Familienplanung

Chronisch krank im reproduktiven Lebensalter

Mag. pharm. Dr.  Alfred  KLEMENT
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Symbolbild für die menschliche Reproduktion. © Shutterstock
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Kaum ein Jugendlicher oder junger Erwachsener denkt an die Möglichkeit, krank zu werden; Männer noch seltener als Frauen. Sie haben wegen der Schwangerschaften und Stillzeit viel eher Kontakt zu medizinischen Einrichtungen, als die Männer, die zwischen 20 und 40 Jahren nicht oder nur selten in Ordinationen oder Apotheken anzutreffen sind. Aus der GEDA-(Gesundheit in Deutschland Aktuell-)Studie des Deutschen Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2012 stammen folgende orientierende Prozentangaben:

  • In der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre gaben 20,8 % der Frauen und 17,5 % der Männer an, von mindestens einer chronischen Krankheit betroffen zu sein.
  • In der Altersgruppe 30 bis 44 Jahre waren es 29,7 % der Frauen sowie 27,6 % der Männer.

Man kann in der Apotheke bei bekanntem Kinderwunsch vorsorglich auf einige grundsätzliche Aspekte hinweisen: Die meisten chronischen Erkrankungen müssen während der Schwangerschaft weiterbehandelt werden, wobei der Krankheitsverlauf sich hinsichtlich des Hormonhaushalts, des Immunstatus oder der Stoffwechselsituation verändern kann. Hierbei sind sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen möglich. In welchem Ausmaß eine Umstellung der chronischen Therapie erforderlich ist, kann nur ein Arzt oder Facharzt feststellen.

Ideal wäre es, wenn chronisch kranke Frauen mit Kinderwunsch vorsorglich darüber mit dem Arzt sprechen würden. Dann kann er notwendig werdende Anpassungsschritte in der Therapie ohne Zeitdruck schon frühzeitig in Betracht ziehen. Das gilt auch für die Berücksichtigung von familiären, genetischen Krankheiten. Allerdings sind 40 % der Schwangerschaften ungeplant.

Genetik – ein Thema in der Apotheke?

Hier kann man den Kundinnen nur ein Grundverständnis vermitteln, damit eventuelle Untersuchungen rechtzeitig eingeleitet werden.

Ist bei einem Elternteil eine chromosomale, monogene oder polygene Erkrankung bekannt, haben deren Töchter und Söhne sehr oft Bedenken, dass diese genetische Erkrankung an ihre künftigen Kinder weitergegeben wird. Ist der Erbgang dominant, wie bei Chorea Huntington („Veitstanz“), oder bei bestimmten Formen der Neurofibromatose, wird ein Kind das krank machende Gen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit erben. Ist der Defekt dagegen rezessiv, müsste das defekte Gen für einen Ausbruch der Erkrankung bei beiden Elternteilen vorliegen. Für eine prognostische Besonderheit sorgen Defekte auf dem X-Chromosom, wenn der Erbgang rezessiv erfolgt. Dann erkranken vorrangig die männlichen Nachkommen, während Frauen lediglich als Überträgerinnen fungieren. Ein Musterbeispiel sind die Patienten mit Hämophilien, also die sogenannten „Bluter“.

In vielen Fällen kann die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Erbkrankheit auftritt, durch Speziallabors für Humangenetik näher bestimmt werden. Betroffene Paare sollten daher diese Möglichkeit zur Beratung rechtzeitig wahrnehmen.

Hormonsensitives Mammakarzinom und Kontrazeption

Wird im reproduktiven Lebensalter ein hormonabhängiger Brustkrebs diagnostiziert und behandelt, stellt sich natürlich die Frage, ob hormonelle Kontrazeptiva gemieden werden sollen. Leider lässt sich diese Frage nicht eindeutig klären, weil trotz der langjährigen Anwendungsgeschichte der „Pille“ die Studiendaten dürftig sind. In den aktuellen S3-Leitlinien zum Mammakarzinom werden daher Barrieremethoden wie Kondome und Diaphragmen bzw. Kupferspiralen als sichere und unbedenkliche Alternative empfohlen.

