Die International Pharmaceutical Federation (FIP) vereint 153 nationale Organisationen als eine globale Plattform zur Vernetzung, Unterstützung und Weiterentwicklung aller Bereiche der Pharmazie. Der diesjährige Kongress, der vom 1. bis 4. September in Kapstadt, Südafrika stattfand, bot die Gelegenheit, Kolleg:innen aus aller Welt zu treffen, neue Kontakte zu knüpfen und sich in einem internationalen Rahmen auszutauschen. Dabei zeigte sich, dass die meisten Länder – trotz der Unterschiede in den Gesundheitssystemen – vor denselben Herausforderungen im Berufsalltag stehen.
Auch Österreich war mit einer Delegation beim 82. Jahreskongress der FIP vertreten. Für die Apothekerkammer besuchten deren Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko und Mag. pharm. Samir Shehata, beide zuständig für International Affairs, sowie Mag. Franz Ferrari, Leiter der Stabsstelle EU und Internationales, den viertägigen Kongress. Sie wurden begleitet von Mag. pharm. Catherine Bader, Vizepräsidentin der Pharmazeutischen Gehaltskasse, VAAÖ-Direktor Mag. iur. Norbert Valecka, Mag. pharm. René Gerstbauer, Präsident der Austrian Young Pharmacists, sowie der Autorin dieses Beitrags.
Innovating for the future
Das diesjährige Kongressthema lautete „Innovating for the future of healthcare“ und lockte über 3.300 Teilnehmende aus 97 Ländern in die beeindruckende Kulisse von Kapstadt. In zahlreichen Plenarsitzungen, Vorträgen und Präsentationen standen eine universelle und gerechte Gesundheitsversorgung sowie die Rolle der Pharmazeut:innen im Fokus.
Besonders betont wurde dabei, wie die Expertise des Berufsstandes genutzt werden kann, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern. Zudem wurden in Posterpräsentationen und mündlichen Vorträgen neueste Medikamente und innovative Therapien vorgestellt. Ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung zog, war die Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Eines wurde dabei deutlich: Diese Entwicklungen haben das Potenzial, die Pharmazie grundlegend zu verändern, wobei immer der Versorgungsgedanke im Vordergrund stehen muss.
Angesichts der zukunftsweisenden Referate brachte es Podroschko auf den Punkt: „Die FIP hat ein wichtiges Grundsatzpapier verabschiedet, in dem sie die essenzielle Rolle der Apotheker:innen sowohl bei der Förderung der Arzneimittelsicherheit als auch bei der Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln und Medizinprodukten und der Bekämpfung der Arzneimittelknappheit hervorhebt. Im Rahmen unseres Versorgungsauftrags geht es zudem darum, eine hohe Adhärenz zu gewährleisten, u. a. indem die Menschen über die Apotheker:innen als Gatekeeper einen möglichst niederschwelligen Zugang zum Gesundheitswesen an sich sowie zu kompetenter Gesundheitsberatung und –betreuung erlangen. Die KI stellt für eine solche primäre Gesundheitsversorgung ein sehr potentes Tool dar. Die Apotheker:innen müssen es nun optimal zu nützen lernen.“
Dank Digitalisierung: Mehr Zeit für Beratung
In zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden wurde die Digitalisierung von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Einigkeit herrschte darüber, dass nur durch die aktive Mitgestaltung und Nutzung dieser Technologien der Berufsstand der Pharmazeut:innen weiterentwickelt und gestärkt werden kann. Es geht dabei um den Übergang von einer produktzentrierten zu einer patientenorientierten Versorgung („shift form product-centric to patient-centric care“). Durch den Einsatz digitaler Werkzeuge, so die Hoffnung, können zeitaufwendige administrative Aufgaben reduziert und wertvolle Zeit für die Patientenberatung gewonnen werden. Die Apotheker:innen werden damit zu einem wichtigen Bestandteil eines interdisziplinären Gesundheitsnetzwerks, das die Lebensqualität der Patient:innen durch ganzheitliche Betreuung verbessern soll. „Eine solide Beweislage zeigt, dass personenzentrierte primäre Gesundheitsdienstleistungen einen erheblichen Mehrwert für Einzelpersonen, andere medizinische Fachkräfte, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft als Ganzes darstellen“, betonte Sherif Guorgui, Präsident der Community Pharmacy Section der FIP, anlässlich seines Eröffnungsstatements. Zu diesen Dienstleistungen zählen z. B. Prävention, Screening und Management chronischer Erkrankungen sowie Impfungen.
