Reizblase

Wenn die Blase das Kommando übernimmt

Mag. pharm.

ALISSA

Maierhofer

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Reizblase © AdobeStock
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Die überaktive Blase (overactive bladder, kurz: OAB) zählt zu den Blasenfunktionsstörungen ohne organische oder neurogene Ursache und ist durch instabile Blasenkontraktionen gekennzeichnet. Dies führt zu charakteristischen Symptomen wie erhöhtem Harndrang, häufigem Wasserlassen (Pollakisurie, ≥ acht Toilettengänge innerhalb von 24 Stunden), nächtlichem Wasserlassen (Nykturie) sowie unwillkürlichem Harnverlust (Inkontinenz). Die Dranginkontinenz betrifft jedoch nur etwa ein Drittel der OAB-Patient:innen und stellt ein eigenständiges Krankheitsbild dar, weshalb zwischen der nassen und trockenen OAB unterschieden wird. Der große Leidensdruck dieser Erkrankung ist auf die genannten Symptome zurückzuführen, die negativen Einfluss auf viele Lebensbereiche wie psychische Gesundheit, Schlaf, Partnerschaft und Beruf haben sowie die Lebensqualität senken. Eine sorgfältige Diagnose und Behandlung einer überaktiven Blase sind notwendig, um Kosten für das Gesundheitssystem, bedingt durch psychische Begleiterkrankungen und Arbeitsunfähigkeit, zu reduzieren. Doch die Daten zeigen, dass die Erkrankung in vielen Fällen nicht erkannt oder – schlimmer noch – nicht ernstgenommen wird. Zudem bleibt das Thema Blase weiterhin ein sensibles Gebiet, weshalb viele Betroffene zögern, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Frauen im Nachteil

Die Blasenfunktion unterliegt einem komplexen Zusammenspiel zwischen dem Nervensystem, der glatten Blasenmuskulatur (Detrusor) sowie dem Schließmuskelapparat (Sphinkter) und wird sowohl autonom als auch willentlich gesteuert. Die Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase stellt einen frühkindlichen Lernprozess dar, bei dem sich Detrusor und Sphinkter an verschiedene Füll- und Druckzustände anpassen. Parallel dazu sorgt das Zusammenspiel von sympathischen, parasympathischen und somatischen Nerven für eine koordinierte Blasenfunktion. Bei Ausfall oder Störung eines dieser Systeme ist die Steuerung der Blasenfunktion beeinträchtigt. Die genauen Ursachen einer überaktiven Blase sind bislang nicht abschließend geklärt. Chronische Harnwegsinfektionen stellen eine häufige Ursache dar oder können bestehende Blasenfunktionsstörungen verstärken. Darüber hinaus werden sowohl ein (postmenopausaler) Östrogenmangel als auch psychosomatische Faktoren als mögliche Auslöser diskutiert. Zu den Risikofaktoren zählen außerdem Alter, weibliches Geschlecht, Metabolisches Syndrom und Übergewicht, benigne Prostatahyperplasie, Beckenbodenprolaps, Alkoholkonsum, Rauchen, koffein- und kohlensäurehaltige Getränke, scharfe Speisen und Blasensteine. 

Risikofaktoren 
Entwicklung einer 
überaktiven Blase
  • Alter
  • Weibliches Geschlecht 
  • Metabolisches Syndrom
  • Post-Menopause
  • Benigne Prostatahyperplasie
  • Beckenbodenprolaps
  • Alkohol
  • Rauchen
  • Koffein- und kohlensäurehaltige Getränke
  • Scharfe Speisen
  • Blasensteine

