Alle Jahre wieder lässt die ÖAZ relevante Stakeholder, die Apothekerverbände sowie die Apothekerkammer zu Wort kommen und bittet um deren Prognosen für die Zukunft und den Blick auf die vergangenen zwölf Monate.
Mag. pharm. Raimund Podroschko,
Präsident des VAAÖ
„Jetzt die nötigen Schritte unternehmen“
ÖAZ Welche Ziele hatten Sie sich für 2023 gesteckt und sind Sie mit der Umsetzung zufrieden?
Mag. pharm. Raimund Podroschko Ja, ich denke, wir können mit dem, was wir für die angestellten Apotheker:innen, aber auch für die Apothekenbetriebe erreicht haben, durchaus zufrieden sein: Ein großer Schritt vorwärts ist uns in den Wirtschaftsverhandlungen gelungen, z. B. mit der Erhöhung der Taxsätze für magistrale Zubereitungen und Galenika. Die Implementierung des e-Rezeptes haben wir ebenfalls gut über die Bühne gebracht. Weiters stehen neue Dienstleistungen ante portas wie die Medikationsanalyse, deren Pilotprojekt derzeit in Wien mit sehr gutem Erfolg und Just-in-Time umgesetzt wird. Und mit dem Ausbildungspaket zur Klinischen Pharmazie, das als „Letzt-Ausbaustufe“ nun sogar ein universitäres Masterstudium beinhaltet, ist unserer Vizepräsidentin Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi ein wirklich großer Wurf gelungen. VAAÖ-intern war die Etablierung der Young Pharmacists als neuer Zweigverband ein besonderes Highlight. Dabei freut mich die starke Resonanz unserer jungen Kolleg:innen auf das vielfältige Angebot der AYP besonders.
Mit all diesen Projekten verfolgen wir vorrangig ein Ziel: Den Apothekerberuf auch weiterhin attraktiv zu gestalten und ihn in eine sichere Zukunft zu führen. Der große Kongress zum 75-Jahr-Jubiläum der Österreichischen Apothekerkammer mit einer international besetzten Podiumsdiskussion war ein starkes Zeichen dafür.
Die Umsetzung der Apothekengesetznovelle „zieht“ sich hingegen noch, nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der Ärztekammer. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir viele unserer Vorschläge durchbringen werden, etwa die deutliche Ausweitung und Flexibilisierung der Öffnungszeiten – hier haben wir vom VAAÖ bereits 2015 entsprechende Zuschläge bei den Gehältern durchgesetzt – sowie die Möglichkeit von drei Filialapotheken statt einer. Aufgrund unserer Forderung muss für jede dieser Filialapotheken ein/e verantwortliche/r Apotheker:in ernannt werden.
ÖAZ Sie sind in zwei europäischen Verbänden tätig. Wie würden Sie die Lage der Apotheker:innen auf internationaler Ebene beurteilen?
Podroschko In meiner Tätigkeit in der PGEU, der Vereinigung der Apotheker in der EU, sowie als Vizepräsident der EPhEU, des Verbandes der angestellten Apotheker in der EU, stehe ich in engem Austausch mit den Vertreter:innen der anderen Länder. Fakt ist, dass alle mit denselben Problemen zu kämpfen haben: Die noch lange nicht ausgestandene Corona-Krise, Zukunftsängste u. a. durch die hohe Inflation und die Krisenherde nahe Europa sowie stressige Arbeitsbedingungen und die ständig geforderte Flexibilität durch zusätzliche Anforderungen schaffen eine permanente Belastungssituation. Außerdem besteht eine generelle Tendenz, dass für viele – vor allem junge – Apotheker:innen soziale Bedingungen im Beruf wie Work-Life-Balance, Wertschätzung und ein vielfältiger, abwechslungsreicher Tätigkeitsbereich immer wichtiger werden. Mit der Etablierung neuer Tätigkeitsbereiche und Weiterbildungsmöglichkeiten entsprechen wir diesen Anforderungen.
Das Image der Apotheker:innen ist europaweit besser denn je. Um das auch zukünftig zu erhalten, arbeiten wir eng zusammen – z. B. in Bezug auf die Lieferengpässe – und schauen natürlich auch, was in anderen Staaten funktioniert und was man tunlichst so nicht machen sollte. In Bezug auf die verpflichtende Fortbildung ist Österreich leider ein Negativ-Beispiel, weil sie im Gegensatz zu den anderen Ländern bei uns auf Kosten der angestellten Apotheker:innen umgesetzt wurde.
