände und Delir auftreten.
Der Zeitpunkt der Einnahme spielt eine entscheidende Rolle: Trizyklische Antidepressiva, aber auch Mirtazapin (NaSSA) verursachen besonders zu Therapiebeginn Müdigkeit und Benommenheit. Im Gegensatz dazu können SSRI, SSNRI und MAO-Hemmer innere Unruhe und Schlafstörungen hervorrufen – hier sollte eine abendliche Einnahme vermieden werden.
Monitoring
Gewicht, Blutzucker und Blutfette sollten unter Therapie mit Antidepressiva regelmäßig kontrolliert werden. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Leberwerte (Transaminasen), die durch nahezu alle Antidepressiva ansteigen können – ein Risiko, das bei älteren Patient:innen und Polypharmazie besonders ausgeprägt ist. Zur Gewichtszunahme kommt es v. a. bei Mirtazapin und TCA. Sexuelle Funktionsstörungen wie verzögerter Orgasmus und Ejakulation treten vor allem bei SSRI auf und sind oft Grund für einen vorzeitigen Therapieabbruch.
Die kardiovaskulären UAW von Antidepressiva umfassen ein breites Spektrum: von Hypo- und Hypertonien über Herzfrequenzstörungen (Brady- und Tachykardie) bis hin zu Herzrhythmusstörungen mit QTc-Verlängerungen. EKG- und Laborkontrollen auf Kalium und Magnesium sind daher essenziell. Besonders gefährdet für kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind ältere Menschen, Frauen, Patient:innen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sowie Menschen mit Elektrolytstörungen, insbesondere niedrigen Kaliumwerten (Hypokaliämie). Citalopram steht dosisabhängig mit QT-Intervall-Verlängerungen in Zusammenhang. Die maximale Tagesdosis (TMD) beträgt 40 mg – bei älteren Patient:innen oder bei eingeschränkter Leberfunktion liegt die TMD bei 20 mg. Kontraindiziert ist Citalopram in Kombination mit anderen QT-Intervall-verlängernden Substanzen sowie bei Patient:innen mit bekannter QT-Verlängerung und angeborenem Long-QT-Syndrom. Auch bei Personen mit erhöhtem Risiko für eine Torsade-de-Pointes-Tachykardie ist Vorsicht geboten. Für Escitalopram gilt ebenfalls eine Kontraindikation für die Kombination mit anderen Arzneimitteln, die das QT-Intervall verlängern (Rote-Hand-Brief).
Bei der Einnahme des MAO-Hemmers Tranylcypromin (irreversibler MAO-A und MAO-B-Hemmer) muss eine tyraminarme Diät eingehalten werden, um Blutdruckkrisen zu vermeiden. Das bedeutet einen Verzicht auf tyraminhaltige Lebensmittel wie Rotwein, Schokolade, fermentierten Käse und Salami. Der reversible MAO-B-Hemmer Moclobemid ist besser verträglich. Hier muss auf keine besondere Diät geachtet werden.
Wirkungsverlust durch CYP-Hemmung
Relevante Interaktionen gibt es auch zwischen Antidepressiva und Tamoxifen. CYP 2D6-hemmende Antidepressiva (z. B. Paroxetin) können die Wirkung von Tamoxifen deutlich reduzieren. Außerdem kann die Inhibition dieses Enzyms auch die analgetische Wirkung von Tramadol abschwächen und dadurch den Erfolg der Schmerztherapie gefährden.
Serotoninsyndrom
Das Serotoninsyndrom stellt eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung dar. Es tritt besonders bei Kombinationstherapien auf, etwa bei gleichzeitiger Anwendung von MAO-Hemmern, SSRI, SNRI oder Lithium.
Zu den Symptomen zählen Zittern, Agitation, erhöhter Muskeltonus, gesteigerte Reflexe, Krampfanfälle, Bewusstseinstrübung, Fieber und Koma.
Antipsychotika – breites UAW-Spektrum
Antipsychotika weisen ein besonders breites Spektrum an Nebenwirkungen auf. Dazu zählen Leberwerterhöhung, Müdigkeit und Sedierung, Krampfanfälle durch Senkung der Krampfschwelle, erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ereignisse, Gewichtszunahme, Diabetes, erhöhte Blutfette (Olanzapin, Clozapin), Blutbildungsstörungen (Clozapin), sexuelle Funktionsstörungen und Prolaktinerhöhung und dadurch Milchfluss (Risperidon, Amisulpirid). Eine relevante Interaktion unter Psychopharmaka ist der Tabakkonsum. Rauchen aktiviert durch Benzpyrene das Enzym CYP 1A2 und senkt dadurch die Plasmaspiegel von Olanzapin und Clozapin. Bei Rauchstopp ist mit erhöhten Wirkstoffspiegeln zu rechnen.
