Eine gute Idee?

Notfall-Antibiotikum für die Reiseapotheke

Mag. pharm. Irene Senn, PhD
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Antibiotika © Shutterstock
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Die ÖAZ sprach mit Univ.- Prof. Dr. Florian Thalhammer über die korrekte Therapie einer Reisediarrhoe, das ideale Breitbandantibiotikum, Fälschungen und die Resistenzproblematik. 

ÖAZ Immer wieder werden Apotheker:innen mit dem Kundenwunsch konfrontiert, ein Notfall-Antibiotikum für die Reiseapotheke mitzugeben. Wie sollte man darauf reagieren?

Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer Reisezielabhängig kann ich den Wunsch nach einem Antibiotikum für die Reiseapotheke verstehen. Für Risikopatientinnen und -patienten ist es sogar nahezu ein Muss, denn manchmal könnte sonst die Zeit davonlaufen. Das gilt zum Beispiel für Personen unter Immunsuppression, nach einer Splenektomie oder nach eine Transplantation. Ein wesentlicher Punkt ist auch, wie gut informiert der beziehungsweise die Betroffene ist. Denn ein Zuckerl für ein – fieberhaftes – Wehwechen ist das Antibiotikum nicht; es hat auch Schattenseiten. Man denke an mögliche Nebenwirkungen und Interaktionen sowie an die langfristige Resistenzentwicklung. Bei Risikopersonen mit zahlreichen Medikamenten ist die Mitgabe aber jedenfalls sinnvoll, weil schon im Vorfeld ein Interaktionscheck gemacht werden kann. Aber natürlich sind Antibiotika verschreibungspflichtige Medikamente. Grundsätzlich muss vor jeder Antibiotikatherapie eine ärztliche Konsultation erfolgen – daran besteht kein Zweifel.

Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer  © AKH Wien
Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer © AKH Wien
 
Aktiv auf Social Media

Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer ist der Leiter der urologischen Infektionsambulanz am AKH Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT).

Seit Kurzem ist Univ.-Prof. Dr. Thalhammer auch auf Instagram aktiv (@derinfektiologe). Hier sollen interessierten Followern zeitnah relevante Informationen zu infektiologischen Themen zur Verfügung gestellt werden.


ÖAZ Sie sagen, dass die Notwendigkeit eines Notfall-Antibiotikums auch vom Reiseziel abhängig ist. Für welche Urlaubsdestinationen sehen Sie eine Antibiotika-Mitnahme als erforderlich an?

Thalhammer In den westlichen Industriestaaten ist die medizinische Versorgung prinzipiell gewährleistet, wobei der Zugang durch das länderspezifische Gesundheitssystem anders als in der Heimat sein kann. Auch wenn der Hut wirklich brennt – wie zum Beispiel bei einer Sepsis –, sehe ich hier absolut keinen Versorgungsengpass. Die Situation ist bei Reisen in Länder mit niedrigen medizinischen Standards beziehungsweise bei Individualreisenden anders zu bewerten. Grundsätzlich gilt: Je weiter die Zivilisation entfernt ist, desto größer wird meine Reiseapotheke sein. Dann kann es schon passieren, dass ich mein eigener Doktor bin, weil eine ärztliche Versorgung dann mehrere Tagesreisen entfernt ist. In diesen Fällen funktioniert oft eher noch das Handy, sodass ich mir telemedizinische Ratschläge holen kann.

ÖAZ Was sind die Top 3 der Infektionskrankheiten im Urlaub, die eine antibiotische Behandlung erforderlich machen können?

