Chronische Verstopfung wird meist unwillkürlich mit älteren Menschen assoziiert. Dennoch plagt sie oft gerade die kleinsten Apothekenkund:innen. Im Alter von zwei Jahren sind etwa 15 % der Kinder betroffen¹, und die Häufigkeit ist weltweit steigend.² Einige Länder gehen sogar schon von einem Anteil von 20 % aller Kinder unter zehn Jahren aus.² Beim überwiegenden Teil der betroffenen Kinder können keine organischen Ursachen gefunden werden; man spricht von funktioneller Obstipation.³
- Funktionelle Obstipation (früher: Habituelle oder Idiopathische Obstipation): macht über 90 % der Fälle aus; es ist keine strukturelle, endokrine oder metabolische Ursache erkennbar.3
- exogene Störfaktoren:
- situative Änderungen (z. B. neue Umgebung, neuer Tagesrhytmus durch Reise, Schuleintritt etc.)
- Medikamente (z. B. Eisenpräparate, Antikonvulsiva)
- Schmerzen bei der Defäkation durch perianale Entzündungen, Rhagaden, Fissuren
- psychischer Stress (Zeitdruck rund um den Toilettengang, Umstellungsvorgänge beim Sauberwerden, Konflikte in der Familie)
- alimentär: Nahrungsumstellung (von Muttermilch auf Flaschennahrung oder von Flaschen- auf Breinahrung), wenig Ballaststoffe und Flüssigkeit - Allgemeinerkrankungen: Schilddrüsenunterfunktion, Zöliakie, Diabetes mellitus, Elektrolytstörungen, Cystische Fibrose, Nahrungsmittelallergie (z. B. Kuhmilchunverträglichkeit)
- kolorektale Erkrankungen und anatomische Anomalien: Morbus Hirschsprung (angeborenes Fehlen von Ganglienzellen in bestimmten Darmabschnitten), anorektale Fehlbildungen, stenosierende Prozesse (z. B. Raumforderung durch Tumoren), Spina bifida
Funktionelle Obstipation: nicht nur auf die Stuhlfrequenz achten
Die Stuhlfrequenz allein ist kein verlässlicher Indikator für funktionelle Obstipation, da sie bei Kindern wesentlich variabler ist als bei Erwachsenen. Zudem ist sie abhängig von der Altersstufe und von der Ernährung. So können voll gestillte Säuglinge 1- bis 8-mal täglich oder nur alle zehn Tage Stuhl entleeren,⁴ während Säuglinge mit Flaschennahrung 2- bis 4-mal pro Tag Stuhlgang haben. Bei Klein- und Schulkindern pendelt sich die Frequenz zwischen 1- und 3-mal täglich und alle zwei Tage ein.⁴ Die Rome Foundation, die sich mit der Diagnostik und Behandlung funktioneller gastrointestinaler Störungen befasst, hat in ihren 2016 veröffentlichten Rome-IV-Kriterien auch die funktionelle Obstipation bei Kindern beschrieben. Sie nennt neben der Stuhlfrequenz viele weitere diagnostische Merkmale für Kinder unterschiedlicher Altersstufen.
funktionelle Obstipation
bei Kindern bis 4 Jahre
mindestens 4 Wochen lang zumindest zwei der folgenden Kriterien:
- zwei oder weniger Stuhlgänge pro Woche
- Rückhaltemanöver bzw. Stuhlretention
- schmerzhafte Entleerung oder harte Stuhlkonsistenz
- Vorhandensein großer Stuhlmassen im Rektum
- gelegentliche Entleerung großkalibriger Stuhlmassen
- bei Kindern, die bereits Sauberkeit erlangt haben: mindestens eine Episode von Stuhlschmieren/Stuhlinkontinenz pro Woche
Schmerzhafter Stuhlgang und Rückhaltemanöver: ein Teufelskreis
Bei älteren Säuglingen und Kleinkindern beginnt die Obstipation häufig mit einer schmerzhaften oder unangenehmen Stuhlentleerung.³ Auslöser können lokale Irritationen sein, wie etwa kleine Fissuren am Darmausgang², ein etwas härterer Stuhl nach einer leichten Dehydratation, vorangegangene Durchfalls-erkrankungen² oder einfach eine Veränderung im Tagesrhythmus, z. B. während des Urlaubs. Um weitere unangenehme Erfahrungen mit dem Stuhlgang zu vermeiden, beginnt das Kind nun, den Stuhl zurückzuhalten.