Die therapeutische Wirkung der Antipsychotika basiert auf der Blockade von Dopaminrezeptoren, die Positivsymptome wie Wahn, Halluzinationen und Ich-Störungen unterdrückt. Diese Blockade verursacht aber auch unerwünschte extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen wie Akathisie (innere Unruhe mit Bewegungsdrang) oder Parkinsonismus sowie einen Prolaktinspiegelanstieg, der zu Galaktorrhoe, Amenorrhoe oder Libidostörungen führen kann. Darüber hinaus führt die Blockade dopaminerger Neurone zu einer Verstärkung von Negativsymptomen wie Apathie, Affektverflachung oder zu zunehmendem sozialen Rückzug.
Verschiedene Antipsychotika zeigen unterschiedliche Rezeptorprofile: Während Butyrophenone wie Haloperidol fast ausschließlich den Dopamin-D2-Rezeptor blockieren, wirkt Risperidon zusätzlich am α1-Adrenozeptor. Dies kann besonders bei älteren Patient:innen durch orthostatische Hypotonie das Sturzrisiko erhöhen. Auch Schluckstörungen mit dem Risiko von Aspirationspneumonien treten bei dieser Patientengruppe vermehrt auf. Die atypischen Antipsychotika Quetiapin und Olanzapin weisen durch ihre breite Rezeptoraffinität ein besonders vielfältiges Nebenwirkungsspektrum auf.
Gewichtszunahme
Als Richtwert für eine signifikante Gewichtszunahme gilt eine Erhöhung des Körpergewichts um mehr als 7 %. Wichtig beim Management dieser Nebenwirkung sind neben einer angepassten Ernährung auch allgemeine Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wie körperliche Aktivität und Verhaltensmodifikationen.
Sexuelle Funktionsstörungen
Sexuelle Funktionsstörungen können sowohl im Rahmen bestehender psychischer Erkrankungen auftreten als auch Folge der Einnahme von Psychopharmaka sein. Durch Antidepressiva induziert, kommen sie in 50 % der Fälle vor und gehen mit Einschränkungen von Lebensqualität, Selbstwertgefühl, Stimmung und Beziehungsqualität einher. Verantwortlich dafür ist die direkte Dopamin-D2-antagonistisch vermittelte Prolaktinerhöhung. Wenn Abwarten bzw. ein Versuch der Dosisreduktion keine Abhilfe schaffen, kann die Umstellung auf einen Wirkstoff mit einer geringeren Gefahr der Prolaktinspiegelerhöhung sinnvoll sein.
Wechselwirkungen mit Phytopharmaka
Pflanzliche Produkte weisen nicht unbedingt weniger Nebenwirkungen auf. Phytopharmaka sind komplexe Vielstoffgemische, die neben dem Hauptwirkstoff noch weitere Wirkstoffe enthalten, die Interaktionen verursachen können. Die potenziellen Wirkungen einzelner Inhaltsstoffe sind oft noch unbekannt.
Antidepressiva werden durch eine Reihe von CYP-Enzymen (am häufigsten CYP 2D6, 1A2 und 3A4) metabolisiert und können daher mit Arzneimitteln interagieren, die diese Metabolisierungswege hemmen oder induzieren. Darüber hinaus sind einige Antidepressiva selbst Inhibitoren von CYP-Enzymen. Klinisch relevante pharmakokinetische Interaktionen werden vor allem durch Johanniskraut und Knoblauch verursacht. Johanniskraut wird gerne bei depressiven Verstimmungen eingesetzt, da es die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und Glutamat hemmt. Werden jedoch SSRI oder SSNRI verordnet, sind Johanniskrautpräparate einige Tage vor Therapiebeginn abzusetzen, da sonst die Gefahr eines zentralen Serotoninsyndroms besteht. Nach Absetzen von Johanniskrautpräparaten hält deren Wirkung noch über eine Woche an.
Grundsätzlich ist die Anwendung von Phytopharmaka bei Patient:innen mit Polypharmazie – insbesondere wenn Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite eingenommen werden – nicht empfehlenswert.
Baldrian verstärkt die Wirkung von Benzodiazepinen, wahrscheinlich durch Interaktion mit dem GABAA-Rezeptorkomplex. Auch Ginkgo biloba zeigt Wechselwirkungen durch die Induktion von CYP 2C19. Es kommt zur Wirkungsabschwächung von Arzneimitteln wie Antidepressiva.
Quellen
- https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Citalopram_25633, abgerufen am 02.01.2025
- Baumgärtner J: Neben- und Wechselwirkungen von Psychopharmaka. Vortrag Universität Münschen 2017.
- Grunze A, et al.: Nebenwirkungen von Psychopharmaka: Tipps für die Praxis. Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(22): 1690-1700
- S3-Leitlinie Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression (2022), AWMF Reg.Nr. nvl-005
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