Thalhammer Die „Hot Topics“ werden natürlich ebenfalls vom Reiseziel und Reisestil maßgeblich beeinflusst. 
In Österreich dominieren bei „ungeimpften Naturmenschen“ durch Zeckenstiche übertragene Infektionen wie Babesiose, Borreliose, FSME oder Rickettsiosen. Für die FSME haben wir – dem Zufall sei Dank – eine mögliche Therapieoption entdeckt: Favipiravir. 
Ist mein Urlaubsziel eine europäische Hauptstadt, wird wahrscheinlich SARS-CoV-2 und mit etwas Pech eine nahrungsmittelassoziierte Durchfallerkrankung mein Hauptproblem sein. 
In wärmeren Regionen sind vor allem Mücken-assoziierte Infektionen differentialdiagnostisch ins Kalkül zu ziehen. Hier sind die beiden häufigsten Denguefieber und Malaria. Grundsätzlich gilt: Je exotischer die Reisedestination ist, desto mehr sollte man auch in die medizinische Vorbereitung investieren. Entsprechende Auskünfte bekommt man in tropenmedizinisch ausgerichteten Ordinationen, die zumeist auch die wichtigsten Impfstoffe inklusive Gelbfieber lagernd haben. In einer vom Konsumentenschutz erfolgten Bewertung war traveldoc.at am höchsten bewertet.

“Grundsätzlich muss vor jeder Antibiotikatherapie eine ärztliche Konsultation erfolgen – daran besteht kein Zweifel.“
 Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer


ÖAZ Wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Gefahr, im Urlaubsland im Fall des Falles eine Arzneimittelfälschung zu bekommen?

Thalhammer In Industrieländern muss ich nicht mit Arzneimittelfälschungen rechnen, ebensowenig in Touristenhochburgen in weniger entwickelten Ländern. Dieses Risiko ist überschaubar. Die größere Frage ist die Verfügbarkeit des Arzneimittels im Urlaubsland – und somit das stärkere Argument, eine entsprechend gut bestückte Reiseapotheke mit sich zu führen.

ÖAZ Gibt es gewisse Vorerkrankungen bzw. Anfälligkeiten, die die Mitgabe eines Antibiotikums immer rechtfertigen?

Thalhammer Wenn ich als Frau weiß, dass ich zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen neige, werde ich das passende Antibiotikum einpacken. Im Einzelfall ist es – abhängig von der Rezidivhäufigkeit – sicher auch überlegenswert, eine nicht-antimikrobielle Prophylaxe für die Urlaubsdauer einzunehmen, um einen ungestörten Urlaub genießen zu können. Personen mit Immunsuppression sind zweifelsfrei gut beraten, entsprechend vorzusorgen. Dies sind jedoch Einzelfallentscheidungen, die die Betroffenen mit ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten besprechen müssen. Wichtig ist auch, auf etwaige notwendige Impfungen nicht zu vergessen. In Abhängigkeit von der Art der Immunsuppression kann dies jedoch eine logistische Herausforderung sein. In diesem Zusammenhang sei auch auf Herpesinfektionen hingewiesen. Denn insbesondere JAK-Inhibitoren führen zu einem signifikant erhöhten Risiko für Herpes zoster. Dieses Risiko kann man jedoch mit der entsprechenden Schutzimpfung nahezu eliminieren.

ÖAZ Je nach Zielland sind 30–80 % aller Reisenden von einer Reisediarrhoe betroffen. Fast immer ist die Ursache eine fäkal-oral übertragene Infektionskrankheit. Was sind die häufigsten Auslöser?

Thalhammer Am häufigsten sind virale Gastroenteritiden; sie zeichnen sich durch eine kurze Krankheitsdauer von ein bis zwei Tagen aus. Danach folgen –abhängig von Reiseziel und Reisestil – bakterielle Toxine, lebensmittelassoziierte Bakteriosen wie Salmonella Enteritidis oder Campylobacter jejuni (beide selbstlimitierend), Shigellen oder Typhus (beide selten, meldepflichtig und behandlungsbedürftig) oder Parasiten wie Entamoeba histolytica oder Giardia lamblia. Bei parasitären Auslösern muss unbedingt auch an die Malaria gedacht werden, denn auch diese kann anfangs mit Durchfall einhergehen. Noroviren können typischerweise bei Kreuzfahrten zum Massenproblem werden. Und wenn wir schon von Viren sprechen: Die Hepatitis A- und -B-Impfungen sind obligat.