Hingegen sind unsere Maßnahmen gegen die Lieferengpässe wie die Etablierung von Wirkstofflagern etc. beispielgebend. Und dass jetzt wieder auf unsere Kompetenz in der magistralen Zubereitung und bei Galenika zurückgegriffen wird, hat EU-weite Vorbildwirkung.
ÖAZ Welche Schritte braucht es, um die Arbeit des/der Apotheker:in auch 2024 bestmöglich zu unterstützen?
Podroschko Die stetig steigende Mitgliederzahl, unsere Umfragen und die vielen Gespräche, die wir mit unseren Kolleg:innen führen, zeigen, dass wir mit all diesen Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen, indem wir unsere Tätigkeitsbereiche weiter ausbauen, Perspektiven schaffen und für gute Arbeitsbedingungen kämpfen.
Das Impfen durch uns Apotheker:innen ist ein gutes Beispiel. Dazu haben bereits über 2.000 Kolleg:innen die Ausbildung gemacht. Deshalb werden wir mit aller Kraft weiter an dessen Umsetzung arbeiten, ebenso wie an jener der Wirkstoffverschreibung.
Maßgebend in Hinblick auf die Job-Zufriedenheit sind selbstverständlich auch die Ergebnisse der Kollektivvertragsverhandlungen, die derzeit laufen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Aber es zeigt sich wieder einmal, wie wichtig eine starke, unabhängige Angestelltenvertretung ist. Denn die angestellten Apotheker:innen haben einen Anspruch auf zumindest den Ausgleich der Inflation.
Dazu kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt: Gute Ergebnisse in den diversen Verhandlungen wie eben ein fairer Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen sind für viele ein Zeichen, dass das System funktioniert, dass man für ein hohes Engagement auch eine entsprechende Honorierung und ein gewisses Maß an Sicherheit zurückbekommt. Das ist in herausfordernden Zeiten wie diesen essenziell, insbesondere für die Angestellten.
Mag. pharm. Thomas Veitschegger, Präsident des Apothekerverbands
„Es wird ein sehr politisches Jahr“
ÖAZ Wenn Sie auf 2023 zurückblicken – was waren die größten Herausforderungen der Branche und wie gut wurden sie gemeistert?
Mag. pharm. Thomas Veitschegger Das letzte Jahr war sicher nicht arm an Herausforderungen für uns Apothekerinnen und Apotheker – eine der größten war und ist sicherlich das Thema Lieferengpässe. Schließlich geht es dabei darum, unsere wichtigste Aufgabe zu erfüllen, die gleichzeitig integraler Bestandteil unseres Berufsethos ist: die Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln. Mit hohem Mehraufwand gelingt es uns, dass die Menschen ihre Medikamente bekommen. Das ist nur durch das hohe Engagement der Kolleginnen und Kollegen möglich, wofür ich mich herzlich bedanke. Auf politischer Ebene ist es mittlerweile gelungen, die wesentlichen Stakeholder für die Situation zu sensibilisieren, sodass nun zumindest über Lösungsansätze diskutiert wird. Natürlich liegt dabei noch ein weiter Weg vor uns – so ehrlich muss man sein. Denn die Abhängigkeit von den asiatischen Produktionsstandorten lässt sich nicht von heute auf morgen abstellen. Herausfordernd ist auch die Situation am Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel kommt immer mehr bei den Apotheken an und so haben wir 2023 begonnen, uns mit einer groß angelegten Personalkampagne als Arbeitgeber zu positionieren. Das ist sehr gut gelungen – 90 Prozent der Angehörigen unserer Zielgruppen haben wir mit unseren Inhalten mindestens zehn Mal erreicht, wir waren mit Informations-Paketen in Schulen präsent und konnten die Bekanntheit der PKA-Lehre signifikant steigern. Damit haben wir deutlich auf uns aufmerksam gemacht und werden in der nächsten Zeit auch am Thema dranbleiben.
ÖAZ Was sind aus Ihrer Sicht im Jahr 2024 die „Milestones“ für die Apothekerschaft?
