Implantat-Infektionen

Der Krebs der Orthopädie

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Aufgrund der immer höheren Lebenserwartung kommt es seit Jahren zu einem kontinuierlichen Anstieg an Implantationsoperationen. Österreich liegt bei der Versorgung durch Knie- und Hüfttotalendoprothesen (KTEP bzw. HTEP) im internationalen Vergleich im Spitzenfeld: Im Jahr 2021 wurden rund 195 KTEP und 287 HTEP pro 100.000 Einwohner:innen implantiert. Mit der Gesamtanzahl der implantierten Gelenke steigt auch die Notwendigkeit von Wechseloperationen (Revisionsoperationen). Die häufigsten Ursachen für Revisionen an Knie und Hüfte sind aseptische Lockerungen. Dabei löst sich die feste Verbindung zwischen Implantat und umgebenden Knochen. Aseptische Lockerungen werden vor allem durch Abriebpartikel aus den verbauten Materialien oder durch fehlende Stabilität bei der Implantation hervorgerufen. Septische Lockerungen gehen hingegen auf ein Infektionsgeschehen im Bereich des Implantats zurück (periprothetische Infektionen, PPI). Bei HTEP werden 7,5 % der Revisionsoperationen aufgrund von septischen Lockerungen durchgeführt, bei KTEP ist dieser Anteil mit rund 15 % deutlich höher.

Inzidenz: Niedrig, aber verheerende Folgen

Die meisten PPI betreffen aufgrund der Implantationszahlen das Hüft- und Kniegelenk. Die Inzidenz ist nach primärem Gelenkersatz mit 1 bis 2 % zwar niedrig, tritt eine Infektion jedoch auf, führt sie zu verheerenden Einschränkungen in Lebensqualität und Mobilität der Betroffenen und zu hohen Therapiekosten. Bei Revisionsoperationen liegt die Inzidenz bei bis zu 15 %. Wird eine PPI nicht therapiert, kann sie zu schwerwiegenden lokalen bzw. systemischen Komplikationen wie Prothesenlockerung, Frakturen, Fistelbildung, Osteomyelitis und zuletzt Sepsis mit Multiorganversagen führen. PPI sind daher schwere Erkrankungen: Die altersbereinigte 5-Jahres-Überlebensrate von Patient:innen, die infolge einer PPI operiert werden mussten, liegt bei 74 %. Zum Vergleich: Beim Mammakarzinom beträgt das 5-Jahres-Überleben 89 %.

Implantat-Nachsorge: Infektionen aller Art ernst nehmen

Die Infektion einer Gelenkprothese kann grundsätzlich zu jeder Zeit auftreten, am häufigsten jedoch in den ersten zwei Jahren nach der Implantation. Sie entsteht entweder durch Bakterien, die während oder kurz nach der Operation in die Wunde gelangen oder – auch lange nach der Implantation – durch eine Streuung von Erregern über den Blutkreislauf ausgehend von anderen Infektionsherden. Immungeschwächte Personen, ältere Menschen, Diabetiker:innen, Menschen unter Steroidtherapie und vorerkrankte Personen haben ein erhöhtes Risiko. Bereits vor dem Einsatz einer Gelenkprothese ist ein zahnärztlicher Kontrollbesuch wichtig, um versteckte Infektionsherde frühzeitig zu eliminieren. Aber auch nach einer Operation sollten Prothesenträger:innen ihr Leben lang ihr Implantat im Hinterkopf behalten, wenn ein Entzündungsgeschehen im Körper ersichtlich wird. Eine frühzeitige, gezielte Antibiotikatherapie ist dann nach ärztlicher Absprache in der Regel notwendig (siehe Kasten 2, S. 52). Auch bei späteren Operationen, bei denen es zu einer bakteriellen Streuung kommen könnte (z. B. Zahnextraktionen), sollte nach ärztlicher Rücksprache eine prophylaktische Antibiose erfolgen. Die Meinungen gehen diesbezüglich jedoch auseinander. 

Periprothetische Infektionen (PPI): Risikofaktoren

• Primäre und sekundäre Immundefekte
• Hohes Alter
• Starkes Übergewicht 
(BMI > 35)
• Diabetes mellitus
• Steroidtherapie
• Rheumatoide Arthritis
• Chronisch entzündliche 
Dermatosen (z. B. Psoriasis)
• Gerinnungsstörung, Anti-koagulationstherapie
• Nikotin-, Alkohol-, Drogenabusus
• Maligne Erkrankung

Bakterieller Biofilm: Gekommen, um zu bleiben

Das Implantat führt – auch ohne die Anwesenheit von Bakterien – zur Immunsuppression im umgebenden Gewebe, das traumatisch und operativ geschädigt ist. Der Fremdkörper wird von einer Membran umhüllt, in der sich eine flüssigkeitsgefüllte Höhle ausbildet. Besiedeln nun Bakterien die Implantatoberfläche, können sie dort einen Biofilm aus Polysacchariden bilden, in dem sie vor Antikörpern und Antibiotika geschützt sind. Im Biofilm lassen sich vermehrt resistente Stämme nachweisen, zudem wird die Weitergabe bakterieller Resistenzfaktoren begünstigt. Staphylokokken verfügen über weitere Resistenzmechanismen (u. a. Bildung von mikrobiologisch schwer nachweisbaren Kolonien, Penetration von Wirtszellen und Übergang in einen „Schlafmodus“).

