Die digitalisierte Kommunikation hat in allen Altersgruppen stark an Bedeutung gewonnen. Gilt das auch für die damit verbundenen Haltungsschäden samt resultierender Beschwerden? Genetisch sind wir immer noch auf die Verhältnisse in der Steinzeit programmiert, heute geht man stattdessen mit dem PC auf die „Jagd“. Es entstand sogar eine eigene medizinische Terminologie für Beschwerden durch inadäquate Computer-Nutzungen, wie Sie im Anschluss lesen können.
Das Handy fordert den Nacken
Die häufig beklagten Muskelverspannungen und die Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich entstehen wegen einer Überlastung der Halswirbelsäule durch den nach vorne geneigten Kopf. Problematisch ist diese Haltung bei mehrstündiger Beschäftigung mit dem Tablet oder Smartphone, weil dann Muskeln, Sehnen und Bandscheiben stark beansprucht werden. Beugt man z. B. den Kopf um ca. 15 Grad nach vorn, lasten zusätzlich zum Kopfgewicht noch etwa 13 Kilogramm auf dem Rücken, bei 45 Grad sind es sogar über 20 Kilogramm. Mobile Geräte sollten zum Ausgleich näher vor das Gesicht gebracht werden, doch grundsätzlich wäre es besser die Augen anstelle des Kopfes zu senken. Zudem soll die Körperhaltung immer wieder überprüft und der Arbeitsplatz adjustiert werden.
Akute Nackenschmerzen sind ein Fall für die Anwendung von NSAR. Man kann den Kunden nach Wunsch zwischen oralen und lokalen Darreichungen mit Diclofenac und Ibuprofen auswählen lassen. Zusätzlich ausgleichende Bewegungen und lokale Wärmebehandlung lindern die Beschwerden. Für die Wärmeanwendung kommen Kompressen und Auflagen zum Aufkleben auf die Haut in Betracht. Außerdem stehen Pflaster oder Cremes mit Capsaicin, Cayennepfeffer-Dickextrakt oder Nonivamid zur Verfügung.
Die häufig beklagten Muskelverspannunge und die Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich entstehen wegen einer Überlastung der Halswirbelsäule durch den nach vorne geneigten Kopf.
Weit verbreitet: Schulterschmerzen
Ein zu hoher oder zu niedriger Schreibtisch kann die Sitzposition negativ beeinflussen und Schmerzen auslösen. Man soll sich aber vergewissern, ob nicht andere Faktoren dafür verantwortlich sind. Einseitiger Schulterschmerz kann auch durch
- einen Herzinfarkt
- Diabetes mellitus
- Schilddrüsen- und Fettstoffwechselstörungen ausgelöst werden.
Ein Sonderfall ist die „eingefrorene Schulter“. Sie beruht auf einer Entzündung der Gelenkschleimhaut und der Kapselstrukturen in der Schulter. Zuerst klagt der Patient über starken Schulterschmerz, welcher durch die Schrumpfung der Schultergelenkkapsel ausgelöst wird. Es kommt zu Versteifungen in der Schulter mit Bewegungseinschränkungen. Physiotherapie oder eine Behandlung mit Prednisolon können die Schmerzen lindern. Am besten wirkt eine Kombination von beiden.
Vorsicht vor dem Handy-Daumen
Mit der Bezeichnung „SMS-Daumen“ oder „Handy-Daumen“ sind Beschwerden gemeint, die durch schnelles und häufiges Tippen mit dem Daumen auf das Display des Smartphones entstehen. Die Greifhand des Menschen benötigt nämlich zum Fassen und Zupacken, den sogenannten Faustschluss. Wenn stattdessen der Daumen quer über die Handytastatur oder das Display getreckt und dabei gespreizt und gedehnt wird, kommt es auf Dauer zur Überlastung der Strecksehnen und Sehnenscheidenentzündungen mit teilweise stechenden Schmerzen beim Verfassen von Textnachrichten. Das kann so weit gehen, dass man zum Anziehen Hilfe benötigt, weil das Schließen von Knöpfen oder Reißverschlüssen nicht mehr gelingt.