Veitschegger 2024 wird ein sehr politisches Jahr werden. Beginnend mit dem Beschluss der Apothekengesetz-Novelle im Nationalrat – das wurde uns für das erste Quartal versprochen. Positive Signale haben wir bei der Vergütung magistraler Zubereitungen vonseiten des Dachverbands der Sozialversicherungen erhalten. Dabei muss eine Neuregelung ausgestaltet werden, die abbildet, dass genau diese Arbeit in den Apothekenlaboren einen wesentlichen Beitrag für die Versorgung der Menschen in Zeiten von Lieferengpässen leistet.
Zudem steht 2024 eine Nationalratswahl an. Bereits jetzt wird im Apothekerhaus an gemeinsamen Positionen aller Institutionen unseres Standes gearbeitet, die wir der kommenden Bundesregierung nachdrücklich kommunizieren werden. Dabei wird es darum gehen, die Apotheken noch besser in der Architektur unseres Gesundheitssystems zu verankern und ihre Potenziale zu nutzen – bei entsprechender Abgeltung der Leistungen. Natürlich wollen wir daneben an Projekten im Servicebereich arbeiten, sodass wir uns auf ein sehr intensives Jahr 2024 einstellen.
ÖAZ Welche Projekte sind im Servicebereich in Planung? Können Sie uns da schon erste Hinweise geben?
Veitschegger Wir bemühen uns, die Unterstützungsleistungen für unsere Mitglieder ständig weiterzuentwickeln und an ihre Bedürfnisse anzupassen. Dazu haben wir unser Team mit einem Digitalexperten verstärkt. Er wird Beratungsleistungen anbieten, die es so nirgendwo sonst gibt: digitale Expertise verschränkt mit dem Branchen-Know-how, das wir im Apothekerverband haben.
In einem weiteren Projekt entwickeln wir gerade eine unabhängige Plattform, die die Übernahme bzw. die Übergabe von Betrieben vereinfachen wird. Da muss ich Sie noch etwas auf Folter spannen. So viel kann ich aber schon verraten: Im Frühjahr werden wir damit an den Start gehen.
Wir wollen aber auch unsere Informationsangebote in den Bereichen Arbeitsrecht und Pharmazie verstärken. Wir haben in den letzten Jahren bereits mehrere Broschüren veröffentlicht, die komplexe rechtliche Inhalte so herunterbrechen, dass sie eine Grundlage für die tägliche Arbeit in der Apotheke bilden können. Das wird gut angenommen, sodass wir hier nun an neuen Themen arbeiten.
Außerdem werden wir unser Seminarprogramm erweitern und wie schon erwähnt unsere Personalkampagne fortführen, wobei der Schwerpunkt auf den sozialen Medien und Events für junge Zielgruppen liegen wird.
Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Apothekerkammer
„Dienstleistungen weiterentwickeln“
ÖAZ Gesundheitsminister Rauch hat die neue Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. Wie zufrieden sind Sie damit und wie stehen Sie zum überarbeiteten Apothekengesetz?
Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr Die entscheidende Frage wird sein, wie die ausverhandelten Themen und Ziele in der Praxis umgesetzt werden. Um ein Beispiel zu nennen: Die im Rahmen des Finanzausgleichs 2024 vereinbarte Gesundheitsreform betrifft unter anderem die Versorgung mit innovativen bzw. hochpreisigen Arzneimitteln. Ein Bewertungsboard soll die ökonomische Beurteilung des medizinisch-therapeutischen Nutzens der Arzneispezialitäten vornehmen. Die Frage wird daher sein: Wie wird dieses Board besetzt? Es ist aus meiner Sicht unabdingbar, dass die Expertise und Erfahrung der Krankenhausapothekerschaft eingesetzt wird. Die Anstaltsapotheke ist die zentrale Organisationseinheit einer Krankenanstalt für die Versorgung mit Arzneimitteln und die umfassende pharmazeutische Betreuung. Sie sorgen vornehmlich dafür, dass das erforderliche Arzneimittel in der richtigen Dosierung und Qualität zum richtigen Zeitpunkt beim richtigen Patienten ankommt und sind auch den ökonomischen Vorgaben verpflichtet. Alle Anstaltsapotheken arbeiten in Einkaufsverbünden zusammen, die zentral vernetzt sind und mit pharmazeutischen Unternehmen über das gesamte Sortiment hinweg Preisnachlässe für innovative Hochpreisarzneimittel verhandeln: kostenneutral, rasch und rechtskonform. Dies garantiert einen raschen Zugang zu Therapieinnovationen.
