„Ich kann die Sehnsucht von allen verstehen, die die Nase voll haben von Covid“, betonte der Minister im APA-Jahresabschluss-Interview. „Ich habe immer gesagt, die Pandemie wird verschwinden oder sich verändern oder weniger werden – aber das Virus wird bleiben. Also es wird einfach jede Saison da sein, so wie die Grippe auch.“ Und es mache natürlich in gewissen Situationen Sinn, etwa eine Maske zu tragen.
Einschränkungen von Freiheitsrechten wie in der Vergangenheit seien jedoch nur gerechtfertigt, wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Man habe gute Instrumente – etwa das Abwasser-Monitoring und das SARI-Dashboard: „Wir wissen, was sich in den Spitälern abspielt.” Österreich sei weit von einer Überlastung des Gesundheitssystems entfernt – mit laut Rauch aktuell rund 1.200 COVID-19-Patientinnen und -Patienten in den Spitälern, auch jetzt in der bisher mit Abstand größten Welle an Ansteckungen. Jeder Gesundheitseinrichtung bleibe es freilich selbst überlassen, im Rahmen der Hausordnung – wie es auch jetzt aktuell teils der Fall ist – Maßnahmen wie beispielsweise eine Maskenpflicht zu erlassen.
Bezüglich der möglichen Langzeitfolgen einer Covid-Infektion verwies der Minister auf die gesetzten Maßnahmen und erwartet weitere Forschungsergebnisse. Die vom Obersten Sanitätsrat empfohlenen Schritte werde man alle umsetzen, sprach Rauch etwa das geplante Referenzzentrum für postvirale Erkrankungen an (wie etwa Long/Post Covid oder ME/CFS). „Was die Langzeitwirkung angeht, da ist die Forschung einfach offen. Da differieren die Zahlen der Long-Covid-Betroffenen von fünf Prozent bis 40 Prozent, wobei ich die fünf Prozent für zu niedrig halte, die 40 für zu hoch, aber das ist meine Meinung.” Man müsse abwarten, wo die wissenschaftliche Evidenz dann landet.
„Faktum ist, das sei schon auch gesagt: Man kann einfach nicht sagen, es existiert kein Long Covid oder ME/CFS ist eine Erkrankung, die quasi nur eine psychosomatische ist”, sprach der Minister auch die in Teilen der Wissenschaft noch schwelende Diskussion um eine somatische Ursache der Erkrankung an. „Da sind die Betroffenen zu Recht verärgert, fühlen sich nicht ernst genommen und allein gelassen. Das ernst zu nehmen und da die entsprechenden Schritte zu setzen, das tun wir”, versicherte Rauch.
Befürchtungen, dass der niedergelassene Bereich mit der Behandlung von Long Covid- bzw. Post Covid- oder ME/CFS-Patienten überfordert sein könnte, wies Rauch zurück. So erinnerte er etwa an ein von der Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM), Susanne Rabady, entwickeltes Tool für die niedergelassene Ärzteschaft, mit dem man „online sozusagen Symptomatiken abchecken kann”.
Das heiße, die Information der Ärztinnen und Ärzte finde „sehr niederschwellig statt”, betonte Rauch. Und es gebe auch „Fort- und Weiterbildung” auf Kongressen – Vorwürfe, dass nichts passiere, seien daher unzutreffend.
Bewusstseinsbildung beim Thema Impfen
Um der geringen Impffreudigkeit der Österreicher – vor allem bei Covid, aber etwa auch Influenza – entgegenzuwirken, will Rauch vor allem auf „Bewusstseinsbildung” setzen. Es brauche einen „Kampf gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit” im Land. „Das sehe ich schon, weil ja manche der Meinung sind, die Erde ist eine Scheibe und Impfen nützt nichts”, sagte er – auch mit Blick auf die FPÖ. „Mit dem Unfug muss man aufräumen, dem muss man entgegenstehen und das tun wir auch.”
Eine Notwendigkeit für eine größere Impfkampagne wie sie es in der Anfangsphase der Corona-Pandemie gegeben hatte, sieht Rauch aber nicht: „Das ist schlicht der Erfahrung geschuldet, dass große Kampagnen nicht wirklich etwas bewegen.“ Auch sieht er einen hohen Informationsstand der Bevölkerung – fast drei Jahre nach den ersten Corona-Impfungen. Man habe vielmehr auf Länderebene „sehr gezielt“ Alten- und Pflegeheime aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Bewohner aufgefrischt werden. Rauch setzt dabei auch stark auf die Hausärzte: „Ich glaube, dass die Basisinformation sozusagen von unten nach oben in der Arztpraxis die allerbeste Information ist.“ Denn dort bestehe Vertrauen, „das glauben die Menschen auch“.
