Am Ende des 19. Jahrhunderts, mit der Entstehung der Pharmaindustrie, hatte in den Apotheken ein Wandel der Hauptaufgaben stattgefunden. Waren bis dahin die Apotheker jene, die Arzneimittel selbst herstellten und verkauften, wurden sie in ihrer Funktion als Erzeuger zunehmend von der pharmazeutischen Industrie abgelöst und die Offizin immer mehr zum Verkaufsort für industriegefertigte Arzneimittel. Gleichzeitig brachte das für den Beruf aber auch neue Möglichkeiten und Apotheker sahen sich immer mehr als „Hüter der Volksgesundheit“, also umsichtige, fachliche Berater, die die Patienten und Patientinnen dabei unterstützen, Arzneimittel richtig anzuwenden.
Das 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts gelten als die Hochzeit des Apothekenbaus im Stil des späten Historismus und Jugendstils. Viele Apotheken aus dieser Zeit sind noch zumindest teilweise erhalten und sind ein Beweis nach außen für die lange Tradition des Apothekerberufes als Arzneimittelhersteller. Der Raum für die Herstellung und den Verkauf der Arzneimittel, die Offizin mit dem Rezepturtisch mit Apothekerwaage und den vielen Standgefäßen im Hintergrund bildete den Hauptbereich der Apotheke. Zu den Nebenräumen gehörten u. a. die Materialkammer und ein Laboratorium.
Schaufenster
Die Besonderheit der Apotheken war für viele Apotheker bis in die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein auch der Grund, weshalb es so mancher als unter seiner Standeswürde sah, im Schaufenster Werbung zu betreiben, denn dadurch hätte die Apotheke ihren seriösen Charakter verloren, so eine damals gängige Ansicht. Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre hatte dann aber eine zunehmende Anzahl von Apotheken die Bedeutung des Schaufensters für den Verkauf erkannt, zumal ja die apothekeneigenen Herstellungen wesentlich zurückgegangen waren und die Apotheken zunehmend auf den Handverkauf angewiesen waren.
Apotheken in der Nachkriegszeit
Während des 2. Weltkrieges wurden in Österreich um die 80 Apotheken teils beschädigt, teils zerstört, die meisten Betroffenen gab es in Wien. Diese Apotheken mussten wieder aufgebaut werden und die während der Zeit des Nationalsozialismus arisierten Apotheken jüdischer Apotheker:innen wurden an ihre ursprünglichen Besitzer:innen oder deren Erben und Erbinnen rückgeführt.
Die Zeit der Lagerhaltung bricht an
In der Nachkriegszeit gelangten immer mehr Fertigarzneimittel in die Apotheken, die Zeit der Lagerhaltung brach an. Für die Apotheker:innen gewann der kaufmännisch-organisatorische Teil ihrer Arbeit wesentlich an Bedeutung. Aus Leitern und Leiterinnen von Apotheken wurden zunehmend Manager:innen, die sich mit Fragen des Wareneinkaufs, der Lagerhaltung, der Neueinführung von Arzneimitteln, des Kundendienstes und der Werbung befassten. Die Laufstrecken innerhalb der Apotheke wurden zum Thema, denn die Materialkammer mit den gelagerten Arzneimitteln lag oft weit entfernt von der Tara und die Apotheker und Apothekerinnen stellten sich zunehmend die Frage, wie sich die höchst personalaufwendige Arbeit in der Apotheke mit der ständig zunehmenden Anzahl an Präparaten rationalisieren ließe.
In vielen Apotheken begann also eine Umgestaltung, eine Abkürzung der Wege in der Apotheke wurde zu einer Notwendigkeit, um dem Kunden und Kundinnen die Ware innerhalb einer zumutbaren Zeit zeigen und auch verkaufen zu können. Oft nachgefragte Produkte gelangten also in die Nähe der Tara, seltener gebrauchte Artikel wanderten in die Nebenräume.
