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Wie das Gehirn unbewusst aus Erfahrungen lernt

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Eine Studie, die unter der Leitung der University of California Los Angeles und mit Beteiligung von Dr. Davide Ciliberti vom Institut für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durchgeführt wurde, bestätigt dies. Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, basieren auf der Messung einzelner Nervenzellen bei Epilepsiepatienten. Diese Erkenntnisse könnten innovative Ansätze für die Behandlung von Gedächtnisstörungen, etwa bei Alzheimer, ermöglichen.

Das Gehirn speichert nicht nur bewusst Informationen, sondern erfasst auch automatisch zeitliche Abläufe und räumliche Strukturen. Diese Prozesse, die zentral für Lernen und Gedächtnis sind, finden im Hippocampus und im entorhinalen Kortex statt – Gehirnregionen, die mit Standardmethoden wie der Elektroenzephalografie (EEG) schwer zugänglich sind. Die Forscher nutzten daher intrakranielle Elektroden, die bei Epilepsiebehandlungen implantiert werden. Diese Technologie erlaubte es, die Aktivität von mehr als tausend Nervenzellen mit Millisekundenpräzision zu messen.

„Wir konnten zeigen, dass das Gehirn zeitliche Muster erkennt und speichert – und das völlig unbewusst“, erklärt Dr. Davide Ciliberti, der die Arbeitsgruppe Kognitive Elektrophysiologie und Neurotechnologie am IKND in Magdeburg leitet.

Eine „innere Landkarte“ der Zeit

Im Rahmen der Studie wurden 17 Epilepsiepatienten mit implantierten Elektroden untersucht. Während des Experiments betrachteten sie sechs Bilder – darunter Fotos prominenter Persönlichkeiten – die in einer unsichtbaren, pyramidenförmigen Struktur angeordnet waren. Das Experiment hatte drei Phasen: Zunächst wurden die Bilder zufällig gezeigt. Anschließend wurden sie in einer festen Reihenfolge präsentiert, die der Pyramidenstruktur entsprach, ohne dass die Teilnehmenden darüber informiert wurden. In der letzten Phase wurden die Bilder wieder in zufälliger Reihenfolge dargestellt, um herauszufinden, ob das Gehirn die zuvor erlernte Struktur gespeichert hatte.

Die Forscher stellten fest, dass Nervenzellen im Hippocampus und im entorhinalen Kortex die zeitlichen Zusammenhänge zwischen den Bildern abspeicherten. Anfangs reagierten die Zellen nur auf ein bestimmtes Bild, doch später zeigten sie auch Aktivität bei Bildern, die in der Pyramidenstruktur miteinander verknüpft waren. „Die Nervenzellen hatten das Muster verinnerlicht und konnten dadurch in gewisser Weise vorhersagen, welches Bild als Nächstes folgen würde“, erläutert Ciliberti. Diese neuronalen Muster blieben selbst dann bestehen, als die Bilder wieder in zufälliger Reihenfolge gezeigt wurden.

Besonders faszinierend für die Wissenschaftler war, dass die Nervenzellen die Reihenfolge der Bilder in einer beschleunigten Form erneut „abspielten“ – ein Phänomen, das als Replay bekannt ist. Diese Wiederholungen könnten eine wichtige Rolle bei der Festigung des Gelernten spielen. „Unsere Forschung zeigt, dass das Gehirn unbewusst zeitliche Muster speichert und wieder abruft. Diese Fähigkeit ist essenziell für unser episodisches Gedächtnis und hilft uns, zukünftige Ereignisse vorherzusehen“, erklärt Dr. Ciliberti.

Neue Perspektiven für die Erforschung des Gedächtnisses

Dank der verwendeten Technik eröffnet sich der Forschungsgruppe von Dr. Ciliberti die Möglichkeit, die Mechanismen des Gedächtnisses in bisher unerreichter Genauigkeit zu untersuchen. „Mit dieser Methode können wir menschliche Nervenzellen mit höchster Präzision dabei beobachten, wie sie neue Informationen verarbeiten. Ich freue mich, diese Technologie nach Magdeburg zu bringen und weiterzuentwickeln, um neurologische Erkrankungen wie Alzheimer besser zu verstehen“, so Ciliberti.

Langfristig könnten diese Erkenntnisse die Entwicklung neuer Neurotechnologien fördern, die Gedächtnisverlust und andere kognitive Störungen gezielt behandeln.

Studien:

Naddaf, M. How Your Brain Detects Patterns in the Everyday: Without Conscious Thought. Nature 2024, 634 (8032), 20–20. https://doi.org/10.1038/d41586-024-03116-8

Tacikowski, P.; Kalender, G.; Ciliberti, D.; Fried, I. Human Hippocampal and Entorhinal Neurons Encode the Temporal Structure of Experience. Nature 2024, 1–8. https://doi.org/10.1038/s41586-024-07973-1

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