Neue Richtlinie

Transparenz in der Arzneimittelerstattung

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Medikamentenherstellung © Shutterstock
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Parallelimportierte Arzneimittel (PI-AM) sind heute ein wichtiger Bestandteil der Arzneimittelversorgung der Patient:innen in Österreich. Weit über den ursprünglichen Hauptgrund der Kosteneinsparung fürs Gesundheitssystem hinausgehend, sind PI-AM nicht nur betriebswirtschaftlich für Apotheken attraktiv, sondern in Zeiten der Arzneimittelversorgungsengpässe oft eine praktikable und rasch verfügbare Lösung für so manches Patientenproblem bei knapper Arzneimittelverfügbarkeit. Dennoch scheint es so, als ob der Dachverband der Versicherungsträger eine komplexe Regelung bei der Abgabe an Patient:innen für notwendig erachtet. Für Apotheken könnte es zukünftig oft ein administrativer Prüf- und Dokumentationsakt werden, wenn ein parallelimportiertes Arzneimittel abgegeben werden soll. Die Ursache hierfür ist die Richtlinie RPI 2024, Verlautbarung Nr. 31 / 2024, welche mit 1. Juli 2024 in Kraft getreten ist. Diese Richtlinie wurde am 30.4. von der Konferenz der Sozialversicherungsträger beschlossen. Sie soll die Abgabe sowie Taxierung von parallelimportierten Arzneimitteln regeln.

Rechtsanwalt Mag. Jakob  Hütthaler-Brandauer von der Rechtsanwaltskanzlei Lawpoint © lukasdostal
Rechtsanwalt Mag. Jakob Hütthaler-Brandauer von der Rechtsanwaltskanzlei Lawpoint © lukasdostal

Das offizielle Ziel dabei ist, eine nachhaltige, gesicherte und wirtschaftlich vertretbare Versorgung der Versicherten mit Arzneispezialitäten nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Diese Richtlinie soll festlegen, wann und unter welchen Voraussetzungen in Apotheken (und Hausapotheken) parallelimportierte Arzneispezialitäten abgegeben werden können, ohne Retaxierungen befürchten zu müssen, wobei die Bedrohung mit der vollen Retaxierung, also nicht bloß der Differenz, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft, so Rechtsanwalt Mag. Jakob Hütthaler-Brandauer. 
Der Boxenstatus (Direktimport vs. Parallelimport) wird künftig wegweisend sein und für Apotheken Folgendes bedeuten:

A. Green-Box und Yellow-Box 
MIT / OHNE Preismodell:
a. Tragen sowohl Parallel- als auch Direktimport den gleichen Boxenstatus, darf entweder das parallelimportierte ODER das direktimportierte Arzneimittel abgegeben werden. Die verordnete PZN ist in diesem Fall unerheblich!
b. Bei Unterschieden im Boxenstatus (Parallelimport No-Box, Direktimport mit Preismodell erstattet) kommt es seitens der Sozialversicherung bei Abgabe eines parallelimportierten Arzneimittels zu einer Retaxierung!

B. No-Box:
Wenn Parallelimport und Direktimport der No-Box zugeordnet sind, ist jene Arzneispezialität abzugeben, die der Dachverband im Warenverzeichnis voraussichtlich kennzeichnen wird, ansonsten ist das günstigste AM abzugeben.
 
Die Richtlinie RPI 2024, Verlautbarung Nr. 31/2024 des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger erlangte am 1. Juli 2024 Rechtskraft.

Ist der im Erstattungskodex angeführte Direktimport nicht verfügbar, ist die Abgabe eines nicht im Erstattungskodex enthaltenen Parallelimports zulässig. In diesem Fall ist die preisgünstigste Alternative abzugeben. Der/die Apotheker:in hat die Nichtverfügbarkeit des Direktimports bei zwei Großhändlern zu dokumentieren.

Bei Arzneispezialitäten, die von einem Direct-to-Pharmacy-Vertriebsmodell (eigener Logistikdienstleister, nicht der pharmazeutische Vollgroßhandel) betroffen sind, ist jedenfalls ein Nachweis über die Nichtverfügbarkeit vom vertriebsberechtigten Unternehmen, das sich des Logistikdienstleisters bedient, einzuholen.

Mag. Bernd Grabner, Vizepräsident von PHAGO, Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler © PHAGO
Mag. Bernd Grabner, Vizepräsident von PHAGO, Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler © PHAGO

Alle diese Regelungen sind in der Praxis kaum umsetz- bzw. einhaltbar. Wie die Kennzeichnung in der No-Box aussehen wird, steht noch nicht fest. Die neue Regelung erhöht zwangsläufig den Aufwand bei der Abgabe und führt vor dem Hintergrund der allgemein schlechten Arzneimittelverfügbarkeit zu weiteren Einschränkungen in der Patientenversorgung. Zusätzliche, für die Versorgung relevante Mengen, die als Parallelimporte nach Österreich gebracht werden konnten, stehen künftig nicht mehr zur Verfügung.

