Die Lyme-Borreliose ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Infektionskrankheit in Europa. Benannt wurde das Krankheitsbild nach dem US-amerikanischen Ort Lyme, wo 1975 als Erstes der Zusammenhang zwischen Zeckenstichen und dem Auftreten von Gelenksentzündungen beobachtet wurde.
Erreger und klinische Manifestationen
Die krankheitsursächlichen Borrelien sind helixförmige Bakterien, die zu den Spirochäten gehören. Bisher gelten sechs Genospezies aus dem Borrelia-burgdorferi-sensu-lato-Komplex als gesichert humanpathogen. Fünf davon kommen in Europa vor: B. afzelii, B. garinii, B. bavariensis, B. burgdorferi senso stricto und B. spielmaniis.³ Eine weitere wurde bislang nur in den USA gefunden, nämlich B. mayonii. Bei einigen weiteren Spezies ist die Humanpathogenität noch unklar.
Die meisten Infektionen mit B. burgdorferi ziehen keinerlei Symptome nach sich.⁵ Kommt es zu einer Erkrankung, so kann sich diese an verschiedenen Organsystemen manifestieren:
- an der Haut (Erythema migrans, Borrelien-Lymphozytom, Acrodermatitis chronica atrophicans)
- am Nervengewebe (frühe und späte Neuroborreliose)
- an den Gelenken (Lyme-Arthritis)
- am Herzen (Lyme-Karditis
Gängig ist die Einteilung in Früh- und Spätmanifestationen.
Übertragung
Schildzecken (in Europa bevorzugt Ixodes ricinus, der Gemeine Holzbock) übertragen Borrelien im Rahmen ihrer Blutmahlzeit auf den Menschen, aber auch auf Vögel, Mäuse und andere Wirtstiere. Dabei wandern die Borrelien zuerst vom Darm der Zecke in deren Speicheldrüsen, wo sie immunsuppressive Speichelproteine binden und gemeinsam mit dem Speichel in die Stichwunde sezerniert werden.³ Dieser Vorgang erfolgt jedoch nicht unmittelbar nach dem Ansaugen, sondern erfordert, abhängig vom Erreger, zumindest einige Stunden.⁵ Es ist daher sinnvoll, unmittelbar nach Aufenthalten im Freien den Körper auf Zecken abzusuchen und diese so rasch als möglich zu entfernen. Obwohl die Borrelienübertragung einen längeren Zeckenkontakt erfordert, können sich überraschend viele Infizierte nicht daran erinnern: bis zu 50 % der Betroffenen verneinen in der Anamnese einen Zeckenstich.⁴
Da Insekten eine wesentlich kürzere Saugzeit aufweisen als Zecken, geht man davon aus, dass diese als Vektoren für Borrelien kaum geeignet sein dürften. Laut RKI ist eine Übertragung von Borrelien durch blutsaugende Insekten bis dato auch nicht sicher dokumentiert.⁵
Lokalisierte Frühmanifestation an der Haut: das Erythema migrans
Ausgehend von der Einstichstelle breiten sich die Borrelien zentrifugal in der Dermis aus und rufen dabei eine lokalisierte Hautentzündung hervor. Die Inkubationszeit zwischen dem Zeckenstich und der Entstehung dieses Erythema migrans kann zwischen 3 und 30 Tagen betragen (Median: 7–10 Tage).⁵ Aus diesem Grund wird empfohlen, jeden Zeckenstich sechs Wochen nachzubeobachten.³ Das typische Erythema migrans ist ein scheibenförmiges, nicht erhabenes Erythem rund um die sichtbare Einstichstelle, das sich zunehmend ausbreitet und für Betroffene subjektiv meist symptomlos bleibt. Typischerweise ist es randbetont und erreicht eine Größe von ≥ 5 cm. Das Zentrum kann im Lauf der Ausbreitung abblassen, sodass das Erythem ringförmig erscheint. In manchen Fällen ist es so blass, dass es nur nach Erwärmung der Haut sichtbar ist. Ein Erythema migrans ist für die Lyme-Borreliose beweisend und sollte unverzüglich antibiotisch behandelt werden.⁴ Schon vier Wochen nach Infektionsbeginn ist der Behandlungserfolg deutlich geringer.⁴ Tückisch: In bis zu 50 % der Fälle verläuft das Frühstadium der Lyme-Borreliose ohne Erythema migrans.⁴
Atypische Formen des Erythema migrans: ein Fall für Hautarzt bzw. -ärztin
Das Erythema migrans ist sehr variabel. Das erschwert die ärztliche Diagnose. Es gibt auch Erytheme, die kaum wandern, nicht randbetont, sondern homogen sind, hämorrhagisch, flammend rot oder unregelmäßig fleckig erscheinen oder keine Einstichstelle erkennen lassen. Die Leitlinie empfiehlt daher, Betroffene mit unklaren Erythemen immer zu einem Experten/einer Expertin zu schicken.³
Borrelien-Lymphozytom: eine weitere lokalisierte Frühmanifestation
Häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen kann sich nach einer Zeckenexposition ein sogenanntes Borrelien-Lymphozytom bilden. Es handelt sich um auffällige livid-rote knotige Schwellungen. Sie bilden sich im Bereich der ursprünglichen Einstichstelle oder innerhalb des Erythema migrans.³ Bei Kindern fallen die knotigen Veränderungen häufig am Ohrläppchen auf, sind aber auch im Bereich der Mamillen, Gelenkbeugen oder im Anogenitalbereich zu finden.