Dass die Überführung des Impfprogramms – auch bei Influenza – in den niedergelassenen Bereich nicht ganz so wie erhofft funktioniert hat, räumt Rauch aber ein: Das habe – anfangs – „nur bedingt funktioniert.“ Daher habe er mit den Gesundheitslandesräten in der jüngsten Sitzung der Bundeszielsteuerungskommission vereinbart, im Jänner die Lehren zu ziehen und für die kommende Impfsaison besser vorbereitet zu sein. Beim Influenza-Impfstoff waren ja beispielsweise die Kontingente für die Gratis-Impfungen teils rasch vergriffen.
Gleichzeitig rief der Minister neuerlich dazu auf, die Impfangebote wahrzunehmen: „Impfen schützt und die Impfung wirkt“, dies sei anderslautenden Verschwörungstheorien entgegenzuhalten. „Natürlich ist die Corona-Impfung sinnvoll und schützt vor schwerwiegenden Verläufen. Natürlich ist die Influenza-Impfung sinnvoll“ – insbesondere für Risikopatientinnen und Patienten über 60 Jahren. Und ebenso schütze etwa die HPV-Impfung – „die wir jetzt gratis gemacht haben bis 21 Jahre“ – davor, möglicherweise an Krebs zu erkranken, erinnerte der Minister an eines seiner Projekte.
Gesundheitsreform
Zufrieden ist Rauch auch mit der im Dezember im Nationalrat beschlossenen Gesundheitsreform. „Ich würde das schon als Riesenwurf bezeichnen“, sagte er. Ihm sei es darum gegangen, die Situation für die Patienten und Patientinnen zu verbessern und etwa einen „einheitlichen Katalog an Leistungen vom Bodensee bis zum Neusiedlersee“ zu schaffen. Dass nicht alle Maßnahmen sofort wirken, ist dem Minister bewusst: „Jetzt wird es darum gehen, in die Umsetzung zu kommen.“
Volle Wirkung entfalten werde die Reform in ein bis drei Jahren, „wenn tatsächlich im niedergelassenen Bereich der Ausbau stattgefunden und dann die Entlastung der Spitäler stattgefunden hat“. Die „gute Nachricht“ laute: „Wir haben jetzt schon deutlich über 50 Primärversorgungseinrichtungen eröffnet, fünf davon sind Kinder-PVEs. 30 haben wir in der Pipeline.“
EU- und Nationalratswahl
Kritisch sieht Rauch die internationale wie auch nationale Entwicklung, was das Wahlverhalten und den Aufstieg von rechten Parteien betrifft. Einmal mehr bezeichnete Rauch die im Juni stattfindenden EU-Wahlen als „die wichtigsten Wahlen meines politischen Lebens“. Er sei nicht bereit, es kampflos hinzunehmen, „dass die ganze politische Lage sich nach rechts bis rechtsextrem verschiebt und wir statt einem Orban oder einem Kaczynski viele kleine Orbans oder Kaczynskis bekommen – dann werden wir dieses Europa nicht wiedererkennen“.Die rechten Parteien wie die FPÖ würden „eine komplette Illusion“ erzählen, nämlich, dass man „nur eine Festung bauen“ müsse, und die Probleme seien gelöst. „Das Gegenteil ist der Fall.“ In der Konkurrenz zu den großen Blöcken China, den USA, den BRICS-Staaten werde man es in Europa nur schaffen, „wenn wir als Union, als Europäische Union wirkmächtig sind und in der Lage sind, gemeinschaftlich zu agieren“. Den rechten Parteien sei die parlamentarische Demokratie ein „Gräuel“. „Die verachten die Parlamente, denen geht es darum, Durchgriffsrechte zu schaffen und Strukturen zu errichten, die die Pressefreiheit bedrohen, die Rechtsstaatlichkeit bedrohen, Demokratien aushöhlen und letztlich Menschen in Unmündigkeit führen. Das ist nicht unser Lebensmodell.“
Ähnlich sieht der Minister die Situation mit Blick auf die Nationalratswahl im Herbst, für die die FPÖ laut derzeitigen Umfragen mit einem klaren Wahlsieg rechnen kann. Es werde gelingen müssen, „die demokratischen Kräfte in Österreich zu konzentrieren und zu bündeln“, meinte Rauch. ÖVP und SPÖ werden „koalitionsfähig“ sein müssen – „es sei dann, man nimmt tatsächlich einen Bundeskanzler (Herbert, Anm.) Kickl in Kauf - und in Kauf, auch umzusetzen, was der angekündigt hat.“ Es werde aller Voraussicht nach „wohl eine Dreierkonstellation“ sein müssen, „die in der Lage ist, diesem destruktiven Zugang der FPÖ etwas Konstruktives entgegenzusetzen“, setzt Rauch auf eine Beteiligung seiner Partei, der Grünen. „Es muss versucht werden, eine demokratische Regierung jenseits der FPÖ zu bilden. Meine Rolle dabei wird keine ausschlaggebende sein, weil ich nicht mehr kandidieren werde“, betonte Rauch neuerlich.
APA/Red.