Die Apothekengesetznovelle kann die Grundlage für eine noch umfassendere gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung schaffen. Entgegen dem ursprünglichen Plan des Gesundheitsministers wurde diese Novelle nicht im Zuge der aktuellen Gesundheitsreform beschlossen. Das Gesetz wird daher nicht wie geplant mit 1. Jänner 2024 in Kraft treten. Mit einer Beschlussfassung im Parlament ist im Laufe des 1. Quartals 2024 zu rechnen.
ÖAZ Welche Ziele hat sich die Apothekerkammer für 2024 gesetzt?
Mursch-Edlmayr Das bundesweite Versorgungsnetz der wohnortnahen öffentlichen Apotheken und die Kompetenz der insgesamt 6.800 Apothekerinnen und Apotheker sind unverzichtbar bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, pharmazeutischer Expertise und der steigenden Zahl an Dienstleistungen. Angesichts der wachsenden Herausforderungen, denen sich das Gesundheitssystem gegenübersieht, ist es notwendig, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Bevölkerung bestmöglich mit Dienstleistungen zu versorgen. Dabei kommt den Apotheken eine zentrale Rolle zu, denn bei ihnen findet in der Praxis sehr oft der gesundheitliche Erstkontakt statt. Im Ausbau befindet sich die telemedizinische Beratung, die idealerweise zu Randzeiten und an Feiertagen, wenn viele Ordinationen geschlossen haben, gleich in der Apotheke stattfinden könnte. Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsversorgung sind niederschwellige Gesundheitstests und Screenings. Die schnelle Weiterentwicklung dieser und anderer Dienstleistungen werden 2024 einen Schwerpunkt unserer standespolitischen Arbeit bilden.
ÖAZ Welche Rolle können die Apotheken im Gesundheitssystem der Zukunft spielen?
Mursch-Edlmayr Um die aktuelle Bedeutung der Apothekerschaft und ihre vielfältigen zukünftigen Leistungen im österreichischen Gesundheitswesen zu illustrieren, hat die Apothekerkammer das Konzept des „Gesundheitshauses“ entwickelt. Diese – bewusst vereinfachte – Darstellung der verschlungenen Wege und komplexen Zusammenhänge mit zahlreichen Akteuren soll dazu dienen, die Versorgungswege der Patient:innen im System besser zu verstehen und ungenützte Versorgungspotenziale zu identifizieren. Das Gesundheitshaus beschreibt die einzelnen Versorgungsstufen unseres Gesundheitssystems. Die bundesweit 1.400 öffentlichen Apotheken bilden das Fundament dieses Gesundheitshauses. Sie sind eine unverzichtbare wohnortnahe und niederschwellige Anlaufstelle für die Menschen: von der gesundheitlichen Ersteinschätzung über die gezielte Lenkung im System bis zur medikamentösen Endversorgung. Je früher und je umfassender die Menschen betreut werden, desto besser für die persönliche Gesundheit und desto geringer die späteren Gesundheitskosten. Denn Bevölkerungswachstum, Zivilisationskrankheiten und die Überalterung der Bevölkerung erhöhen den (finanziellen) Druck auf die oberen Stockwerke des Gesundheitshauses. Die Überlastung im medizinischen System nimmt stetig zu. Der Schlüssel zur Entlastung liegt in den Apotheken: Ob Vor-Ort-Tests zur Unterstützung der ärztlichen Diagnostik, individuelle Medikamentenherstellung, Impfungen oder telemedizinische Angebote – das (ungenützte) Versorgungspotenzial ist gewaltig.
Dr. Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbands
„Bedrohung für die Versorgungssicherheit“
ÖAZ Das neue Preisband war heuer ein heißes Thema und wurde auch von Ihrer Seite stark kritisiert. Wie ist hier der Status quo und welche Konsequenzen erwarten Sie?
Dr. Wolfgang Andiel Das Preisband 2023 hat den Druck auf die Generikapreise neuerlich massiv erhöht. Nicht nur durch die Verkleinerung des Preisabstandes auf 20 %, sondern vor allem auch durch Abstellen der Preise auf die sogenannte Schlüsselstärke. Letzteres hat zur Folge, dass im Extremfall eine zwölffache Stärke nicht mehr kosten darf als die einfache. Die Folgen werden wir wohl erst in den nächsten Monaten sehen. Die EKO-Streichungen jener Produkte, die den Preis nicht abgesenkt haben, werden voraussichtlich erst im Mai erfolgen. Und wie viele Produkte die Preise gesenkt haben, aber aus wirtschaftlichen Gründen keine Produktion mehr durchführen können, wird sich erst herausstellen. In jedem Fall stellt das diesjährige Preisband eine massive Bedrohung für die nachhaltige Versorgungssicherheit mit Medikamenten dar.