Disseminierte Frühmanifestation an der Haut: multiple Erythema migrantia
Bei einem Teil der Betroffenen kommt es bereits im Frühstadium zur hämatogenen Disseminierung (Verbreitung) der Borrelien in der Haut. So können sich viele scharf begrenzte, ovale Erytheme von unterschiedlicher Größe bilden, die aber der/dem Betroffenen keine Symptome bereiten. Kinder können symmetrische Wangenrötungen aufweisen, die mit Ringelröteln verwechselt werden können.³ Wie beim Borrelien-Lymphozytom ist der unverzügliche Arztbesuch für eine zeitnahe antibiotische Therapie zu empfehlen.
- Zecken auf der Haut so schnell wie möglich entfernen, da die Gefahr der Borrelienübertragung mit der Dauer der Saugzeit steigt.
- Geeignete Werkzeuge sind z. B. eine Zeckenkarte oder eine spitze Pinzette, die parallel zur Hautoberfläche geführt wird. Die Zecke möglichst hautnah fassen, damit der Zeckenleib nicht gequetscht wird. Verbliebene Teile des Kopfes oder Stechapparates in der Haut sind bezüglich der Borrelienübertragung unbedenklich. Sie können ggf. später mit einer sterilen Nadel oder chirurgisch entfernt werden.3
- Einstichstelle nach dem Entfernen desinfizieren.
- Nachbeobachtung der Einstichstelle für sechs Wochen nach dem Stich.3 Eine Rötung unmittelbar nach dem Stich durch die Zeckenspeichelstoffe bildet sich innerhalb einiger Tage zurück. Tritt dann eine neuerliche Rötung auf oder vergrößert sich die anfängliche Rötung auf ≥ 5 cm, so ist ein Arztbesuch nötig.
- Das Auftreten einer typischen Wanderröte (Erythema migrans) rechtfertigt eine unverzügliche antibiotische Behandlung ohne weitere Blutuntersuchungen.
- Die Verbreitung von Borrelien über den Blutweg kann zu grippeartigen Beschwerden (ohne Atemwegssymptomen) führen, auch ohne Vorliegen eines Erythema migrans. Auch hier sollte ein Arzt/eine Ärztin aufgesucht werden.
Vorsicht: grippeartige Krankheitssymptome
Die hämatogene Dissemination der Borrelien kann nicht nur zu multiplen Erythemen, sondern auch zu grippeartigen Krankheitszeichen führen. Atemwegssymptome sind hier nicht vorhanden. Die Betroffenen klagen über leichtes Fieber, Leistungsminderung, Kopfschmerzen, Muskel- oder Gelenksschmerzen oder sogar Lymphknotenschwellungen. Dies sind Zeichen, dass sich die Erreger im Körper verbreiten und weitere Organmanifestationen drohen. Wenn das Erythem fehlt oder atypisch aussieht, wird bei solchen „Grippesymptomen“ leider oft nicht an eine Borreliose gedacht.
