Übelkeit (Nausea) und Erbrechen (Emesis) sind zwei häufig vorkommende, gleichwohl uncharakteristische Symptome vieler Erkrankungen. Es existieren zahlreiche Auslöser und Ursachen. Von besonderer Bedeutung sind daher eine gründliche Anamnese sowie die Beurteilung des Verlaufs (plötzlich, einmalig, wiederkehrend). Für die öffentliche Apotheke stehen v. a. Schwangerschaftsübelkeit und Reisekinetosen an vorderster Stelle, aber auch Patient:innen mit Migräne, Tumorerkrankungen oder Arzneimittelnebenwirkungen suchen von Zeit zu Zeit Rat beim pharmazeutischen Fachpersonal.
Übelkeit und Erbrechen können aus pathophysiologischer Sicht drei Mechanismen zugeordnet werden:
- afferente Impulse aus dem oberen GI-Trakt gelangen zum Brechzentrum
- Erregung von Rezeptoren der Chemorezeptor-Trigger-Zone (Area postrema)
- Reizung des vestibulären Systems
Im Zuge der Entstehung werden verschiedenste Rezeptortypen aktiviert (siehe Abbildung als PDF weiter unten). Wahrgenommen werden diese Vorgänge allerdings erst dann, wenn sich Prodromi wie Blässe, Schweißausbrüche, Würgereiz, weite Pupillen oder Übelkeit bemerkbar machen. Doch nicht jedes Erbrechen ist behandlungsbedürftig. Das vorrangige Ziel des Brechreflexes ist der Schutz des Körpers vor unerwünschten Substanzen. Deshalb ist es nicht immer sinnvoll, medikamentös einzugreifen. Bei länger andauerndem Erbrechen besteht jedoch das Risiko einer schweren Wasser- und Elektrolytstoffwechselentgleisung einschließlich Austrocknung, Temperaturanstieg und Gewichtsverlust. Ein Arztbesuch ist in diesem Fall dringend anzuraten.
Schwangerschaftsübelkeit
Morgendliche Übelkeit mit/ohne Erbrechen ist ein sehr frühes Schwangerschaftszeichen. Es kann bereits ab der vierten Woche – und damit oftmals noch vor dem positiven Testergebnis – auftreten. In der Regel sistieren die belastenden Symptome am Ende des ersten Trimenons. Als Ursache vermutet man in erster Linie die Hormonumstellung durch das schwangerschaftserhaltende Hormon hCG (humanes Choriongonadotropin). Die hCG-Produktion setzt ca. 24 Stunden nach der Befruchtung der Eizelle im Eierstock ein. Anschließend nimmt die Plasmakonzentration stetig zu, bis schließlich ein Maximum zwischen der achten und zwölften Schwangerschaftswoche erreicht wird. Ab diesem Zeitpunkt sinkt die Konzentration wieder ab, da die Plazenta die Hormonproduktion aus dem Eierstock nicht mehr benötigt. Sekundär verbessert sich dann die mit der Schwangerschaft verbundene Übelkeit. Neben der hohen hCG-Konzentration werden eine Schwäche des unteren Speiseröhren-Schließmuskels sowie ein Vitamin-B6-Mangel als mögliche Ursachen diskutiert.
Etwa 1 % der Schwangeren leidet unter bedrohlichem, unstillbarem Erbrechen (Hyperemesis gravidarum). Neben einer antiemetischen Therapie kann eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich sein, um schädliche Auswirkungen auf die Mutter und das Ungeborene zu verhindern.
Reiseübelkeit
Ursächlich für Reisekrankheiten ist die Missinterpretation des Gehirns über die räumliche Lage und Bewegung des Körpers (z. B. schnell vorbeiziehende Landschaft vs. ruhiges Sitzen im Auto). Weil diese Diskrepanz vom Gehirn als Bedrohung empfunden wird, kommt es zur vermehrten Ausschüttung des Botenstoffs Histamin, das zentrale H1-Rezeptoren im Brechzentrum reizt. Meist sind Kinder, seltener empfindliche Erwachsene, von Reisekinetosen betroffen. Bei Familienurlauben mit den Kleinen sollte die Reiseapotheke also großzügig bestückt werden. Für den Akutfall empfehlen sich rasch freisetzende Darreichungsformen wie Kaugummis.