Diagnose durch Ausschlussdiagnose

Die Diagnose einer Blasenfunktionsstörung ist von großer Bedeutung, um organische Ursachen oder akute Infektionen ausschließen zu können („Ausschlussdiagnose“). Dennoch stellt die Diagnostik eine große Herausforderung dar, da viele der Steuerungsmechanismen noch nicht vollständig erforscht sind. Gemäß der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Urologie zur Diagnose und Behandlung weiblicher nicht-neurogener Symptome des unteren Harntrakts sollte die Anamnese eine umfassende körperliche Untersuchung sowie die Erfassung sexueller, gastrointestinaler, neurologischer und psychischer Symptome umfassen. Diese beinhalten auch den Östrogen- und Raucherstatus, Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes, Schlafapnoe, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose), Urin- und Beckenbodenanalyse, Restharnbestimmung, Body-Mass-Index, die aktuelle Arzneimitteltherapie (Diuretika, Anticholinergika, Hypnotika), Operationen oder Therapien in der Vergangenheit sowie Warnsignale wie Schmerzen und Hämaturie. Bei unwillkürlichem Harnverlust soll außerdem die Form der Inkontinenz (Drang-, Belastungs- oder Mischinkontinenz) klassifiziert werden. Zur Abklärung von Symptomen, die auf eine überaktive Blase hindeuten, stehen spezielle Patientenfragebögen zur Verfügung, wie der „overactive bladder questionnaire“ (OAB-q) oder der „bladder control self-assessment questionnaire“ (B-SAQ). Ergänzend dazu wird empfohlen, dass die Betroffenen über einen Zeitraum von drei bis sieben Tagen ein Blasentagebuch mit Informationen zur Flüssigkeitsaufnahme, Miktionshäufigkeit, Miktionsvolumen, Harndrang und Inkontinenzperioden führen. Treffen die Leitsymptome zu und können andere organische oder neurogene Erkrankungen sowie ein akuter Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden, handelt es sich um eine überaktive Blase.

Verhaltensänderung als First-line-Therapie

Nach der Diagnosestellung soll gemeinsam mit der betroffenen Person ein schrittweiser Maßnahmenplan entsprechend dem individuellen Schweregrad erstellt werden, der konservative, pharmakologische sowie operative Maßnahmen umfasst. Jede Stufe sollte über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen angewendet, anschließend evaluiert und bei einem notwendigen Übergang in die nächste Stufe fortgesetzt werden. Zu Beginn stehen konservative Optionen im Bereich Lebensstil- und Verhaltensänderung im Fokus. Diese umfassen Gewichtsabnahme, Vermeidung von Verstopfung, Optimierung der Flüssigkeitsaufnahme (z. B. Vermeidung von großen Trinkmengen vor dem Schlafengehen), Reduktion von Blasenstimulanzien wie Alkohol, Koffein, Rauchen, scharfe Speisen und Kohlensäure. Parallel dazu soll die Beckenbodenmuskulatur mithilfe einer Physiotherapie gestärkt und Drangkontrolltechniken im Rahmen eines Blasentrainings erlernt werden.

Die Stärkung des Beckenbodens ist ein wichtiger Teil der Erstlinientherapie. © iStock
Die Stärkung des Beckenbodens ist ein wichtiger Teil der Erstlinientherapie. © iStock

Ein wichtiger Tipp bei Harndrang ist: Die Beckenbodenmuskulatur für etwa zehn Sekunden oder für fünf schnelle Aktivierungen anspannen, bis der Drang nachlässt. Als unterstützende Maßnahme hat das Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) die Monografien von Kürbiskernen (Cucurbita pepo L.) und Queckenwurzel (Agropyron repens L.) in der Indikation der überaktiven Blase als Traditional use eingestuft. 

Massnahmen in Drei Stufen 
Therapiemanagement bei überaktiver Blase

Stufe 1: Konservative Therapie

  • Reduktion von Risikofaktoren: Übergewicht, Blasenstimulanzien, Verstopfung, übermäßige Flüssigkeitsaufnahm
  • Beckenboden- und Blasentraining

Stufe 2: Pharmakotherapie

  • Anticholinergika
  • β3-Agonisten
  • Intravaginale Hormontherapie

Stufe 3: Operative Eingriffe

  • Minimalinvasiv: Botulinumtoxin, Neuromodulatio
  • Invasiv: Blasenvergrößerung


Quelle: nach Hutchinson A et al.

Pharmakotherapeutische Möglichkeiten

Die Pharmakotherapie umfasst u. a. Anticholinergika, folgt jedoch erst nach der konservativen Therapie an zweiter Stelle. © iStock
Die Pharmakotherapie umfasst u. a. Anticholinergika, folgt jedoch erst nach der konservativen Therapie an zweiter Stelle. © iStock