Bei akut auftretenden Daumenbeschwerden ist Schonung angesagt. Zur beschleunigten Besserung lokaler Entzündungsprozesse dienen Analgetika mit antiphlogistischer Wirkung wie Diclofenac und Ibuprofen. Physiotherapeutisch haben sich Kinesiotapes bewährt. Ratsam ist es, die Textnachrichten beidhändig einzutippen, damit der einzelne Daumen nicht zu große Distanzen überbrücken muss und dadurch weniger gedehnt wird. Das gilt besonders bei Smartphones mit großem Display und für Personen, die viel schreiben. Sie sollten zwischen den einzelnen Nachrichten bewusste Pausen mit Lockerungs- und Dehnübungen einlegen.
Was uns zusammenhält
Unser Skelett besteht aus rund 210 Knochen. Es hat die Aufgabe, die inneren Organe zu schützen, prägt die Körperhaltung und sorgt für die Kraftübertragung aus den Muskeln an die Umwelt.
Die Kraftübertragung erfolgt über Gelenke, welche die meisten Knochen miteinander verbinden und von Bändern in Position gehalten werden. Der Muskel ist am Skelett befestigt und besteht aus beweglichen Muskelfasern. Im Körper befinden sich je nach Struktur sehr unterschiedliche Muskeln. Sehnen bestehen aus kollagenen Fasern, oft umgeben von einer Sehnenscheide. Schleimbeutel polstern den Sehnenbereich ab und fungieren als „Stoßfänger“.
Über ein halbes Jahrhundert der Lebenszeit funktioniert dieses System klaglos, erst mit dem Alter stellen sich typische Beschwerden ein. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind häufig akute Traumata oder Überbelastung die Ursache von Beschwerden; im Alter dominieren hingegen chronisch-degenerative Prozesse wie Arthrosen, Rheumatoide Arthritis und Osteoporose. Iatrogen-induzierte, statin-bedingte Muskelschmerzen sollten wegen der Häufigkeit der Statin-Verordnungen hinterfragt werden.
Was haben Tennis und der PC gemeinsam?
Gemeinsam ist ihnen, dass bei beiden Sehnenscheidenentzündungen häufig am Handgelenk auftreten, wo mechanische Überlastungen auf wiederholte einseitige Bewegungen treffen. Platzbedingt werden die Finger und das Handgelenk beim Schreiben an der Tastatur meist für längere Zeit in Streckstellung gehalten. Die Bedienung der Computermaus belastet noch dazu speziell den Zeige- und Ringfinger. Problematisch ist auch die Smartphone-Nutzung. Bei den Jugendlichen sehr häufig anzutreffen sind anhaltende Sehnenscheidenentzündungen am Daumen, bedingt durch exzessive Handynutzung etwa beim Spielen oder Texten.
Sehnen besitzen eine Hülle, die schützt und für ungebremstes Gleiten sorgt. Kommt es zu inadäquater Belastung der Sehnen, so reiben sie an der Schutzhülle, wodurch diese anschwillt und sich letztlich auch entzünden kann. Der Arzt erkennt die Sehnenscheidenentzündung in der Regel sofort am Beschwerdebild. In unklaren Fällen kann er zur Absicherung eine Ultraschall- oder eine Magnetresonanztomographie-Untersuchung durchführen lassen.
Der schleichende Beginn der ersten Symptome führt nur wenige Betroffene zum Arzt. Später folgen zunehmende Schmerzen und eine erhöhte Druckempfindlichkeit über der betroffenen Sehnenscheide. Die Stelle rötet sich und strahlt Wärme aus. Weitere Entzündungszeichen wie Schwellung und eine eingeschränkte Funktionalität kommen hinzu. Typisch sind Morgensteifigkeit und Schmerzen in Ruhe. Für den Therapieerfolg wichtige Voraussetzungen sind Ruhe und Entlastung. NSAR wie Ibuprofen lindern nicht nur die Schmerzen, sondern fördern auch die rasche Abheilung. Patienten können zwischen Tablettenform, Creme, Gel bzw. Salbe wählen. Injektionen von Kortison oder Lokalanästhetika sind nur in besonderen Fällen erforderlich.