Klinische Differentialdiagnosen der kutanen Lyme-Borreliose (Auswahl)* | ||
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Differentialdiagnose | klinische Charakteristik | |
Erythema migrans | persistierende Insektenstichreaktion | Juckreiz und Entzündung sofort nach dem Stich, ab dem 2. Tag abnehmend |
Erysipel | Überwärmung, Abgeschlagenheit, erhöhte Entzündungsparameter | |
Pilzerkrankung (Tinea corporis) | randbetonte ringförmige Hautentzündung mit Infiltration und Schuppenbildung | |
fixes Arzneimittelexanthem | nach AM-Einnahme, Juckreiz, Schmerzen | |
Hypodermitis bei chronisch venöser Insuffizienz (CVI) | bekannte CVI, verdickte und verhärtete Haut, ggf. symmetrisch | |
multiple Erythema migrantia | persistierende Urtikaria | Quaddeln, Juckreiz |
Ringelröteln | bei Kindern, initial im Gesicht (Wangen), fieberhaftes Exanthem | |
multilokuläres fixes Arzneimittelexanthem | AM-Einnahme, Juckreiz, Schmerzen |
Therapie
Das Erkennen von Frühstadien der Lyme-Borreliose ist deshalb so wichtig, weil durch eine adäquate Antibiose schwere Krankheitsverläufe und Spätmanifestationen zum Großteil verhindert werden können.⁵ Die Heilungsraten liegen bei rechtzeitiger Therapie von lokalisierten und disseminierten Frühmanifestationen der Haut bei 95–100 %.³
Für die Therapie der kutanen Frühmanifestationen sind laut Leitlinie Doxycyclin und Amoxicillin Mittel der ersten Wahl.³ Therapiealternativen sind Cefuroximaxetil oder Azithromycin.⁵ Kinder können nach abgeschlossener Zahnschmelzbildung ab dem 9. Lebensjahr mit Doxycyclin behandelt werden; bei jüngeren ist Amoxicillin die Therapie der Wahl.³
Die Therapieadhärenz ist gerade bei der Borreliose entscheidend für den Behandlungserfolg, die Beratung zum Antibiotikum in der Apotheke daher von großer Bedeutung. Die ärztlich verordnete Dauer der Antibiotika-
einnahme richtet sich nach der Dauer und Schwere der klinischen Symptomatik. Bei einem solitären Erythema migrans ohne Allgemeinsymptome werden Therapien von 10 bis 14 Tagen verordnet. Länger behandelt wird hingegen bei disseminierten Formen: Bei multiplen Erythema migrantia, beim Erythema migrans mit grippeartigen Allgemeinsymptomen und beim Borrelien-Lymphozytom beträgt die Behandlungsdauer zumindest 21 Tage.³
Antibiotika-Prophylaxe nach Zeckenstich: nicht empfohlen
In einer älteren amerikanischen Studie konnte gezeigt werden, dass die Gabe einer Einzeldosis von 200 mg Doxycyclin innerhalb von 72 Stunden nach einem Zeckenbiss die Häufigkeit eines Erythema migrans um 87 % reduzierte.⁶ Gemäß Leitlinie³ ist ein solches Vorgehen jedoch nicht empfohlen: einerseits wegen der kurzen Nachbeobachtungszeit der Studie (die nur sechs Wochen betrug), andererseits wegen des Nebenwirkungs- und Resistenzentwicklungspotenzials und angesichts des geringen Erkrankungsrisikos. Eine prophylaktische Antibiotikagabe würde daher nur eine hohe Anzahl unnötiger Doxycyclineinnahmen mit sich bringen. Auch die vorbeugende Anwendung antibiotischer Salben wird nicht empfohlen.³
- Zecken finden sich in Gräsern und im Gebüsch bis zu einer Höhe von ca. 120 cm über dem Boden. Mögliche Gefahrenquellen sind Aufenthalte in der freien Natur, in Hausgarten, Park, auf Spielplätzen und im Wald sowie der Kontakt zu Wild- und Haustieren.4
- Unmittelbar nach dem Aufenthalt im Freien den gesamten Körper inklusive des behaarten Kopfes (besonders bei Kindern!) und die Kleidung nach Zecken absuchen. Zecken bevorzugen dünne, warme Hautstellen wie Arme, Kniekehlen oder Hals.
- Im Freien möglichst bedeckende Kleidung mit dichten Abschlüssen tragen, damit Zecken nicht auf die Haut oder unter die Kleidung gelangen (z. B. Socken über die Hosenbeine ziehen). Auf heller Kleidung sind Zecken im Allgemeinen besser sichtbar.
- Insektenrepellents mit Wirkung gegen Zecken sind empfehlenswert, besitzen aber nur eine eingeschränkte Wirksamkeit bis maximal vier Stunden, bevor nachdosiert werden muss. Sie schützen nur die unmittelbar behandelte Haut, haben aber keine Fernwirkung. Geeignet sind3
– DEET (Diethylethanoltoluamid)
– Icaridin
– EBAAP (IR 3535, Ethylbutyl-acetylaminopropionat)
Quellen
1 Schötta AM, et al.: Approaches for Reverse Line Blot-Based Detection of Microbial Pathogens in Ixodes ricinus Ticks Collected in Austria and Impact of the Chosen Method. Appl Environ Microbiol 2017;83(13):e00489-17
2 www.meduniwien.ac.at
3 S2k Leitlinie: Kutane Lyme Borreliose, Deutsche Dermatologische Gesellschaft, 2016, AWMF Reg. Nr. 013/044
4 Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft e.V., Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose, 2011
5 RKI Ratgeber Borreliose: www.rki.de, Stand 2019
6 Nadelman RB et al.: Prophylaxis with single-dose doxycycline for the prevention of Lyme disease after an Ixodes scapularis tick bite. N Engl J Med 2001;345(2):79-84