“In meiner Reiseapotheke finden sich als Basisausstattung Amoxicillin/Clavulansäure, ein Chinolon-Vertreter, Doxycyclin sowie Metronidazol.“
Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer


ÖAZ Wann wird eine Reisediarrhoe antibiotisch behandelt? Wann ist eine symptomatische Therapie ausreichend?

Thalhammer Akute Reisediarrhoen sind zu mehr als 90 % unkompliziert und selbstlimitierend. Vor der Einnahme von Motilitätshemmern sollte der Beipackzettel gelesen werden, da beispielsweise Loperamid bei Campylobacter- oder Salmonellen-assoziierten Durchfällen kontraindiziert ist. Hier wäre der Sekretionshemmer Racecadotril das Mittel der Empfehlung. Im Regelfall wird eine ausreichende Rehydrierung ausreichend sein. Nachweis von Blut oder Schleim im Stuhl, hohes Fieber, häufiges Erbrechen, starke Schmerzen, Kreislaufprobleme beziehungsweise ein starker Durchfall, der länger als 48 Stunden anhält, müssen als Alarmsignale gewertet werden. In diesen Fällen kann eine antimikrobielle Therapie indiziert sein. Rifaximin ist in dieser Indikation nicht empfehlenswert.

ÖAZ Gibt es bekannte Resistenzen in gewissen Gebieten, die bei der Auswahl des Antibiotikums berücksichtigt werden müssen?

Thalhammer Je nach Reiseziel können die bakteriellen Durchfallerreger Chinolon-, Azithromycin- oder Cotrimoxazol-resistent sein. Auch die Resistenzlage der Enterobakterien ist abhängig vom Urlaubsland und muss daher bei der Auswahl des Antibiotikums berücksichtigt werden. Zahreiche Studien belegen inzwischen, dass Touristinnen und Touristen nach der Rückkehr aus tropischen Ländern mit mehrfach resistenten Enterobakterien besiedelt sein können. Nach etwa drei Monaten verschwinden diese wieder aus dem Darm. Werden solche Personen stationär aufgenommen, sollten entsprechende Screening-Maßnahmen erfolgen. Im österreichischen AURES-Bericht (aures.at) sowie auf der Homepage der ECDC kann man sich über die aktuelle Resistenzlage informieren.

ÖAZ Kann man eine generelle Empfehlung für ein Breitbandantibiotikum geben?

Thalhammer In meiner Reiseapotheke finden sich als Basisausstattung Amoxicillin/Clavulansäure, ein Chinolon-Vertreter, Doxycyclin sowie Metronidazol. Damit sollten die wichtigsten Infektionsentitäten abgedeckt sein – vom Scheitel bis zur Sohle. Liegt eine zusätzliche Komorbidität vor, muss angepasst werden; leidet man unter rezidivierenden Herpesinfektionen wird zusätzlich Valaciclovir eingepackt.

ÖAZ Vielen Dank für das Gespräch!

Für die Praxis -
Antibiotika-App

Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer bietet seit 2013 eine App als Nachschlagewerk an – erhältlich für iOS und Android. 

Inhaltlich wird das gesamte Spektrum der Infektiologie knapp zusammengefasst: Die App bietet eine intelligente Navigation mit hilfreichen Verknüpfungen zwischen Wirkstoffen, Dosierungen, Keimspektren, Indikationen und Impfungen. Außerdem ist ein direkter Check von möglichen Nebenwirkungen möglich.

Die App wird quasi in Nachtarbeit von Prof. Thalhammer laufend erweitert und aktualisiert - die Affenpocken wurden bereits ergänzt. Der Preis für den End-User beträgt derzeit einmalig € 30,99 und inkludiert alle inhaltlichen und technischen Updates. 



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