Seit 2009 kann in Österreichs Apotheken die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel rezeptfrei erworben werden. 2015 folgte Ulipristalacetat. Der erleichterte Abgabestatus soll einen niederschwelligen Zugang zur Notfallkontrazeption gewährleisten und parallel die im Steigen begriffenen Zahlen für Schwangerschaftsabbrüche rückgängig machen. Während der Umsatz für sich spricht, müssten zur endgültigen Beantwortung der zweiten Hypothese hierzulande offizielle Register etabliert werden – was bisher nicht geschehen ist.
Ungeachtet der übergeordneten Fragestellungen ist eine professionelle unvoreingenommene Beratung durch geschultes Gesundheitspersonal Voraussetzung für die Effektivität und Sicherheit der Notfallkontrazeption, weshalb sich der Gesetzgeber dazu entschlossen hat, die Abgabe der Apothekenpflicht zu unterstellen. In der Apotheke erhalten Betroffene die nötige Fachexpertise zur korrekten Anwendung, den möglichen Nebenwirkungen sowie Hintergründe für eine verminderte Wirkung.
Indikationen für die Einnahme
Die Pille danach ist eine Maßnahme zur Notfallverhütung nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Dies kann u. a. zutreffen bei:
- abgerutschtem oder gerissenem Kondom
- verzögerter oder vergessener Pilleneinnahme
- verrutschtem Diaphragma
- Termin für die 3-Monats-Spritze um mehr als zwei Wochen verschoben
- im schlimmsten Fall sexueller Übergriff bzw. Vergewaltigung
Sie ist allerdings kein Ersatz für eine regelmäßige Verhütung, wie die hormonelle Kontrazeption oder Spirale. Zudem wird von Laien nach wie vor der falsche Begriff „Abtreibungspille“ verwendet. Da die Pille danach weder einen stattgefundenen Eisprung rückgängig machen kann noch einen Einfluss auf eine schon bestehende Schwangerschaft hat, besteht hier bei der Abgabe evtl. Aufklärungsbedarf.
- Jünger als 14 Jahre ohne Einverständniserklärung eines Erziehungsberichtigten bzw. Rezept eines Arztes
- Zeitpunkt des ungeschützten Geschlechtsverkehrs vor mehr als 120 Stunden
- Verdacht auf sexuell übertragbare Infektionskrankheiten (u. a. Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Hepatitis B und C)
- Verdacht auf vorliegende Schwangerschaft
- Verdacht auf sexuellen Missbrauch
Wirkmechanismus
Der Zyklus der Frau wird über die weiblichen Geschlechtshormone (Estrogene, Gestagene) gesteuert. Diese Steroidhormone werden in speziellen Drüsenzellen gebildet und stehen unter dem Einfluss des Luteinisierenden Hormons (LH) sowie des Follikelstimulierenden Hormons (FSH). Estrogene beeinflussen v. a. die zyklischen Veränderungen der Uterusschleimhaut, verändern die Viskosität des Zervikalsekrets und fördern die Reifung der Eizelle. Dementsprechend schwankt ihre Plasmakonzentration erheblich im Verlauf des Menstruationszyklus. Gestagene, die Schwangerschaftshormone (vom lat. gestatio = die Schwangerschaft), sind primär für die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft essenziell, indem sie den Eisprung in dieser Zeit verhindern.
Rund zwei Tage vor dem Eisprung steigt die Konzentration von LH, welches den Eisprung auslöst, sprunghaft an. An diesen beiden Tagen besteht mit etwa 30 % die höchste Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden. Die Pille danach hemmt die Follikelreifung und verschiebt den Eisprung, wenn sie rechtzeitig davor eingenommen wird. Weil die Überlebensdauer der Spermien begrenzt ist, sterben diese in der Zwischenzeit ab, eine Befruchtung der Eizelle wird damit verhindert.
- kombinierte hormonelle Kontrazeptiva: Verzögerung/Vergessen der Pilleneinnahme für mehr als zwölf Stunden
- Gestagen-Monopräparate: Verzögerung/Vergessen der Pilleneinnahme für mehr als drei bis zwölf Stunden (Präparate-abhängig)
- transdermale Verhütungspflaster: Vergessen/nicht korrektes Kleben des Pflasters für mehr als 24 Stunden
- Vaginalringe: Ring drei Stunden außerhalb der Vagina oder anwendungsfreies Intervall mehr als sieben Tage oder Vaginalring seit mehr als vier Wochen nicht mehr gewechselt
Levonorgestrel
Levonorgestrel ist ein synthetisches Gestagen und wirkt als Agonist am Progesteronrezeptor. Es ist in einer Einzeldosis von 1,5 mg zur Notfallkontrazeption zugelassen; in wesentlich niedrigerer Dosierung findet sich der Wirkstoff ebenso in kombinierten oralen Verhütungsmitteln. Levonorgestrel unterdrückt den zyklusabhängigen Anstieg von LH und zögert dadurch den Eisprung hinaus. Die Einnahme sollte optimalerweise innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr erfolgen, keinesfalls später als 72 Stunden (drei Tage) danach. Es ist nur wirksam, bevor der LH-Spiegel ansteigt, und verhindert nicht die Nidation der Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut.
Ulipristalacetat
Im Gegensatz zu Levonorgestrel handelt es sich bei Ulipristalacetat um einen sogenannten selektiven Progesteron-Rezeptormodulator. Der Arzneistoff verhindert das Andocken des körpereigenen Progesterons an seinen Rezeptor. In der Folge wird weniger LH freigesetzt, und der Eisprung verhindert bzw. verzögert. Darüber hinaus wird eine Hemmung der Nidation diskutiert. Ulipristalacetat wirkt auch noch, wenn der LH-Anstieg bereits begonnen hat. In einer Dosierung von 5 mg ist es ferner zur präoperativen Behandlung mittlerer bis starker Symptome durch Gebärmuttermyome bei erwachsenen Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter zugelassen, für die eine Operation vorgesehen ist, oder für die dreimonatige Intervalltherapie derselben Indikation, wenn eine Operation nicht infrage kommt.