ÖAZ Lieferengpässe bei Generika sind inzwischen Alltag. Wann rechnen Sie mit einer Erleichterung?
Andiel Lieferengpässe bei Medikamenten kennen wir schon länger und wir werden mit dieser Herausforderung weiter leben müssen. Auch wenn jeweils nur ein kleiner Teil der Arzneimittel betroffen ist, führen die seit vielen Jahren stetig steigenden Kosten und Anforderungen bei gleichzeitig permanent sinkenden Preisen dazu, dass viele Medikamenten die wirtschaftliche Untergrenze erreicht haben. Neun von zehn Medikamenten, die abgegeben werden, sind nicht patentgeschützt, also Generika und abgelaufene Originale. Fast die Hälfte davon liegt preislich unter der Rezeptgebühr. Eine Besserung dieser Situation ist nicht in Sicht und nur die noch bestehende Vielfalt an Alternativen macht die Patientenversorgung weiterhin möglich.
ÖAZ Wird vonseiten der österreichischen Regierung aber auch vonseiten der EU genug gemacht, um die Produktion wieder nach Europa zu holen?
Andiel Wir können unsere Abhängigkeit von asiatischer Produktion nur reduzieren, wenn Investitionen in Europa wirtschaftlich abbildbar werden. Da die Erstattungssysteme in der Verantwortung der EU-Mitgliedsländer liegen und bisher kein Land bereit war, für Medikamente aus europäischer Produktion mehr zu bezahlen, sind alle bisherigen Bemühungen auf EU-Ebene lediglich Lippenbekenntnisse. Auf nationaler Ebene wurden bereits konkrete Schritte unternommen, Stichwort Unterstützung für die Antibiotika-Produktion in Tirol. Jetzt muss man sich noch durchringen, die restriktiven Preismechanismen zu beenden. Ein Schritt in die richtige Richtung wurde am vorletzten Plenartag des Jahres im Parlament gesetzt: Die ab Jänner 2024 drohenden neuen EKO-Streichungsverfahren wurden neuerlich für zwei Jahre ausgesetzt. Damit sind die Hersteller zumindest nicht gezwungen, den jeweils niedrigsten Preis akzeptieren zu müssen. Dafür muss allerdings nochmals ein Preisband in Kauf genommen werden, das aber nicht mehr so drastisch ausfallen wird, weil die Schlüsselstärken-Mechanik nun schon abgefrühstückt ist. Außerdem wurden die Erstattungsregeln für Biosimilars neuerlich um den gleichen Zeitraum verlängert. Das geht zwar etwas zulasten der Generika-Preise, macht aber in der Gesamtsicht großen Sinn, weil in Zukunft Biologika-Patentabläufe eine immer größere ökonomische Rolle spielen werden und dadurch die Patientenversorgung nachhaltig gestützt wird. Warum man diese an sich sinnvollen Regelungen, die wir seit sechs Jahren haben, nicht endlich in Dauerrecht überführt hat, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Julia Guizani, Präsidentin des FOPI
„Es braucht mehr Anreize“
ÖAZ Wie hat sich das Jahr 2023 aus Sicht der forschenden Pharmaindustrie gestaltet? Sind Sie zufrieden?
Julia Guizani Das Jahr 2023 hat für mich zwei Seiten: Auf der Habenseite stehen 54 weitere innovative Therapien, die im vergangenen Jahr zugelassen wurden und Patient:innen neue Hoffnung bieten. Über die letzten zehn Jahre betrachtet, kamen über 400 Innovationen auf den Markt.
Positiv ist auch zu bewerten, dass mit dem Finanzausgleich wesentliche Eckpunkte einer schrittweisen Gesundheitsreform auf den Weg gebracht wurden. Welchen Impact die in der Gesundheitsreform vorgesehenen Instrumente entwickeln können, wird in den nächsten Monaten spannend zu beobachten sein. Klar ist aber jetzt schon, dass die Tücke im Detail liegt und der Erfolg von der Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen abhängt. Wir werden als Industrie jedenfalls das in unserer Macht Stehende dazu beitragen, um einen kollaborativen, konstruktiven neuen Weg im Zugang zu Innovationen zu ermöglichen.