Kundenfreundlichkeit im Außenbereich
Erhöhtes Augenmerk kam in den 50er-Jahren auch der Gestaltung der Außenfront zu. Apotheken sollten aus zwei Gründen auffallen: einerseits, um den Umsatz zu steigern, andererseits, um in Notfällen schnell gefunden zu werden. So empfiehlt ein Artikel aus dem Jahr 1955 in der ÖAZ beispielsweise, für eine Apotheke in einer ruhigen Straße mit wenigen Geschäften größere Schaufenster zu verwenden, hingegen in einer lebendigen Geschäftsstraße kleinere Schaufenster zu wählen. Jedenfalls wurde in den 50er-Jahren dringend dazu geraten, die Werbemöglichkeiten eines Apotheken-Schaufensters auszunutzen, und man beschäftigte sich mit den Vor- und Nachteilen von Schaufenstern, die zur Offizin hin offen, halb abgeschlossen oder ganz abgeschlossen waren. Trotzdem waren die Schaufenster in vielen Fällen auch in den 50er-Jahren noch nicht besonders attraktiv und zeigten vorwiegend Plakate und Pappschachteln. Individuell gestaltete Schaufenster waren eher die Ausnahme als die Regel.
Bei einem Apothekenneubau wurde empfohlen, den Eingang ebenerdig zu planen, höchstens mit ein bis zwei Stufen, um die Apotheke leicht zugänglich zu machen. Kundenfreundlichkeit wurde auch im Außenbereich der Apotheke immer wichtiger. Das zeigte sich zum Beispiel durch ein Vordach für die beim Nachtdienst wartenden Kundinnen und Kunden oder einen gut sichtbaren Nachtdienstkasten, der gut beleuchtet sein sollte.
In der Inneneinrichtung wurden zunehmend die revolutionären Zieh- und Rollschränke eingeführt, um die steigende Anzahl an Fertigarzneimitteln lagern zu können.
Rationalisierung in der Lagerhaltung und Bestellung
In den 1970er-Jahren machte die große Zahl an Arzneimitteln in Hinblick auf Lagerhaltung, Überblick und bei der Bestellung Schwierigkeiten. Es war Zeit, die Logistik und die Bestellmodalitäten zu vereinfachen. Das war die Geburtsstunde des Zweikärtchen-Systems in der Lagerhaltung, das später mittels Lochkarten die ersten elektronischen Bestellübermittlungen an den Großhandel ermöglichte. Beim Zweikärtchen-System gab es für jede Spezialität des Generalalphabets zwei verschiedenfarbige Plastikkärtchen mit den Informationen bezüglich Mindestlagermenge, Bestellmenge, Rezeptpflicht, Artikelbezeichnung, Menge und Form, Stärke, eventuell des Verkaufspreises, Verfallhinweise, Übervorrat und Art der Aufbewahrung. Wurde eine Packung verkauft, verglich der Expedient oder die Expedientin kurz die Lageranzahl mit dem Vermerk auf dem Kärtchen. War die Mindestlageranzahl erreicht, wanderte ein Kärtchen in einen Alphabetkasten, anhand dessen später alle Nachbestellungen getätigt wurden. Sobald die Ware wieder in der Apotheke war, wurde diese gemeinsam mit dem Wanderkärtchen in das Generalalphabet eingeordnet. Die Stammkarte blieb im Schrank oder der Schublade, um den Ort der Aufbewahrung zu markieren. Durch dieses Bestellsystem war es möglich, mehr verschiedene Arzneimittel auf Lager zu nehmen und gleichzeitig ein Überlager aufgrund von Fehlbestellungen zu verhindern. Am bedeutendsten war aber der Effekt der Personaleinsparung. Aufgrund des neuen Systems musste jedoch auch die Inneneinrichtung der Apotheke adaptiert werden.
Der „Spezialitätenfluss“
Das funktionale Generalalphabet löste den klassischen Apothekerschrank ab und moderne Zug- und Schubladenschränke wurden beliebte Einrichtungselemente. Zentraler Gedanke beim Um- oder Neubau einer Apotheke war nun der „Spezialitätenfluss“, das heißt, dass die Wege des Apothekenpersonals möglichst reduziert wurden, um mehr Zeit für die Kundinnen und Kunden zu haben. Als moderne Innenausstattung kamen in den 70er-Jahren auch Förderbänder und die Rohrpost auf.