Darüber hinaus bleibt die zeitnahe Patientenversorgung insbesondere bei Direct-to-Pharmacy-Vertriebsmodellen ohnehin schwierig. Auch die PHAGO, der Dachverband der Österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler, hat eine klare Meinung zu den Gefahren, die mit der Richtlinie RPI 2024 verbunden sind: „Als freiwillige Interessenvertretung ist die wichtigste Aufgabe der PHAGO-Mitgliedsbetriebe die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung für Österreich. Und genau hier befürchten wir eine Verschlechterung der Versorgungssituation in Österreich. Durch PI-AM konnten bisher Lieferengpässe bei Direktimportarzneispezialitäten entschärft werden.

“„Wir weisen seit Beginn dieses Jahres darauf hin, dass die geplante Regelung  unausgegoren ist und es noch deutliche Klarstellungen und Adaptierungen geben muss. Das betrifft nicht nur  die so nicht machbare Nullretaxierung und den Einlösezeitpunkt, sondern auch die praktische Umsetzung, u. a. in Verbindung mit der elektronischen Verarbeitung des Vorgangs. In dieser Form ist die Richtlinie von den Apothekenbetrieben jeden-falls nicht umsetzbar.““
Mag. pharm. Raimund Podroschko 1. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer 

Es ist unbestreitbar, dass Parallelimport eine effiziente Maßnahme gegen Versorgungsengpässe ist. Die Richtlinie des Dachverbandes steht der Zielsetzung einer möglichst großen Versorgungssicherheit der Österreichischen Patientinnen und Patienten klar entgegen, weil PI-AM bei Liefereinschränkungen oder gar Lieferausfällen oft als Ersatz verfügbar sind. Durch die Richtlinie wäre das zukünftig nicht mehr möglich“, so PHAGO-Vizepräsident Mag. Bernd Grabner. Außerdem sieht die PHAGO auch für Apotheken und Patient:innen Verschlechterungen bei Arzneimitteln, die durch ein Direct-to-Pharmacy-Vertriebsmodell an die Apotheken geliefert werden. Hier ergeben sich schon jetzt unabhängig von der Dringlichkeit – wie sie bei Spitalsentlassungen oder vor Wochenend- oder Feiertagen häufig gegeben sind – Probleme mit langen Lieferzeiten, die bei Apothekenbelieferungen über die Mitgliedsbetriebe der PHAGO nicht gegeben wären. Bekannterweise beliefert der pharmazeutische Vollgroßhandel in der Regel innerhalb von zwei Stunden so gut wie jede Apotheke. Bei Direct-to-Pharmacy-Vertriebssystemen ist diese engmaschige Versorgung einfach nicht gegeben. 

“„Wir brauchen an der Tara jedenfalls Abgabebestimmungen, die einfach, klar, gesetzeskonform und in der Praxis umsetzbar sind. Eine Nullretaxation aus formalen Gründen kann es schon  rein rechtlich nicht geben, da würden wir als ÖAK  auch ganz entschieden dagegen vorgehen.““
Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger 2. Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer

Um zumindest am Point-of-Sale den Aufwand und ein mögliches Risiko einer Retaxierung zu reduzieren, haben sich die Mitglieder des Verbandes der österreichischen Arzneimittelimporteure (VAI) entschlossen, ALLE Parallelimporte, die von einem Preismodell betroffen sind und möglicherweise nicht erstattet werden könnten, mit 1.7.2024 aus dem Programm zu nehmen.
Das bedeutet: Apotheken sind auf der sicheren Seite, wenn ab 1.7. parallelimportierte Arzneimittel beim pharmazeutischen Vollgroßhandel bestellt werden. Die Mitglieder des VAI beliefern den Großhandel nur mit parallelimportierten Arzneimitteln, die auch taxierbar sind. 
Darüber hinaus hat der Dachverband der Parallelhändler VAI ein juristisches Gutachten bei Univ.-Prof. MMag. Dr. Michaela Windisch-Grätz, Institutsvorständin des Universitätsinstitutes für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, zu Fragen der Rechtsstellung von Parallelimporteuren im Rahmen des Erstattungssystems der sozialen Krankenversicherungen in Auftrag gegeben, um bei Preismodellprodukten eine transparente und vor allem praktikable Regelung zu erreichen. 

Dieses Rechtsgutachten befasst sich einerseits mit der Frage des anwendbaren Erstattungspreises auf den Parallelimport, andererseits aber auch mit der Auswirkung der neuen Richtlinie. 

Das Gutachten sieht eine klare Unionsrechtswidrigkeit, die auch ein Vertragsverletzungsverfahren zur Folge haben kann. Durch die RPI 2024 werden die der Transparenz geschuldeten Regelungen des ASVG im Zusammenhang mit dem Erstattungskodex umgangen. „Der Dachverband wollte mit Preismodellen den Kassenverkaufspreis drücken. Sie basieren auf privatrechtlichem Handel eines öffentlichen Rechtsträgers und sind aus dem Blickwinkel der Transparenz fraglich bis problematisch. Jedenfalls aber können sie keine Wirkung gegenüber Dritten entfalten, die keine Parteien des Vertrags über ein Preismodell sind“, so der auf Arzneimittelrecht spezialisierte Rechtsanwalt Mag. Jakob Hütthaler-Brandauer. 

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