Auf der Sollseite der Jahresbilanz steht aus meiner Sicht die EU-Pharmagesetzgebung: Auf den ersten Blick könnte man den Vorschlägen durchaus etwas abgewinnen. Denn mit den neuen Regelungen sollen Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten frühzeitig für Patient:innen verfügbar gemacht und Innovationen gefördert werden. In der Umsetzung würde aber vor allem die Verkürzung des sogenannten Unterlagenschutzes aber das Gegenteil bewirken. Die Verkürzung der Schutzfristen für geistiges Eigentum von 8 plus 2 auf 6 plus 2 Jahre würde Investitionen in die Forschung massiv hemmen. Denn den Grundstein für Innovationen bilden Patente, die ein wesentlicher Motor für die Forschung und Entwicklung sind (F&E). Und die Entwicklung von Arzneimitteln wiederum ist mit einem enormen Aufwand verbunden – sowohl zeitlich als auch finanziell.
Entsprechend rechnet eine von der EFPIA kürzlich beauftragte Studie vor, dass der weltweite Anteil der F&E-Investitionen in der EU von 2020 bis 2040 von 32 % auf 21 % sinken würde und dass jedes fünfte Projekt in Europa nicht mehr wirtschaftlich tragfähig wäre. Die Position Europas würde sich in der Folge gegenüber den führenden Forschungsnationen USA, China und Japan weiter verschlechtern. Und das wiederum – so der springende Punkt – würde ganz direkt auch auf die österreichischen Patient:innen negativ durchschlagen.
ÖAZ Was wünschen Sie sich für 2024 von der Politik und welche Entwicklungen erwarten Sie für das kommende Jahr?
Guizani Wir sehen uns in der forschenden Pharmaindustrie als vertrauenswürdige und aktive Partnerin, die viel in das österreichische Gesundheitssystem einbringt. Die Zahlen sprechen für sich: Mit 63.000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen erzielen wir 4,8 Milliarden Euro an Wertschöpfung und bringen neben einer attraktiven Forschung auch innovative Therapien nach Österreich. Das hat relevante, teils lebenswichtige Auswirkungen auf die Menschen. Denn wo geforscht wird, sind innovative Arzneimittel früher verfügbar und Ärzt:innen zeitnah am höchsten Stand des medizinischen Wissens. So können die Patient:innen von einer topmodernen Versorgung profitieren, die ihre Lebenserwartung sowie -qualität steigern kann. Natürlich gehört F&E zum Geschäftsmodell der forschenden Pharmaindustrie, stellt gleichzeitig aber auch einen hohen Wert für die Gesellschaft dar, für den wir uns mehr Wertschätzung wünschen.
Um die Innovationsfähigkeit der Pharmaindustrie in Österreich auch in Zukunft zu sichern, braucht es mehr Anreize für Unternehmen, in Österreich zu forschen und produzieren: beispielsweise eine stärkere Förderung von Digitalisierung und Technologisierung, die auch die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz mitdenkt. Zudem benötigt es faire Rahmenbedingungen, insbesondere in der Preisgestaltung, um Österreich im internationalen Vergleich als Markt attraktiv zu halten.
Als forschende Pharmaindustrie nehmen wir unsere Verantwortung wahr und suchen das Gespräch, um Lösungen zu entwickeln. Wir wünschen uns jedoch von den politischen Stakeholder:innen mehr Offenheit für neue Ansätze und in einen echten Austausch. Denn der dient den Patient:innen, auf die im Interessensabgleich allzu schnell vergessen wird.
Kurzum: Wenn ich für den Jahreswechsel einen Wunsch frei hätte, dann würde ich dafür eintreten, die Patient:innen wahrhaftig in den Mittelpunkt zu stellen.
ÖAZ Wie stehen Sie zu dem neuen Medikamenten-Bewertungsboard von Minister Rauch?