Patientenorientierte Innengestaltung
Der Wettbewerb um die Kundinnen und Kunden wurde in den 80er-Jahren stärker. Die Erwartungen der Käufer:innen hatten sich geändert und die Apotheken versuchten zunehmend, aktiv an sie heranzutreten und ihnen Hilfe, Information und Beratung anzubieten. Moderne Apotheken führten in dieser Zeit Patientenservices wie das elektronische Blutdruckmessen ein. Und auch der umsatzfördernde Sichtverkauf gewann an Bedeutung. Wem es möglich war, der ergänzte seine Apotheke um ein Reformhaus oder ein Kosmetikgeschäft, um eine breitere Produktpalette anbieten zu können.
Computerisierung
Gegen Ende der 80er-Jahre wurde für viele Apotheken der Einsatz von Computern interessant, da diese günstiger wurden. In den 90er-Jahren begannen immer mehr Apotheken damit, mit speziell auf die Apotheken zugeschnittenen EDV-Programmen zu arbeiten, und auch die ersten voll funktionsfähigen POS-Systeme etablierten sich.
Lagerautomatisierung
Ganz neue Möglichkeiten in der Lagerhaltung und im Warenfluss einer Apotheke bot die Entwicklung von Kommissionierautomaten für Apotheken, die ab den 2.000er-Jahren in immer mehr Apotheken zu finden waren. Sie ermöglichen es, das Lager auf einen möglichst kleinen Raum zu beschränken und dem Computer die Lagerorganisation zu überlassen. An der Tara bietet das den großen Vorteil, den Kundenkontakt nicht mehr unterbrechen zu müssen, um eine Arzneipackung aus dem Lager zu holen. Dadurch wird wertvolle Zeit für die Beratung gewonnen.
Apotheken sind besondere Geschäfte
Apotheken sind nach wie vor besondere Geschäfte mit dem gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen und zu beraten. Dazu gehört, ärztliche Verschreibungen zu prüfen und Arzneimittel selbst anzufertigen, wenn sie von der Industrie nicht angeboten werden oder für die Patienten und Patientinnen individuell angefertigt werden sollen. Dafür benötigt die Apotheke spezialisierte Räume, deren Beschaffenheit durch die Apothekenbetriebsordnung gesetzlich geregelt ist.
Jürgen Klinger, bereits in der 3. Generation Apothekenbauer, betont: „Mittlerweile ist die Beratung, das persönliche Gespräch mit dem Kunden, für welches es oft in anderen Gesundheitseinrichtungen zu wenig Zeit gibt, zu einem wichtigen Bestandteil des Apothekenalltags geworden. Durch top ausgestattete Beratungsräume mit Sitzplätzen, Liege und Handwaschbecken wird etwaigen zukünftigen Anforderungen an die Apotheke bereits jetzt Rechnung getragen.“ Aufgrund der platzsparenden Bauweise bieten die Kommissionierroboter neue Möglichkeiten für die Architektur, ergänzt Klinger.
Mag. Franz Moser, Geschäftsführer der Tischlerei Moser, die auf den Apothekenbau spezialisiert ist, betont: „Bei aller Digitalisierung in Lager und Präsentationsflächen ist und bleibt eine Apotheke gestern, heute und auch morgen ein Treffpunkt von Menschen, die Hilfe suchen und Hilfe und Beratung von Menschen bekommen, und zwar 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Diese Begegnungen sind die Zukunft der Apotheke.“ Die Architekten und Architektinnen unterstützen die Apotheker:innen dabei, das umzusetzen, ob in der Stadt oder am Land, im Altbau oder im Neubau, fasst Moser zusammen.
Ing. Thomas Auer, BSc BA, Geschäftsführer der Norer Tischlerei, sieht es bei der Gestaltung einer Apotheke als Herausforderung an, den Raum funktional, hochwertig und anmutig zu gestalten. „Die Apotheke ist ein Raum, der im Idealfall eine Synergie aus beruhigender Atmosphäre für die Patienten bzw. die Patientinnen und effizienter Arbeitsstätte für die Pharmazeuten und Pharmazeutinnen bietet“, hebt Auer hervor.