KI bietet grenzenlose Möglichkeiten
Die Möglichkeiten der KI scheinen nahezu grenzenlos: Sie reichen vom kontinuierlichen Monitoring der Therapien über die frühzeitige Erkennung von Fehlern bis hin zu interaktiven Chatbots, die Patient:innen zur Einnahme ihrer Medikamente motivieren. Zudem bietet die KI sofortige Sprachübersetzungen an. Der zukünftig vermehrte Einsatz der Telepharmazie ist besonders für Menschen in ländlichen Gebieten von großem Vorteil. Fortgeschrittene Algorithmen können auch immer präzisere Vorhersagen treffen und somit personalisierte Therapien fördern. Tools wie Natural Language Processing und Augmented Reality unterstützen die Aufklärung der Patient:innen und fördern das Verständnis und die Compliance von Therapien. Viele dieser Technologien sind bereits im Einsatz, wie zum Beispiel Google DeepMind, eine medizinische Bildgebung, die Augenscans analysieren und Krankheiten wie diabetische Retinopathie erkennen kann, und Babylon Health, eine Gesundheits-App, die die Überprüfung von Symptomen, Gesundheitsinformationen und virtuelle Konsultationen mit Gesundheitsexpert:innen ermöglicht. Viele weitere Anwendungen befinden sich in der Planungsphase, die Bandbreite der Möglichkeiten dabei ist beeindruckend.
Mehr Effizienz
Die zentralen Erkenntnisse aus den Vorträgen und Diskussionen: KI kann die Effizienz im Gesundheitswesen erheblich steigern, indem sie Routinetätigkeiten automatisiert und somit mehr Zeit für die Patient:innen schafft. Zudem ermöglicht der Zugang zu Echtzeitdaten eine schnellere und fundiertere Entscheidungsfindung, was das Risiko von Fehlern reduziert. Ein weiterer Vorteil kann die Senkung der steigenden Kosten im Gesundheitswesen sein
Nicht ohne Risiken
Allerdings bringt die Nutzung von KI auch erhebliche Herausforderungen und potenzielle Risiken mit sich. Viele Gesundheitsexpert:innen äußerten Bedenken, dass die zunehmende Automatisierung langfristig Arbeitsplätze gefährden könnte. Zudem wirft der Umgang mit sensiblen Patientendaten ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und möglicher Sicherheitsverletzungen auf.
Mag. pharm. Samir Shehata brachte diese Risiken auf den Punkt: „Die Digitalisierung ist wichtig und richtig. Wir müssen allerdings aufpassen, wenn es um die Frage geht, was mit den erhobenen Daten passieren soll. Wenn man das Gefühl bekommt, das die Interessen mancher Player im Gesundheitssystem völlig andere sind als die der Verbesserung der Patientenversorgung, ist große Vorsicht geboten.“
Ethische Fragen wie Einwilligung und Transparenz in den Entscheidungsprozessen sind ebenso relevant und müssen geklärt werden. Die Integration von KI in bestehende Systeme kann komplex sein und zu Störungen führen, wenn sie nicht sorgfältig umgesetzt wird. KI-Modelle, die auf voreingenommenen Daten trainiert wurden, verstärken bestehende Ungleichheiten, was zu ungleichem Zugang und Behandlung für verschiedene Bevölkerungsgruppen führt. Die Sorge, sich zu stark auf KI zu verlassen und dadurch die Qualität der menschlichen Arbeit zu beeinträchtigen, wurde ebenfalls angesprochen. Eine übermäßige Abhängigkeit von KI-Tools kann das klinische Urteilsvermögen des Gesundheitspersonals untergraben.