Im Fall der Notfallkontrazeption („Pille danach“) bestehen keine Bedenken, weil eine einzelne Hormonbelastung das Langzeitrisiko von Brustkrebs nicht verändern wird.

Immunologische Erkrankungen

Darunter fallen Asthma bronchiale, Rheumatoide Arthritis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Multiple Sklerose (MS). Frauen erkranken doppelt so oft an MS wie Männer – Grund genug, sich näher mit der MS zu beschäftigen.

Multiple Sklerose (MS)

Der Beginn von MS im Alter zwischen 30 und 40 Jahren ist oft ein Anstoß, die Familienplanung zu überdenken. Die gute Nachricht dabei ist:

Frauen mit MS haben die gleichen Voraussetzungen schwanger zu werden wie Gesunde.

Eine Schwangerschaft wirkt sich prinzipiell positiv auf die Schubrate aus.

Die weniger gute Nachricht betrifft einige MS-Therapeutika, die für Schwangere ungeeignet sind. Der Arzt kann dann – je nach Verlauf der MS – zu einer Einnahmepause raten oder bei einer hohen Krankheitsaktivität, einen Wechsel auf andere Präparate vornehmen. Am häufigsten wird eine Umstellung bei Beta-Interferonen, Glatirameracetat und Dimethylfumarat notwendig sein.

Im Vordergrund steht bei den verwendeten MS-Medikamenten die Frage der Teratogenität. Fingolimod ist in der Schwangerschaft kontraindiziert und sollte bei einer geplanten Schwangerschaft etwa drei Monate vorher abgesetzt werden. Für therapeutisch wirksame Antikörper wie Rituximab (Off-Label-Use) und Ocrelizumab sowie Mitoxantron beträgt der Sicherheitsabstand vier Monate. Sollte eine hohe Krankheitsaktivität bestehen, ist die Gabe von Interferonen, Glatirameracetat und ausnahmsweise auch von Natalizumab gestattet.

Auch bei Männern sind teratogene Folgeerscheinungen einer MS-Medikation bekannt. Bei der Behandlung mit Teriflunomid, Cladribin und Mitoxantron dürfen deshalb im Abstand von sogar sechs Monaten nach Therapieende keine Kinder gezeugt werden. Cladribin und Mitoxantron beeinflussen darüber hinaus die Spermatogenese. Besteht ein Kinderwunsch, so kann man als Ausweg die Möglichkeit der Kryokonservierung von Spermien bzw. von Eizellen erwähnen.

Rheumatische Erkrankungen

Rheumatische Erkrankungen beeinflussen die Fruchtbarkeit per se nicht, unter Umständen jedoch die verwendeten Arzneimittel. Es gibt bekanntlich zahlreiche Formen von Rheuma – dementsprechend unterschiedlich sind die Behandlungsformen. Bei einigen rheumatischen Erkrankungen – u. a. dem Systemischen Lupus erythematodes (SLE) – besteht ein höheres Risiko sowohl für die Mutter (vermehrtes Auftreten von Schüben) als auch für den Feten (Fehl- und Frühgeburten, Herz- fehler). Die EULAR (European League against Rheumatism) empfiehlt daher, Estrogen-haltige Kontrazeptiva nur zu verwenden, wenn die Erkrankung gut kontrolliert ist.

Eine Rheumatoide Arthritis (RA) wird in der Schwangerschaft tendenziell gedämpft, der Entzündungsprozess nimmt aber meist nach der Geburt wieder zu. Eine geplante Schwangerschaft sollte möglichst in einer gut kontrollierten Erkrankungsphase beginnen. An Medikamenten sind Glucocorticoide, vorzugsweise Prednison/Prednisolon, die weniger placentagängig sind, Hydroxychloroquin, Sulfasalazin und Azathioprin einsetzbar. Tumornekrosefaktor (TNF-)Inhibitoren können zumindest in der ersten Hälfte der Schwangerschaft sicher verwendet werden. Wegen ihrer teratogenen Eigenschaften sind hingegen Cyclophosphamid, Methotrexat (MTX) und Mycophenolat kontraindiziert. Die Patientinnen sollten NSAR nach der 28. Schwangerschaftswoche nicht mehr einnehmen, weil die Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus botalli droht.