Medikamentöse Schmerzbehandlung
Nach dem Urteil der Deutschen Nationalen Versorgungsleitlinie zum Kreuzschmerz ist Paracetamol nicht ausreichend wirksam. Im Widerspruch dazu steht die FORTA-Liste (Fit For The Age)1. Sie hält bei den gegebenen Grunderkrankungen und der notwendigen Dauermedikation Paracetamol als Mittel der Wahl bei chronischen Schmerzen!
Ein Ausweg aus der kontroversen Einschätzung wäre bei akuten Schmerzen für Erwachsene eine Einmaldosierung von 1.000 mg Paracetamol, da dies Schmerzen effektiver lindert als 500 mg. Mit dieser Dosierung kann einer Chronifizierung des Schmerzgeschehens vorbeugt werden. Bei älteren Menschen ohne Lebererkrankungen ist eine Dosis von dreimal täglich 1.000 mg über maximal drei bis vier Tage zur Linderung von Schmerzen des Bewegungsapparats vertretbar.
Insgesamt werden bei Schmerzen im Bewegungs-apparat NSAR in folgenden Tagesdosen verwendet:
- 1.200 bis 2.400 mg Ibuprofen
- 100 bis 150 mg Diclofenac oder
- 750 bis 1.250 mg Naproxen
Achtung: Eine höhere Dosis erfordert besondere Aufmerksamkeit bezüglich des Auftretens von Nebenwirkungen.
Myopathie - Ein Fall für Detektive
Muskelerkrankungen ohne neuronale Ursache werden als Myopathien2 bezeichnet. Als Auslöser kommen bei den metabolischen Myopathien im Wesentlichen Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, des Purinstoffwechsels oder des Fettsäuremetabolismus in Betracht.
Meistens sind genetisch bedingte metabolische Defekte der Grund für die belastungsabhängigen muskelkaterähnlichen Schmerzen und die Muskelschwäche und/oder -steifheit. Sogar intensives Kauen von zähem Fleisch kann einen Muskelkater in der Kaumuskulatur auslösen. Hunger kann übrigens Muskelkrämpfe, Steifheit und sogar Rhabdomyolyse provozieren.
Weitere Beispiele für sehr heterogene Auslöser für Myopathien sind:
- Stress
- Kälte
- Infekte
- Schlafdefizit
- fette Speisen und
- bestimmte Arzneimittel
(z. B. Ibuprofen)
Es kann also nahezu ausgeschlossen werden, durch das Befragen der Kunden auch nur in die Nähe einer sicheren Diagnose zu kommen.
Mehr Chancen hat man bei infektiösen Erregern, insbesondere bei den viral bedingten Myositiden:
- Viren (z. B. Influenza-, Coxsackie-
B5-Viren) - Bakterien (z. B. Staphylokokken,
Borrelien) - Parasiten (z. B. Trichinose).
Weltweit betrachtet sind bakterielle Myositiden die häufigsten entzündlichen Muskelerkrankungen, besonders die extrem schmerzhaft verlaufenden Staphylokokken-Infektionen. Infektiöse, von Temperaturerhöhungen begleitete Myalgien werden meist als Gliederschmerzen wahrgenommen und sind ein typisches Begleitsymptom, insbesondere viraler Infektionen.
Im Apothekenalltag sollte man sich auf die Selbstbehandlung von Muskelschmerzen mit klarem Bezug auf eine sportliche bzw. traumatische Genese oder im Rahmen von Begleiterscheinung viraler Infekte bei Erkältungskrankheiten beschränken.
Quellen
1 FORTA – Liste: www.medikamente-im-alter.de/medikamente-im-alter/forta-liste
2 Heuß D. et al.: S1-Leitlinie Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien. 2020, Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie AWMF Registriernummer: 030/05 www.dgn.org/leitlinien