Die magistrale Rezeptur ist seit den Anfängen der apothekerlichen Praxis ein zentraler Bestandteil unseres Berufsbildes. Dennoch wird sie heute oft als ein Relikt aus vergangener Zeit angesehen. In vielen Regionen, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, hat sie an Bedeutung verloren und wird dort entweder kaum noch angewandt oder ausschließlich in spezialisierten Laboren hergestellt. Auch in manchen europäischen Nachbarländern ist die magistrale Rezeptur nur noch in Ausnahmefällen Teil des apothekerlichen Alltags. Die Bedeutung des Wissens über magistrale Rezepturen und die handwerklichen Fähigkeiten zu ihrer Herstellung werden allerdings zunehmend wiedererkannt und vielerorts als wertvolles Kulturgut betrachtet, das es zu bewahren gilt. Insbesondere durch die zunehmenden Lieferengpässe zugelassener Arzneimittel und der Ausdünnung des Arzneischatzes in manchen Indikationsgebieten – wie z. B. Hämorrhoidalbeschwerden – erlebt sie ein Revival. Nicht zuletzt wurden den apothekeneigenen Hausspezialitäten Österreichs, die in einem erweiterten Kontext zur magistralen Zubereitung gezählt werden können, 2010 der Status eines UNESCO-immateriellen Kulturerbes verliehen.
Dosier-empfehlungen
Dosierempfehlungen für rund 140 Arzneipflanzen und Zubereitungen aus dem ÖAB sind seit Jänner 2024 über die Diagnosia-App abrufbar und werden laufend erweitert.
Da der Aufbau ähnlich einer Fachinformation ist, finden sich darin auch Kontraindikationen, Nebenwirkungen und Hintergrundinformationen zu den eingesetzten Heilpflanzen und Inhaltsstoffen. Demnächst wird auch in einer Printversion verfügbar sein.
Die Vorteile individueller Phyto-Rezepture
Magistrale Rezepturen zeichnen sich durch ihre hohe Flexibilität aus. Sie können individuell auf Basis ärztlicher Verschreibungen an die jeweilige Indikation und die Patientin/den Patienten angepasst werden, was bei standardisierten Fertigarzneimitteln oft nicht möglich ist. Diese Individualität zeigt sich vor allem in der Kombinierbarkeit verschiedener Wirkstoffe, die gezielt auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden können.
Auch in Situationen, in denen Fertigarzneimittel nicht lieferbar sind, können magistrale Zubereitungen eine zuverlässige Alternative darstellen. Sie bieten die Möglichkeit, fehlende Präparate zu ersetzen oder Wirkstoffe in individuell angepasster Form, beispielsweise auch für Kinder bereitzustellen. Darüber hinaus können sie für Patient:innen mit Konservierungsmittelunverträglichkeiten oder Allergien frei von unerwünschten Zusatzstoffen hergestellt werden. Dies macht sie zu einer idealen Lösung für sensible Patientengruppen.
Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit, auf Basis ärztlicher Verschreibungen phytotherapeutische Präparate für Indikationen zuzubereiten, für die es bislang kaum Fertigpräparate gibt. Beispiele hierfür sind milde Mundspüllösungen auf Heidelbeerbasis, Johanniskrautöl zur Wundbehandlung, Hämorrhoidalzäpfchen auf Basis von Ringelblume oder pilzwidrige Hautölmischungen
Herausforderungen und Grenzen
Trotz der vielen Vorteile stehen magistrale Zubereitungen auch vor einigen Herausforderungen. Eine der größten ist die fehlende Prüfung der Endprodukte. In der Regel sind für magistral hergestellte Dermatika keine dermatologischen Tests verfügbar, was insbesondere bei der Anwendung auf empfindlicher Haut ein Risiko darstellen kann. Auch die Kompatibilität der eingesetzten Wirkstoffe ist nicht immer umfassend geprüft, was die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit komplexer Mischungen beeinträchtigen kann.
Ein weiteres Hindernis ist die Verfügbarkeit bestimmter von Ärzt:innen verschriebener Wirk- und Grundstoffe. Einige Pflanzenextrakte oder Wirkstoffe sind nicht immer in ausreichender Menge oder Qualität erhältlich, was die Herstellung erschweren kann.
Vielfältige und oftmals kostengünstige Anwendungsgebiete
Eine umfassende Quelle bewährter und etablierter phytotherapeutischer Rezepturen ist das Österreichische Arzneibuch, das in den letzten Ausgaben kontinuierlich um neue Rezepturen erweitert wurde. Neben einer Vielzahl an Teemischungen, Hustensirupen, Salben und Lösungen finden sich mittlerweile auch Zubereitungen wie ein Fichtenbalsam oder Mundgele. Viele dieser Rezepturen sind sogar kassenfrei verschreibbar.
ÖGPHYT-Rezepturen
Unter der Webseite www.phytotherapie.at/Rezepturen.html finden sich aktuell 73 Phytorezepturen in unterschiedlichen Indikationsbereichen, von Teemischungen über entzündungshemmende Mundgele bis hin zu Hämorrhoidenzäpfchen. Rezeptformulare lassen sich direkt herunterladen. Zudem ist definiert, ob die Rezeptur in der grünen Box ist und kassenfrei verschrieben werden kann.