Für die Männer mit RA ist die Datenlage generell mangelhaft, und Studien zur Beeinflussung der Spermatogenese durch Antirheumatika sind rar. Eine reversible Beeinträchtigung findet sich bei Sulfasalazin – und seltener auch unter MTX-Therapie. Cyclophosphamid kann in hohen Dosen sogar eine irreversible Infertilität verursachen, deren Wahrscheinlichkeit und Dauer sich aber leider nicht voraussagen lässt.

Epilepsie

Bei Epilepsie und Kinderwunsch ist guter Rat teuer. Denn einige Antiepileptika wirken teratogen und machen eine sichere Verhütung nötig. Viele Frauen sind durch die Angaben im Beipackzettel verunsichert und nehmen ihre Antiepileptika unzureichend ein. Dabei sind epileptische Anfälle in der Schwangerschaft mit einem deutlich größeren Risiko für das ungeborene Kind verbunden. Besonders wichtig wäre der Hinweis auf eine begleitende Folsäuresubstitution.

Das Interaktionspotenzial zwischen Antiepileptika und hormonellen Kontrazeptiva ist ein latentes Problem. Vor allem ältere Arzneistoffe fungieren als starke Enzyminduktoren und können dadurch die Wirkung der Kontrazeptiva deutlich vermindern. Das gilt nicht nur für die „Pille“, sondern auch für andere systemisch wirkende Darreichungsformen wie Pflaster, Ring oder Implantat. Die Verwendung von oralen Kontrazeptiva mit höherer Estrogendosis und/oder höherem Gestagenanteil verhindert eine Konzeption nicht mit der Sicherheit wie bei gesunden Frauen. Ein Ausweg wäre, auf die doppelte Dosis eines niedrig dosierten Präparats auszuweichen und einen Langzyklus ohne Einnahmepause anzuwenden.

Teratogene Medikation im gebärfähigen Alter

In der Kommunikationskette Facharzt, Allgemeinmediziner und Apotheker können sich immer wieder schicksalshafte Fehler einschleichen, wenn sich einer auf den anderen verlässt. Deshalb sollte bei jeder Abgabe eines Teratogens der Risikoklassen 2 oder 3 (siehe Tabelle) an Frauen im gebärfähigen Alter das Risiko einer Fehlbildung angesprochen werden.

Tabelle
Teratogene Risiko durch die Medikation
Basisrisiko 3 %schwache 
Teratogene 
Risiko 4 %
gesicherte 
Teratogene 
Risiko bis 10 %
starke 
Teratogene 
Risiko bis 30%
Glucocorticoide, Lithium, Methimazol/Thiamazol/
Carbimazol und Trimethoprim/
Cotrimoxazol
Androgene, Cumarine, Carbamazepine, Cyclophosphamid, Methotrexat, Misoprostol, Penicillamine, Primidon, Phenytoin, Topiramat, Vitamin A, Zytostatika
systemische 
Retinoide (Acitretin, Etretinat, Isotretinoin, Tretinoin), Thalidomid, Myco­phenolat, Valproinsäure
Zum Vergleich: Das natürliche Risiko für grob strukturelle Fehlbildungen 
im ersten Trimenon liegt ohne Arzneimitteltherapie bei etwa 3 %.

Quellen

  • „Interdisziplinäre AWaaMF S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms“ AWMF-Registernummer: 032-045OL (www.awmf.org)
  • „The Use of Medication in Pregnancy“; Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 783-90. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0783
  • Auf der Homepage der Charité finden sich unter der Adresse https://www.embryotox.de/ ausführliche Angaben zur Embryotoxizität von Arzneimitteln in übersichtlicher Weise.  


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