Interview

„Steter Tropfen höhlt den Stein“

Mag. pharm. Irene Senn, PhD
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Mag. pharm. Martina Jeske, MSc, aHPh, Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker:innen (AAHP) und Leiterin der Anstaltsapotheke in Innsbruck © Die Fotografen
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Kurz vor der Sommerpause wurde im Parlament eine vermeintlich kleine Änderung im Apothekengesetz beschlossen (siehe Kasten unten). Für die Krankenhauspharmazie kann der neue Passus jedoch als Meilenstein bezeichnet werden. Die ÖAZ sprach mit Mag. pharm. Martina Jeske, MSc, aHPh, Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker:innen (AAHP) und Leiterin der Anstaltsapotheke in Innsbruck über Hintergründe, Auswirkungen und ihre nächsten Ziele.

ÖAZ "Mit der Änderung des Delegationsrechtes wurde ein wichtiger Schritt gesetzt, der die Kompetenzen der im Krankenhaus tätigen Pharmazeut:innen maßgeblich erweitert. Welche konkreten Veränderungen ergeben sich daraus für die Praxis?"

Mag. pharm. Martina Jeske, Msc, ahph "Das ist eine wichtige Frage, denn die rechtliche Situation wird oft missverstanden. Wir sprechen hier von Tätigkeiten, die unter den sogenannten „Tätigkeitsvorbehalt der Ärzte“ fallen. Ärzt:innen dürfen diese Tätigkeiten aber an andere Berufsgruppen delegieren, wie das beispielsweise bei der Pflege in vielen Bereichen der Fall ist. Die Problematik für uns Apotheker:innen war bis dato, dass im Apothekengesetz das entsprechende „Gegenstück“ fehlte, welches besagt, dass die Tätigkeiten nach ärztlicher Delegation von uns auch durchgeführt werden dürfen. Das wurde jetzt ergänzt. Die Entscheidung über die konkrete Umsetzung obliegt dem jeweiligen Krankenhaus bzw. Träger. Eine mögliche und gängige Praxis ist es, diese Prozesse durch SOPs, Handlungsanleitungen oder sonstige Dokumente zu regeln. Wichtig zu erwähnen ist aber, dass die Indikationsstellung für eine Arzneimitteltherapie und die Anordnungsverantwortung weiterhin bei den Ärzt:innen bleibt. Wir Apotheker:innen tragen hingegen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der ärztlichen Anordnung."

Neuer Passus
Apothekengesetz 

Im Artikel 3 des Apothekengesetztes (ApoG) wurde folgende Ergänzung eingefügt:

Tätigkeiten nach ärztlicher Anordnung

§ 36a. Apotheker sind in Krankenanstalten nach 
Maßgabe ärztlicher oder zahnärztlicher Anordnung oder nach Maßgabe einer ärztlich freigegebenen schriftlichen Handlungsanleitung zu folgenden Tätigkeiten berechtigt:

  1.  Austausch eines verordneten Arzneimittel
  2. Anpassung der Darreichungsform, Menge und Stärke des verordneten Arzneimittels
  3. Beendigung, Fortsetzung oder Unterbrechung der Arzneimitteltherapie


ÖAZ "Wie war bislang die gelebte Praxis bei Austausch, Anpassung oder Beendigung einer Arzneimitteltherapie?"

Jeske "Das wurde sehr unterschiedlich gehandhabt, je nachdem, wie weit sich die Häuser da hinauslehnen wollten – weil es ja keine rechtliche Grundlage gab. Bislang durften wir nur Empfehlungen abgeben, die Entscheidung lag aber immer auf ärztlicher Seite – selbst bei banalen Dingen wie einem generischen Austausch. Mit dem neuen Gesetzespassus dürfen wir die dort genannten Tätigkeiten nun eigenverantwortlich durchführen und die finale ärztliche Freigabe kann entfallen. Die beiden größten Vorteile sind sicher, dass wir nun Rechtssicherheit haben und unsere Prozesse effizienter gestalten können."