Hämorrhoidenzäpfchen
Rp./
Tannin 0,11
Ringelblumenblütenfluidextrakt 0,20
Lebertran 0,07
Lavendelöl 0,04
Kamillenöl 0,04
Menthol 0,07
Hartfett ad 2 g
Quelle
Entzündungshemmendes Gel für den Mundbereich offizinal
- 0,2 g Carbopol 974P
- 0,03 g Trometamol
- 1,5 g Propylenglycol
- 0,002 g Chlorhexidindigluconat
- 0,25 g Salbeitinktur
- 0,25 g Myrrhentinktur
- 0,25 g Ratanhiatinktur
- Ad 20 g Gereinigtes Wasser
Quelle: Österreichisches Arzneibuch 2024
Die Einsatzmöglichkeiten magistraler Phyto-Rezepturen sind äußerst vielseitig und reichen weit über die klassischen Anwendungen wie Tees, Hustensirupe oder dermatologische Präparate hinaus. Vielmehr eröffnet sich in zahlreichen Indikationsgebieten eine breite Palette an phytotherapeutischen Rezepturen.
Im Verdauungstrakt ist neben der Anwendung von Teemischungen und Tinkturen auch der Gebrauch von Einreibungen, Zäpfchen und aromatischen Wässern möglich. Im Bereich der Atemwege stehen neben Tees und Sirupen auch Brustbalsame, Gurgellösungen und Inhalationssalze als wirksame Rezepturmöglichkeiten zur Verfügung, zum Beispiel:
Rezeptur Inhalationssalz
- Rp./ Natriumcarbonat-Monohydrat
- Natriumchlorid aa 30
- Äther. Pfefferminzöl gtt Nr. 3
Cave: Nicht für Kleinkinder geeignet (Kretschmer-Reflex!)
Das größte bislang ungenutzte Potenzial bieten phytotherapeutische Rezepturen in der Dermatologie. Salben, Gele, Cremes und Lösungen können nicht nur auf Basis von Ringelblume, Johanniskraut, Kamille und Hamamelis, sondern auch aus zahlreichen weiteren Heilpflanzen wie Stiefmütterchen, Eiche, Blutwurz, Eibisch oder Schachtelhalm zubereitet werden. Die Wirksamkeit solcher Zubereitungen wurde teilweise auch durch verschiedene Studien belegt: So konnte beispielsweise eine Malvencreme Ekzeme lindern¹, während eine 1%-ige Eibischzubereitung bei Kindern mit atopischen Ekzemen effektiver war als eine 1%-ige Hydrocortisoncreme.2
Auch Ölmischungen mit ätherischen Ölen bieten ein bislang wenig beachtetes Potenzial, da diese je nach ätherischem Öl neben sedativen, durchblutungsfördernden und blähungstreibenden Wirkungen auch antimikrobielle und pilzhemmende Effekte erzielen können. Sofern diese pro ätherischem Öl die Konzentration von 2 % der Gesamtmenge nicht überschreiten, sind diese oftmals sogar kassenfrei.
Pilzwidriges Öl zur Pflege und Nachbehandlung betroffener Hautstellen
- Rp./ Kümmelöl
- Lavendelöl
- Korianderöl aa 1,0
- Mandelöl ad 50,0
Quelle: www.phytotherapie.at/Rezepturen.html
Auch in der Frauenheilkunde, bei Beschwerden im Herz-Kreislauf-System, Nervensystem, Mund- und Rachenraum oder Bewegungsapparat bietet die Phytotherapie wirksame Optionen. Und sogar bei Spannungskopfschmerzen bietet eine 10%ige Pfefferminzölmischung eine pflanzliche Alternative zu klassischen Schmerzmitteln.3 Laut HMPC wird diese Therapie sogar als „well-established“ eingestuft.
Pfefferminz-Roll-On
- Rp./ Äther. Pfefferminzöl 1,0
- Aethanol ad 10,0
In ein Roll-On-Fläschchen abfüllen.
Quellen und weiterführende Links
- Meysami M. et al: Efficacy of Short Term Topical Malva Sylvestris L. Cream in Pediatric Patients with Atopic Dermatitis: A Randomized Double-Blind Placebo-Controlled Clinical Trial. Endocr Metab Immune Disord Drug Targets. 2021; 21(9):1673-1678.
- Naseri et al.: Effect of topical marshmallow (Althaea officinalis) on atopic dermatitis in children: A pilot double-blind active-controlled clinical trial of an in-silico-analyzed phytomedicine. Phytother Res. 2021; 35(3):1389-1398
- Göbel et al.: Effectiveness of oleum menthae piperitae and paracetamol in therapy of headache of the tension type. Nervenarzt 1996; 67:672-681.
• Österreichisches Arzneibuch. Amtliche Ausgabe 2024. Verlag Österreich
• Rezepturvorschläge der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie www.phytotherapie.at/Rezepturen.html
Weitere Literatur auf Anfrage