Neben- und Wechselwirkungen
Grundsätzlich ist die Verträglichkeit beider Wirkstoffoptionen sehr gut. Dennoch empfiehlt es sich, Betroffene auf potenzielle unerwünschte Nebenwirkungen aufmerksam zu machen. Hierzu zählen insbesondere Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Magen-Darm-Störungen wie Durchfall, Brustspannen und Zyklusstörungen. Die Einnahme der Tablette mit einer kleinen Mahlzeit – z. B. einem Butterbrot oder etwas Ähnlichem – ist empfehlenswert. Untersuchungen haben ergeben, dass unter Levonorgestrel die nächste Menstruation tendenziell früher, bei Ulipristalacetat tendenziell später eintritt.
Sowohl Levonorgestrel als auch Ulipristalacetat sind CYP3A4-Substrate, die Behandlung mit CYP3A4-Induktoren in der letzten Woche kann die Wirksamkeit der Notfallkontrazeptiva dementsprechend beeinträchtigen. Beispiele für starke Induktoren sind die Antibiotika Rifampicin und Rifabutin, die Antiepileptika Phenytoin, Carbamazepin und Phenobarbital, die HIV-Medikamente Nevirapin und Efavirenz als auch Pharmaka mit Johanniskraut. Patientinnen, die solche Arzneimittel einnehmen, kann entweder die doppelte Dosis Levonorgestrel (3 mg) oder alternativ eine Spirale angeboten werden. Ulipristalacetat ist keine Option, da dessen Plasmaspiegel durch CYP-Induktoren stärker gesenkt wird als bei Levonorgestrel (vgl. Fachinformation).
Wichtige Abgabeinformationen
Generell sind vor der Abgabe etwaige Risikofaktoren für das Auftreten von Thrombosen zu erheben (u. a. Blutgerinnungsstörungen, Tabakkonsum, Tumor, Operationen). Gegebenenfalls wäre nach der Patientenaufklärung – aufgrund der hohen Hormonbelastung durch Levonorgestrel – Ulipristalacetat zu bevorzugen.
Unabhängig vom gewählten Präparat ist bei Erbrechen in den ersten drei Stunden eine erneute Einnahme erforderlich. Setzt die Patientin normalerweise hormonelle Kontrazeptiva zur Verhütung ein, kann sie diese wie üblich weiterverwenden. Bis zur nächsten Menstruation besteht jedoch kein Verhütungsschutz, weshalb ergänzend der Einsatz einer Barrieremethode (z. B. Kondom) notwendig ist.
Weitere Aspekte
Stillende Frauen sind darüber aufzuklären, dass beide Wirkstoffe in die Muttermilch übergehen und die Tablette idealerweise direkt nach dem Stillen eingenommen wird. Danach ist bei Levonorgestrel eine achtstündige Stillpause, bei Ulipristalacetat eine Stillpause von einer Woche zweckmäßig.
Ein wichtiges, in seiner Relevanz unterschätztes Thema sind sexuell übertragbare Erkrankungen (STD). Notfallkontrazeptiva schützen nicht vor STD – darauf sollten Kundinnen unbedingt behutsam aufmerksam gemacht werden. Überhaupt kostet es mitunter große Überwindung, in die Apotheke zu kommen und die Pille danach zu verlangen. Unter bestimmten Umständen – etwa bei offensichtlicher Verunsicherung oder peinlicher Berührtheit – ist ein Vier-Augen-Gespräch in einem räumlich abgetrennten Bereich zu bevorzugen.
Alternative: „Spirale danach“
Bei der Spirale danach handelt es sich um ein herkömmliches Intrauterinpessar (IUP), also einen kleinen T-förmigen Kunststoffträger, der mit Kupferdraht umwickelt sein kann (Kupferspirale). IUP sind im Grunde genommen für die langfristige Verhütung gedacht; entsprechend selten wird sich die Gelegenheit für eine Beratung in dieser Hinsicht bieten. Für Frauen, die ohnehin an eine permanente Kontrazeption gedacht haben, oder jene mit dauerhafter CYP3A4-Induktortherapie stellen IUP indessen eine sinnvolle Alternative zur Pille danach dar. Die Spirale muss durch einen Frauenarzt innerhalb von 120 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr platziert werden. Die kontrazeptive Wirkung tritt sofort nach dem Einsetzen ein und ist unabhängig von CYP-Induktion oder Erbrechen. Bei guter Verträglichkeit kann das IUP drei bis fünf Jahre in der Gebärmutter verbleiben.
Quellen
- Brache V et al.: Ulipristal acetate prevents ovulation more effectively than levonorgestrel: analysis of pooled data from three randomized trials of emergency contraception regimens. Contraception. 2013; 88(5):611-8
- Fachinformation: EllaOne®. Stand: August 2018
- Fachinformation: Vikela®. Stand: Dezember 2018
- Glasier AF et al.: Ulipristal acetate versus levonorgestrel for emergency contraception: a randomised non-inferiority trial and meta-analysis. Lancet. 2010; 375(9714):555-62
- Noé G et al.: Contraceptive efficacy of emergency contraception with levonorgestrel given before or after ovulation. Contraception. 2011; 84(5):486-92
- Shen J et al.: Interventions for emergency contraception. Cochrane Database Syst Rev. 2019; 1(1):CD001324