Damit sei er als dritter Mensch in Deutschland und - je nach Zählweise - als sechster oder siebenter Mensch weltweit als geheilt anzusehen.
Der bisher als "Berliner Patient" bekannte Timothy Brown war der erste Mensch, der vor mehr als 15 Jahren vom HI-Virus geheilt wurde. Der nun vorgestellte "zweite Berliner Patient", ein heute 60-Jähriger, wurde nach Angaben der Charité 2009 positiv auf HIV getestet. 2015 wurde bei ihm außerdem eine akute myeloische Leukämie (AML) festgestellt, eine Form von Blutkrebs. Zusätzlich zu einer Chemotherapie war bei ihm auch eine Stammzellentransplantation nötig.
Ihm wurden Stammzellen einer gesunden Spenderin inklusive Immunsystem übertragen. "Das Spenderimmunsystem übernimmt sozusagen die Kontrolle", erläuterte Olaf Penack, Oberarzt der Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie. Das Besondere an diesem Fall sei die Behandlungsmethode, sagte Christian Gaebler, Arbeitsgruppenleiter an der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité.
Das HI-Virus befällt Immunzellen des Körpers an bestimmten Andockstellen, den sogenannten CCR5-Rezeptoren. Etwa ein Prozent der europäischstämmigen Bevölkerung hat nach Angaben der Charité eine Mutation dieser CCR5-Rezeptoren, die sogenannte Delta-32-Mutation. Diese verhindert das Eindringen des Virus - Betroffene gelten als natürlicherweise immun gegen HIV.
Beim ersten als von HIV geheilt geltenden "Berliner Patienten" war es gelungen, einen Stammzellenspender zu finden, dessen Gewebeeigenschaften zum Empfänger passten und der die immunitätsstiftende Mutation in sich trug. Durch die Stammzellenspende wurde sein Immunsystem inklusive der Mutation übertragen. Weltweit wurden bisher vier weitere Personen auf diese Weise behandelt und gelten als geheilt. Die Behandlung ist riskant, das therapiebedingte Sterblichkeitsrisiko liegt nach Angaben der Charité bei rund zehn Prozent. Ist sie erfolgreich, bekämpft sie sowohl das HI-Virus als auch den Krebs.
Beim "zweiten Berliner Patienten" gab es einen etwas anderen Ansatz. Für die Stammzellspende wurde keine geeignete HIV-immune Person gefunden. Die Spenderin hatte aber "auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle", sagte Penack, der auch schon den ersten "Berliner Patienten" behandelt hat. Dies sei der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekommt. Dies verleihe jedoch keine Immunität gegen das HI-Virus. Nach der Stammzellspende bekam der Patient auch eine sogenannte antiretrovirale Therapie gegen das Virus. Diese verhindert die weitere Produktion des Virus, hat aber keinen Einfluss auf bereits bestehende Virusreservoirs, die sich nach der Infektion gebildet haben. "Diese Virusverstecke sind die größte Hürde in der HIV-Heilungsforschung", sagte Gaebler.
Der Patient setzte die antivirale Therapie 2018 aus eigener Entscheidung ab. Er sei schon lange der Überzeugung gewesen, geheilt zu sein, berichteten die Forscher. Seitdem gebe es keinen Hinweis auf eine erneute Virusvermehrung, sagte Gaebler: "Wir waren alle sehr erstaunt und erfreut." Die Forscher untersuchen aktuell, wie der Erfolg zu erklären ist. Eine Rolle könne spielen, dass das Immunsystem des Erkrankten sehr schnell durch das Spenderimmunsystem ersetzt wurde, so Gaebler.
Weltweit leben geschätzt rund 39 Millionen Menschen mit HIV-Infektionen. Heilungen sind sehr selten. Zählt man auch einen Fall mit, bei dem die Nachbeobachtungszeit erst verhältnismäßig kurz ist, gelten weltweit derzeit sieben Menschen als von HIV geheilt.
APA