Guizani Beim kürzlich beschlossenen „Medikamenten-Bewertungsboard“ steht derzeit primär der Preis einer Therapie im Vordergrund und nicht ihr medizinisch wissenschaftlicher Nutzen. Und obwohl die genauen Prozesse für dieses Bewertungsboard wie auch die bundesweite, einheitliche Finanzierung derartiger Therapien noch offen sind, soll der Gesetzesentwurf Mitte Dezember im Parlament beschlossen werden.
Aus Sicht der forschenden Pharmaindustrie gibt es jedoch noch wesentliche Knackpunkte:
Aktuell sind jene Fachexpert:innen im Bord unterrepräsentiert, die für die jeweilige Indikation eine Therapie bewerten und empfehlen sollen. Zudem ist auch nicht geplant, den Patientenvertreter:innen eine Stimme zu geben, um für die Bedürfnisse der Betroffenen zu sprechen.
Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär PHARMIG
„Fingerspitzengefühl ist gefordert“
ÖAZ Gesundheitspolitisch war es ein turbulentes Jahr für die Pharmabranche – von Lieferengpässen über das EU-Pharma-Gesetz bis zum Medikamenten-Bewertungsboard. Wie sieht Ihr Fazit zu 2023 aus?
Mag. Alexander Herzog Karussell, Achterbahn, Tagada, Autodrom – mir fallen zum Wort „turbulent“ und „Jahresrückblick“ so einige Assoziationen aus dem Vergnügungspark-Repertoire ein, die ich als passende Vergleiche heranziehen könnte. Es ging bei einigen Themen wirklich zur Sache, manchmal im Kreis, manchmal im Auf-und-Ab, manchmal unterwegs auf Konfrontationskurs. Immer aber war viel Fingerspitzengefühl gefordert, um ein gewisses Maß an Balance zu halten – nämlich zwischen der Dringlichkeit, die einzelne Themen im Handeln erforderten, und gleichzeitig einen Weitblick zu bewahren.
Warum Weitblick: Etwas ganz Zentrales beschäftigt uns ja schon seit Jahrzehnten, nämlich die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Das ist ja an sich schon tagesfüllend und ein unerschöpflicher Quell für seitenlange und mitunter kostspielige Konzepte, Maßnahmen, Strategien. Kommen obendrein äußere Einflüsse hinzu, wie etwa die wirklich außergewöhnliche Infektionswelle letzten Winter, dann sehen wir sehr schnell, wie volatil dieses System ist.
Die Arzneimittelversorgung ist nur ein, wenn auch wirklich wesentlicher Teil in der Gesundheitsversorgung. Die Pflege, Infrastruktur und die Finanzierung all dessen – das alles scheint in Wahrheit ein unerschöpfliches Spielfeld zu sein, wo der Ball gleichermaßen weggeschossen, festgehalten, ins Out verlagert oder zerfetzt wird.
ÖAZ Glauben Sie, dass Ihre Kritikpunkte gehört werden und 2024 auch umgesetzt werden können?
Herzog Es kommt mir oft so vor, als wären wir andauernd im Krisenmodus und damit beschäftigt, Brandherde zu löschen. Wir kommen nie dazu, auf diesem verbrannten Feld auch einmal etwas zu säen, auf dem langfristig und nachhaltig etwas aufgehen könnte. Mit dem Ziel, unser Gesundheitswesen für die nächsten Generationen leistungsfähig zu halten.
Die alternde Bevölkerungsstruktur ist dabei ein nicht wegzudiskutierender Fakt. Gemeinsam mit den damit verbundenen, steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung oder auch die zusätzlichen Pensionsausgaben. Das wissen wir nicht erst seit heute, nicht erst seit gestern.
Das zeigt, dass wir uns der vielen Problemlagen durchaus bewusst sind. Allein, an Strukturen wirklich heranzugehen, sie grundlegend zu ändern, ist ein Mammutprojekt. Dazu bräuchte es, speziell was das Gesundheitssystem betrifft, nicht weniger als eine Bundesverfassungsreform.
ÖAZ Wie würden Sie aktuell die Stimmung in der pharmazeutischen Industrie national und international bewerten?
Herzog Inzwischen tut jede und jeder, was sie oder er kann. Im Falle der pharmazeutischen Branche, die ich vertrete, liegt dabei der Fokus naturgemäß auf der Versorgung mit Medikamenten und der ständigen Verbesserung dieser Therapien. Das ist unsere DNA, dafür stehen wir. Dass das unter geopolitischen Gesichtspunkten nicht unbedingt einfacher wird, ist leider auch ein Fakt. Die virulenter gewordenen Probleme in den Lieferketten geben ein beredtes Zeugnis davon.