ÖAZ "Was sind die Voraussetzungen dafür, dass Apotheker:innen die delegierten Tätigkeiten übernehmen können?"

Jeske "Es muss sichergestellt werden, dass die jeweiligen Kolleg:innen für die delegierten Tätigkeiten fachlich befähigt sind und die Aufgaben qualitätsvoll umsetzen können. Das gilt für uns genauso wie für jede andere Berufsgruppe. In Österreich haben wir mit der Krankenhaus-Fachapothekerausbildung eine sehr gute Voraussetzung. Wenn es zukünftig auch um die Weiterverordnung von Arzneimitteln gehen soll – im Sinne der „prescribing pharmacists“, wie wir das aus englischsprachigen Ländern kennen – kann in Abhängigkeit von der Art des „Prescribings“ eine entsprechende Zusatzqualifikation nötig sein. Das erwähne ich, weil wir in einem nächsten Schritt die Weiterordnungskompetenz im Rahmen des Entlassungsmanagement für die poststationäre Patientenversorgung mit den politischen Entscheidungsträger:innen diskutieren werden."

ÖAZ "Was sind weitere wichtige Ziele für die Zukunft, um die Arbeit von Krankenhauspharmazeut:innen zu verbessern?"

Jeske "Was wir in Österreich dringend brauchen und uns im Vergleich zu anderen Ländern fehlt, sind klare Qualitätskriterien zur Optimierung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Wir haben viele Kolleg:innen, die sich in Leuchtturmprojekten engagieren. Das ist toll; unser Ziel muss es aber sein, allgemeine Qualitätskriterien zu definieren, die für ganz Österreich gültig sind. Es gibt Länder, in denen z. B. der Medikationsabgleich bei der Aufnahme im Krankenhaus bereits gesetzlich vorgeschrieben ist. Da gestaltet sich die Umsetzung einfacher, als wenn man alle erst davon überzeugen muss, wie wichtig das ist."

ÖAZ "Sie sind laufend in Kontakt mit den politischen Entscheidungsträger:innen. Wie verliefen die Verhandlungen zu dieser Gesetzesänderung?"

Jeske "Die Änderung wurde bereits 2023 bei der Frühjahrsversammlung vorgestellt, nachdem sie im Vorfeld mit Mag. Eichtinger von der Apothekerkammer erarbeitet worden war. Mit diesem Entwurf gingen wir zum Bundesministerium und Mag. Wunder lud die zuständigen Beamten in die Krankenhausapotheke nach St. Pölten ein, um sie vor Ort von den Vorteilen zu überzeugen. Unser Einsatz war erfolgreich."

ÖAZ "Wie wird diese Neuerung von Ärzteseite aufgenommen?"

Jeske "Die Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft ist sehr gut. Unser Vorteil in der Krankenhauspharmazie ist, dass wir in multiprofessionellen Teams arbeiten. Ärzt:innen und Apotheker:innen haben im Krankenhaus einen gemeinsamen Arbeitgeber und ein gemeinsames Ziel: die Versorgung der Patient:innen möglichst sicher und effizient umzusetzen. Da haben wir es wohl etwas leichter als im niedergelassenen Bereich."

ÖAZ "Wäre eine vergleichbare Kompetenzerweiterung auch für Kolleg:innen in öffentlichen Apotheken wünschenswert?"

Jeske "Der Patientenbetreuungsprozess ist immer multiprofessionell. Dementsprechend fände ich es genauso erstrebenswert, dass das interprofessionelle Arbeiten auch im niedergelassenen Bereich eine gesetzliche Grundlage erfährt und die Berufsgruppen sich entsprechend ihrer Kompetenzen maximal einbringen können. Hier liegt sonst sehr viel Wissen brach. Wie man so schön sagt: „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Der Schritt, den wir jetzt geschafft haben, hat sicher eine gute Basis geschaffen."

ÖAZ "Danke für das Gespräch!"

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