Frühinfektionen: Klassische Entzündungszeichen

PPI werden in Früh- und Spätinfektionen unterteilt. Von einer Frühinfektion spricht man, wenn die PPI innerhalb von zwei Wochen bis drei Monaten postoperativ auftritt. Verursachende Bakterien sind vorwiegend hochvirulent (z. B. Staphylococcus aureus, Enterokokken, gramnegative Bakterien), der Implantaterhalt ist zumeist möglich. Die Frühinfektion äußert sich mit den klassischen Infektionszeichen (Schmerz, Schwellung, Rötung, Erwärmung, Funktionsverlust), hinzu kommt ein stark vermindertes Allgemeinbefinden, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost und Fieber. Bei hochbetagten Personen (> 85 Jahre), Diabetiker:innen oder Patient:innen unter systemischer Kortikoidtherapie können jedoch auch nur einige oder keine dieser Symptome auftreten. 

Spätinfektionen: Anfangs geringe Symptome

Tritt die Infektion im Gegensatz dazu verzögert nach zwei Wochen bis drei Monaten postoperativ auf, spricht man von einer Spätinfektion. Verursachende Bakterien sind niedrig virulent (z. B. S. epidermidis, Propionibacterium acnes). Um die Infektion zu behandeln, ist ein Implantatwechsel notwendig. Eine palliative Behandlung ist jedoch in bestimmten Fällen sinnvoller, z. B. bei multimorbiden oder sehr alten Patient:innen. Die Spätinfektion zeigt sich sowohl bei KTEP als auch bei HTEP mit geringen oder keinen klinischen Symptomen. Gerade die Spätinfektion einer HTEP kann oft lange stumm verlaufen und viele Patient:innen entwickeln erst dann Beschwerden, wenn es zu einer Lockerung des Implantats kommt. Diese äußert sich in dumpfen, anfangs belastungsabhängigen Schmerzen, später in lagerungsabhängigen Schmerzen und schließlich Ruheschmerzen. Auch für Spätinfektionen gilt: Diabetiker:innen oder Personen unter systemischer Glucocorticoidtherapie nehmen häufig selbst in späten PPI-Stadien keine Schmerzen wahr. 

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Nicht nur vor der Erstimplantation eines künstlichen Gelenks sollte ein Zahnarztbesuch auf der To-Do-Liste stehen, um Entzündungsherde auszuschließen; auch nach der OP sind regelmäßige Kontrollen wichtig. © Shutterstock

Verlässlichste Diagnose: Intraoperative Biopsie

Die Diagnostik umfasst neben bildgebenden Maßnahmen ein Blutbild und eine Gelenkpunktion mit Zellzahlmessung und Zelldifferenzierung. Erhöhte Blutspiegel von CRP, Leukozyten oder BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) sind jedoch nur Hinweise, aber nicht zwingend Beweise für eine PPI. Sie können bei einer chronischen Infektion auch normwertig sein. Da die höchste Wahrscheinlichkeit, einen positiven Keimnachweis zu erzielen, intraoperativ besteht, sollte eine antibiotische Therapie erst dann eingeleitet werden, wenn eine Gewebeprobe entnommen und deren bakterieller Befall nachgewiesen wurde. Besonders die Diagnose von Spätinfektionen kann eine Herausforderung darstellen.

Goldstandard: Wechseloperation plus Antibiose

Eine erfolgreiche Therapie der PPI ist nur durch die Kombination von chirurgischen Maßnahmen und systemischer Antibiotikagabe möglich. Goldstandard ist derzeit die zweizeitige Wechseloperation, die aus zwei Eingriffen besteht und bei der alle Fremdkörper sowie abgestorbenes Knochen- und Narbengewebe vollständig entfernt werden. Bei ausgebauten Knie-Implantaten wird ein Platzhalter eingesetzt, der v. a. als Stabilisator fungiert und den Totraum verkleinert. Im Hüftgelenk übernimmt die Muskulatur diese Aufgabe. 
Postoperativ wird eine Antibiotikatherapie durchgeführt, meist im Ausmaß von zwei Wochen i. v. und vier Wochen p. o. Wird nach zweiwöchiger Antibiotikapause kein Infektgeschehen mehr nachgewiesen, wird ein neues Implantat eingesetzt. Im Rahmen der Implantation werden erneut Gewebeproben entnommen. Wenn auch durch mehrfache Revisionsoperationen und Antibiosen keine Keimfreiheit erreicht wird und kein Implantat mehr eingesetzt werden kann, bleibt im Knie nur die Möglichkeit einer dauerhaften Gelenkversteifung (Arthrodese). Für die Hüfte gibt es diese Option nicht: Sie muss – zumeist vorübergehend, seltener für immer – ohne Gelenk belassen werden.

Quellen
•   Walter G, Gramlich Y. Periprothetische Infektionen, Springer Medizin, e.Medpedia, 6.9.2019 
www.springermedizin.de/emedpedia/detail/orthopaedie-und-unfallchirurgie/periprothetische-infektionen?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54673-0_18 abgerufen am 28.01.2025
•   Holinka J, et al.: Management Management von Prothesen­infektionen, Orthopäde 2016, 45: 359–374
•   Türk S, et al.: Hüft- und Knie-Endoprothetik in Österreich  Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Juli 2018
•   Charité Universitätsmedizin Berlin, https://cmsc.charite.de/leistungen/septische_chirurgie/krankheitsbilder_und_therapien/infektionen_der_prothese#:~:text=Infektion%20der%20Prothese%20(Periprothetische%20Infektion,Diagnostik%20und%20Behandlung%20von%20Protheseninfektionen, abgerufen am 28.01.2025
•   de.statista.com

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