Kommt es in Stufe 1 zu keiner ausreichenden Symptomverbesserung, wird vor allem bei einer nassen OAB parallel dazu eine medikamentöse Therapie im Rahmen der Stufe 2 eingeleitet. Zur Verfügung stehen Anticholinergika, β3-Agonisten sowie lokale Hormonpräparate (Estradiol, Estriol) bei postmenopausalen Frauen. Die orale Behandlung einer OAB wird meist mit Muskarinrezeptor-Antagonisten (neurotrope Spasmolytika) wie Solifenacin, Oxybutynin, Tolterodin oder Trospium eingeleitet, um den Detrusortonus zu senken und den Sphinktertonus indirekt zu erhöhen. Harndrang und Miktionsfrequenz können dadurch signifikant reduziert werden. Trotz der hohen Wirksamkeit ist die Compliance aufgrund der peripheren als auch zentralen anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation, Sehstörungen sowie kognitive Beeinträchtigung bis hin zu einem anticholinergen Syndrom (Delir) stark vermindert. Die Abbruchrate ein Jahr nach Therapiestart liegt bei über 65 %. Insbesondere bei geriatrischen Personen muss die Therapie an die restliche Medikation angepasst werden, um eine erhöhte anticholinerge Belastung zu vermeiden. Auch die Priscus-Liste 2.0 bewertet alle Wirkstoffe als potenziell inadäquat für ältere Menschen und empfiehlt stattdessen die Anwendung nicht-medikamentöser Maßnahmen oder einer vaginalen Hormontherapie.

Ein minimal niedrigeres Nebenwirkungspotenzial zeigen Oxybutynin als Pflasterformulierung sowie Solifenacin aufgrund seiner antagonistischen Präferenz am M3-Rezeptor in der Blase. Eine Kontraindikation liegt jedenfalls bei Engwinkelglaukom, Tachyarrhythmien, Myasthenia gravis, Blasenabflussstörungen und Darmverschluss vor. Als Alternative steht in Österreich seit 2012 der Wirkstoff Mirabegron zur Verfügung, der durch die Entspannung der glatten Blasenmuskulatur über Stimulation des β3-Rezeptors das Entleerungsvolumen je Miktion erhöht und die Miktionsfrequenz erniedrigt. Aufgrund der Nebenwirkungen wie vermehrten Harnwegsinfekten, Tachykardie und Blutdruckerhöhung muss auch hier die Anwendung vor allem bei älteren Personen sorgfältig abgewogen werden. Zum Risiko des Blutdruckanstiegs durch Mirabegron gab es 2015 sogar einen Rote-Hand-Brief des BASG. Seither gilt eine schwere oder nicht ausreichend eingestellte Hypertonie als Kontraindikation. Es bleibt abzuwarten, ob der erst im Juli 2024 über die EMA zugelassene β3-Agonist Vibegron ein verbessertes Nebenwirkungsprofil zeigt. Für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Belastungsinkontinenz steht zudem der Wirkstoff Duloxetin (SSNRI) in Dosierungen von 20 oder 40 mg zur Verfügung (mit Stand Oktober 2024: No-Box). 

Die letzte Möglichkeit

Erzielt man auch in der oralen Pharmakotherapie keinen ausreichenden Erfolg, führen vorerst minimalinvasive Eingriffe wie die Botulinumtoxin-Injektion in den Detrusor zu einer Verbesserung des Blasentonus. Botulinumtoxin blockiert irreversibel nach etwa zwei bis drei Tagen die Acetylcholinfreisetzung an den Nervenendigungen und somit die Reizweiterleitung für mindestens zwölf Wochen. Eine weitere Möglichkeit ist die Implantation von Elektroden in sakrale Nervenbahnen, um den sensorischen Weg der Blaseninnervation zu manipulieren. Sollten auch diese Maßnahmen versagen, ist es erforderlich, nach einer umfassenden Nutzen-Risiko-Abwägung eine invasive Operation zur Blasenvergrößerung oder die Legung eines Katheters in Erwägung zu ziehen. Diese Optionen sind jedoch mit eigenen Risiken wie der Gefahr von Infektionen und postoperativen Komplikationen verbunden. Aus diesen Gründen sollte stets die konservative und pharmakotherapeutische Therapie priorisiert werden, deren Erfolg stark von einer gründlichen Diagnosestellung abhängt. 


Quellen

  • Hutchinson A et al.: Overactive bladder syndrome: Management and treatment options. AJGP 2020; 49: 593-598
  • Nambiar AK et al.: European Association of Urology Guidelines on the Diagnosis and Management of Female Non-neurogenic Lower Urinary Tract Symptoms. Part 1: Diagnostics, Overactive Bladder, Stress Urinary Incontinence, and Mixed Urinary Incontinence. Eur Urol (2022); 82: 49-59.
  • S2k-Leitlinie: Harninkontinenz der Frau (2021), AWMF Reg.Nr. 015-091
  • S2k-Leitlinie: Medikamentöse Therapie der neurogenen Dysfunktion des unteren Harntraktes (2022), AWMF Reg.Nr. 043-053
  • Geisslinger G et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen: Pharmakologie, Klinische Pharmakologie, Toxikologie (2020), 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.

    Weitere Literatur auf Anfrage

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