Leitlinien für Umgang mit KI
Die Expert:innen waren sich einig, dass eine erfolgreiche Integration von KI nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklern, Gesundheitsdienstleistern und Behörden möglich ist. Das Ziel muss sein, KI so zu gestalten, dass sie einen echten Mehrwert bietet und nicht lediglich beeindruckende Technologien zur Schau stellt. Um dies zu gewährleisten, müssen Leitlinien entwickelt werden, die einen verantwortungsvollen Umgang mit KI sicherstellen, wobei das Wohlbefinden und die Privatsphäre der Patient:innen an erster Stelle stehen müssen. Regulierungsbehörden sind sich dieser Herausforderungen zunehmend bewusst und arbeiten daran, sichere Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen zu schaffen.
Die Europäische Union hat im August dieses Jahres mit „The European Union AI Act“ einen wichtigen Schritt in diese Richtung unternommen. Es stellt einen umfassenden regulatorischen Rahmen dar, der die Entwicklung und Nutzung von künstlicher Intelligenz innerhalb der EU regeln soll. Ein zentrales Element ist die risikobasierte Klassifizierung von KI-Systemen, wobei KI-Systeme im Gesundheitswesen als „high-risk“ eingestuft werden. Großer Wert wird auf Transparenz der Entwickler, Datenqualität, Einhaltung strenger Sicherheits- und Leistungsstandards sowie Zuverlässigkeit und Effektivität der KI-Tools gelegt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Verbot bestimmter KI-Anwendungen, die unannehmbare Risiken darstellen, sowie die kontinuierliche Überwachung und Berichterstattung über hochriskante KI-Systeme. Damit soll sichergestellt werden, dass diese den festgelegten Standards entsprechen und etwaige Probleme frühzeitig angegangen werden. Jedoch wird sich letzten Endes die Wirksamkeit und Durchsetzung dieser Rahmenbedingungen erst in der Zukunft zeigen.
Stiefkind: Thema Nachhaltigkeit
Interessanterweise wurde der immense Energieverbrauch, der mit der Nutzung von KI einhergeht, nur am Rande erwähnt. Ein Beispiel dafür: Schon eine einfache Anfrage an ChatGPT verbraucht etwa fünf Liter Wasser, um die benötigten Rechenzentren zu kühlen. Diese hohe Umweltbelastung kann nur durch den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien kompensiert werden. Wie realistisch dies ist, bleibt jedoch unklar.
KI soll unterstützen – nicht ersetzen
Ein weiteres wichtiges Thema, das während des Kongresses immer wieder angesprochen wurde, war die Frage, wie KI den Beruf nicht ersetzen, sondern in allen wichtigen Aspekten ergänzen kann. Das Motto „human-led – technology enabled“ verdeutlicht, dass die menschliche Expertise im Vordergrund stehen muss, während Technologie als unterstützendes Werkzeug fungiert. Wie sich diese spannenden Entwicklungen in der Pharmazie weiter entfalten, wird im kommenden Jahr zu beobachten sein.
Vielseitiges Rahmenprogramm
Neben dem fachlich spannenden Programm bot der Kongress auch eine Vielzahl an zusätzlichen Aktivitäten: In den Mittagspausen konnten die Teilnehmenden die Aussteller besuchen, sich am morgendlichen „Fun Run“ sportlich betätigen oder an verschiedenen Abendveranstaltungen teilnehmen. Nach dem offiziellen Kongressprogramm gab es die Möglichkeit, sich für verschiedene Führungen anzumelden, die von der Pharmaceutical Society of South Africa organisiert wurden. Ob Apotheken, Krankenhäuser oder pharmazeutische Industrien – diese Besichtigungen boten spannende Einblicke in die südafrikanische Gesundheitsversorgung.
Vorstellung der Stipendiaten
Ein persönliches Highlight für mich war die Ehre, als Mitglied der FIP Foundation und der Early Career Pharmacists Group (ECPG) die Stipendiat:innen der FIP-Programme „Leadership Development“ und „Innovation Research“ vorstellen zu dürfen. Die Begeisterung und das Engagement dieser jungen Fachkräfte waren inspirierend und bestärkten die Überzeugung, dass die Zukunft der Pharmazie in guten Händen liegt.
Save the date
Der nächste FIP-Kongress findet vom 31. August bis 3. September 2025 in Kopenhagen (Dänemark) statt.
Mehr Infos unter: www.copenhagen2025.fip.org