Dies führt in einen Teufelskreis: Durch das Einhalten härtet der Stuhl weiter aus und kann nur noch unter mühevollem Pressen abgesetzt werden. Es können sich großvolumige Stuhlballen ansammeln, die beim Entleeren wiederum Schleimhauteinrisse und damit weitere Schmerzen produzieren. In der Folge verstärkt das Kind sein Bemühen, den Stuhl zurückzuhalten.
Folgen der chronischen Obstipation
Dauert das Stuhlverhalten über einen langen Zeitraum an, so können die Folgen gravierend sein: Es führt zu einer chronischen Überdehnung und Tonusverlust des Enddarms. Diese Veränderungen stören den normalen Regelkreis der Stuhlentleerung. Während der Stuhl in der Ampulle des Rektums normalerweise ein Signal ans Gehirn erzeugt, welches in weiterer Folge zu Stuhldrang und Stuhlentleerung führt, können die betroffenen Kinder den Stuhldrang gar nicht mehr oder nur sehr spät wahrnehmen.² Oberhalb der verhärteten Stuhlmassen wird der Darminhalt bakteriell zersetzt und verflüssigt. Kann dieser flüssige Stuhl plötzlich nicht mehr zurückgehalten werden, entsteht eine paradoxe Diar-rhoe.¹
Auch eine Überlauf-Enkopresis, das sogenannte Stuhlschmieren, ist charakteristisch für chronische Obstipation; dabei entleeren sich aus dem überdehnten Rektum immer wieder kleinere oder größere Mengen Fäzes in die Unterwäsche, ohne dass das Kind es merkt. Sogar die Blase kann durch die Obstipation in Mitleidenschaft gezogen werden – in ausgeprägten Fällen kann sie durch den verstopften Darm so unter Druck kommen, dass eine Enuresis (Einnässen) entsteht. Bauchschmerzen, Blähungen, Appetitstörungen und psychosoziale Probleme können bei chronisch obstipierten Kindern ebenfalls auftreten, sind aber nicht obligat.
Therapie
Nach der Diagnosestellung und dem Ausschluss organischer Ursachen leitet die Kinderärztin/der Kinderarzt eine Therapie ein, die im Allgemeinen aus mehreren Säulen besteht:
- Aufklärung der Eltern und ggf. auch des Kindes über Vorgänge der Darmfunktion und den Teufelskreis der Obstipation²; Entmystifizierung und Abbau von Schuldzuweisungen
- medikamentöse Therapie: Desimpaktion (initiale Entleerung der angestauten Stuhlmassen) und Erhaltungsbehandlung (zum konsequenten Weichhalten des Stuhls und Wiedererlernen einer schmerzlosen Defäkation)
- Stuhltraining: Kinder, die bereits die Toilette benutzen, können lernen, den gastrokolischen Reflex wieder zu nutzen. Jüngere Kinder sollten sich dabei nach den Hauptmahlzeiten für fünf Minuten, Schulkinder für zehn Minuten routinemäßig und ohne Erfolgsdruck in angenehmer Atmosphäre auf die Toilette setzen. Ergänzend können spielerische Übungen der Bauchpresse und Beckenbodenmuskulatur verwendet werden.