Eines haben wir alle im Fokus: an der bestmöglichen Versorgung zu arbeiten. Man wünscht sich allseits gleichermaßen „Gute Besserung“, wenn man krank ist, oder auch „Gesund bleiben“, wenn man es (noch) nicht ist. Und da ist es egal, wer wo steht, ob im Gesundheitswesen oder in anderen Branchen. Sie betrifft uns alle, die Gesundheit. In sie zu investieren, lohnt sich, ganz egal auf welcher Ebene.
Mag. Christina Nageler, Geschäftsführerin IGEPHA
„Konsument:innen werden preissensibler“
ÖAZ Wie hat sich der Self-Care-Bereich im letzten Jahr entwickelt?
Mag. Christina Nageler Die Marktdaten von IQVIA zeigen ein stabiles Wachstum im Consumer Health Bereich, sowohl hinsichtlich des Umsatzes als auch des Absatzes von einzelnen Packungs-Einheiten. Das Wachstum betrifft fast alle OTC-Klassen, wobei die Gruppe der Husten- und Erkältungsmittel sowie der Mittel für die Atemwege sich besonders starker Nachfrage erfreute. Diese OTC-Klasse sorgt für knapp ein Viertel des Umsatzes im OTC-Markt, gefolgt von den Produkten für den Verdauungstrakt und den Schmerz- und Rheumamitteln mit jeweils cirka 12 % des OTC-Umsatzes. Zu erkennen ist, dass die Konsument:innen aufgrund der Inflation preissensibler werden. Die von Spectra Marktforschung durchgeführte Apothekenmarktstudie 2023 zeigte, dass Rabattaktionen für mehr als 50 % der Bevölkerung wichtiger geworden sind. 30 % sagten, sie werden in der nächsten Zeit rezeptfreie Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel in einer Internetapotheke bestellen, um Kosten zu sparen.
ÖAZ Welche Trends erwarten Sie im OTC-Bereich für 2024?
Nageler Self Care wird eine zunehmend wichtige Rolle spielen, und das aus verschiedenen Gründen. Einerseits ist der Gesundheitszustand vieler Menschen und insbesondere der jüngeren Generation schlechter als vor der Pandemie, darauf hat zuletzt der Austrian Health Report 2023 aufmerksam gemacht. Self Care mit der Option, bei Bedarf rezeptfreie Arzneimittel und Gesundheitsprodukte zu verwenden, ist Teil eines aktiven, gesunden Lebensstils mit dem Ziel, länger gesund zu bleiben oder schneller wieder gesund zu werden. Zugleich ist Self Care ein entscheidender Entlastungs-Faktor im Gesundheitssystem.
Menschen, die Self Care betreiben, suchen weniger oft Arztordinationen oder Spitalsambulanzen auf. Damit werden wertvolle Ressourcen für Patient:innen frei, die dringend Unterstützung durch eine Gesundheitseinrichtung benötigen.
ÖAZ Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Gesundheitskompetenz von Herrn und Frau Österreicher? Worauf sollte vonseiten der Politik mehr Wert gelegt werden, um diese zu erhöhen?
Nageler Da gibt es immer noch sehr viel Aufholbedarf. 11 % der Österreicher:innen finden es laut dem Austrian Health Report 2023 ziemlich schwierig oder sehr schwierig zu verstehen, was ihr Arzt oder ihre Ärztin ihnen sagt. 20 % tun sich schwer zu beurteilen, welche Vorsorgeuntersuchungen sie durchführen sollen. Für viele ist es auch eine Herausforderung, Informationen zu finden, die ihnen dabei helfen, ihr Leben gesund zu gestalten. 43 % haben Probleme damit zu beurteilen, ob im Internet gefundene Informationen über Krankheiten überhaupt vertrauenswürdig sind. Dabei ist das Internet mittlerweile eine der wichtigsten Informationsquellen zu Gesundheitsfragen. Da muss die Politik ansetzen: einerseits durch das Bereitstellen von seriösen, vertrauenswürdigen Gesundheitsinformationen, andererseits durch die Vermittlung von Gesundheitskompetenz ab dem Kindergartenalter. Wird Self Care schon früh spielerisch erlernt, kann das für das ganze Leben richtungsweisend sein.