- Ernährungsberatung: Aufgrund der multifaktoriellen Genese der funktionellen Obstipation können Ernährungsempfehlungen allein die Symptomatik nicht beheben. Eine normale, altersgemäße Mischkost ist empfehlenswert.² Als Risikofaktoren werden ballaststoffarme Ernährung, eine nicht-IgE-vermittelte Kuhmilch-eiweißallergie und übermäßiger Milchkonsum diskutiert.² Evidenzbasierte Empfehlungen sprechen sich jedoch nicht für die Gabe von Ballaststoff-Supplementen aus; genauso gibt es keine Evidenz für die Wirkung von übermäßiger Flüssigkeitszufuhr, verstärkter körperlicher Bewegung oder Probiotika.⁵ Empfohlen werden Flüssigkeit, Ballaststoffe und Bewegung in einem normalen Ausmaß.⁵
Medikamentöse Behandlung
Bei der medikamentösen Therapie müssen zwei Phasen unterschieden werden: die initiale Desimpaktion, d. h. eine Anfangsbehandlung zur Entleerung alter, angestauter Stuhlmassen, und die Erhaltungstherapie zum längerfristigen Weichhalten des Stuhls.²
Desimpaktion
Als Mittel der ersten Wahl zur Desimpaktion gilt oral angewendetes Macrogol 3350 bzw. 4000.²´⁵ Dieses wird entweder in täglich steigender Dosis bis zur vollständigen Desimpaktion angewendet² oder aber in gleichbleibender Dosis für drei bis sechs Tage in einer Dosierung von 1−1,5 g pro kg KG pro Tag.²´⁵ Macrogol ist geschmacklos und wird weder resorbiert noch biotransformiert. Es besitzt eine gute Studienlage und ist auch bei längerer Anwendung unbedenklich. Macrogol bindet das Wasser, mit dem es eingenommen wird, und transportiert es bis in den Dickdarm. Es erhöht das Stuhlvolumen und dadurch die Motilität des Colons; der erweichte Stuhl erleichtert die Defäkation.⁶
Die Anwendung von Klysmen zur Desimpaktion (1 x tägl. über 3 bis 6 Tage) ist gegenüber Macrogol nur Mittel der zweiten Wahl. Gemäß Leitlinie sollten sie nur dann verwendet werden, wenn Macrogol nicht verfügbar ist.⁵ Einerseits ist die Wirkung von oralem Macrogol gut belegt, andererseits kann die Anwendung von rektalen Methoden die Gefahr der Traumatisierung des Kindes mit sich bringen.
Erhaltungstherapie
Nach der erfolgreichen Desimpaktion gilt es, den Stuhl durch eine medikamentöse Erhaltungstherapie konsequent weich zu halten. Nur so kann das Kind wieder erlernen, dass die Stuhlentleerung nun nicht mehr schmerzhaft ist.² Mittel der Wahl ist auch hier Macrogol. Empfohlen wird eine Anfangsdosierung von 0,4 g pro kg KG pro Tag⁵, welche je nach klinischem Ansprechen individuell adaptiert wird.
Die Erhaltungstherapie ist dann richtig dosiert, wenn der/die kleine Patient:in mindestens fünf schmerzlose Stuhlentleerungen pro Woche hat, kein weiteres Einkoten erfolgt, und das Kind auch keine Rückhaltemanöver mehr durchführt.²
Die zusätzliche Anwendung von Klistieren (z. B. Sorbit-Klysmen) zur Erhaltungstherapie gemeinsam mit Macrogol ist nicht empfohlen. Lactulose ist gemäß Studienlage in der Erhaltungstherapie weniger effektiv als Macrogol. Sie gilt als sicher für alle Altersstufen, wird aber nur empfohlen, wenn Macrogol nicht verfügbar ist.⁵
Therapiedauer und Prognose
Die Therapiedauer beträgt in der Regel Wochen bis Monate, im Ausnahmefall auch mehrere Jahre. Alle Beschwerden sollten zumindest für ein Monat verschwunden sein, bevor ein Ausschleichen der Therapie überlegt wird.⁵ Die Prognose ist umso günstiger, je früher die Therapie begonnen wird – möglichst innerhalb von drei Monaten nach Auftreten der Obstipation.³
Quellen:
1 Förg T., Pädiatrie Basics, Urban & Fischer Verlag, 4. AFL 2019
2 Ennigner A., Chronische Obstipation im Kindesalter, Consilium Themenheft 01/2018
3 Keller K., Koletzko S., Buderus S.; Funktionelle Störungen des Darms bei Kindern und Jugendlichen, d.Medpedia SpringerMedizin
4 Koletzko B., Kinder- und Jugendmedizin, Springer Verlag, 13. AFL
5 Evaluation and Treatiment of Functional Constipation in Infants and Children: Evidence-Based Recommendations from ESPGHAN and NASPHAN, 2014
6 Austria-Codex Fachinformation