Arzneimittel als Ursache
Wenig überraschend belegen Zytostatika Platz eins der Arzneistoffe für Medikamenten-induzierte Übelkeit und Erbrechen (CINV; Chemotherapie-Induced Nausea and Vomiting). Dabei wird zwischen Substanzen mit hohem (z. B. Cisplatin, Carmustin, Procarbazin), moderatem (z. B. Doxorubicin, Mitoxantron) und niedrigem (z. B. Bleomycin, Vincaalkaloide, Cetuximab) emetogenen Potenzial differenziert. Auch eine Strahlentherapie des Bauchraumes oder Gehirns im Rahmen einer Tumortherapie ist in der Lage, das Brechzentrum zu erregen. Für beide Behandlungsformen ist der in den enterochromaffinen Zellen des Dünndarms gebildete Neurotransmitter Serotonin maßgeblich an der Weiterleitung des Signals zum Brechzentrum beteiligt.
Aber auch bei vielen anderen Medikamenten treten Übelkeit und Erbrechen als Nebenwirkung auf. Verlangen Kund:innen ein Mittel gegen leichte, unspezifische Übelkeit, ist es sinnvoll, zunächst einen Blick in die Kundenkartei oder auf den Medikationsplan zu werfen. Womöglich wurde erst kürzlich ein neues Arzneimittel verordnet, das als möglicher Auslöser infrage kommt. Aufmerksam werden sollte man z. B. bei Antibiotika, Opioiden, L-DOPA, Apomorphin, oralen Eisen- oder Vitaminpräparaten, Metformin und Herzglykosiden (hier ist Übelkeit das Zeichen einer Überdosierung). Oftmals hilft es schon, den Einnahmezeitpunkt auf abends zu verschieben, um die Nebenwirkung sozusagen „zu verschlafen“. Die Einnahme mit einer Mahlzeit, das Einschleichen und schrittweise Erhöhen der Dosis bzw. die Aufteilung auf mehrere Einzeldosen können ebenfalls helfen.
Phytopharmaka
Pflanzliche Antiemetika gelten als gut verträglich. Die brechreizlindernde Wirkung von Ingwer beruht höchstwahrscheinlich auf der Blockade zentraler Serotonin-Rezeptoren durch die enthaltenen Gingerole, Zingerone und Shogaole. Als gepulverte Droge in Fertigpräparaten kann Ingwer bei Kindern und Erwachsenen ab sechs Jahren eingesetzt werden. Alternativ sind bei vorübergehenden Beschwerden pflanzliche Prokinetika wie Pfefferminzöl oder Kombinationspräparate mit Bitterstoffdrogen angebracht. Sie regen die Magenfunktion an und fördern die Magenentleerung.
Histamin-Antagonisten
Antihistaminika wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat und Doxylamin eignen sich insbesondere zur Prophylaxe und Behandlung von Reise- und Schwangerschaftsübelkeit. In der Schwangerschaft kommt diese Option allerdings erst nach Ausschöpfung nicht-medikamentöser Maßnahmen oder sicherer Alternativen (u. a. Ingwer, Vitamin B6) infrage. Weniger bekannt ist, dass Tramadol – ein gängiges Schmerzmittel der niederpotenten Opioide und häufiger Auslöser von Übelkeit und Erbrechen – via H1-Rezeptor emetogen wirkt. Auch hier kann sich ein Therapieversuch mit einem Antihistaminikum durchaus lohnen.
Dopamin-Antagonisten
Dopamin-Antagonisten lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Prokinetika wie Metoclopramid und Domperidon sowie Antipsychotika. Der wesentliche Unterschied zwischen Metoclopramid und Domperidon ist ihre ZNS-Gängigkeit. Da Metoclopramid die Blut-Hirn-Schranke überwindet, sind wie bei anderen D2-Hemmstoffen extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) möglich. Dies hat in den vergangenen Jahren zu einer Einschränkung bestehender Zulassungen geführt. Domperidon besitzt dieses Risiko zwar nicht, verlängert jedoch das QT-Intervall im Herzen und ist ein CYP 3A4-Substrat, weshalb auf Interaktionen und angeborene Herzrhythmusstörungen zu achten ist.
Antipsychotika wie Haloperidol und Droperidol wirken dank ihrer ausgeprägten D2-Affinität ebenfalls stark antiemetisch. Sie sind indiziert zur Vorbeugung und Behandlung von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) bzw. Opioid-assoziierter Übelkeit und Erbrechen, wenn andere Antiemetika unverträglich oder unwirksam sind. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von EPS steigt mit der Dosierung und Dauer der Einnahme. Darüber hinaus sollte nicht unerwähnt bleiben, dass in der Palliativmedizin das niederpotente Antipsychotikum Levomepromazin mit großem Erfolg als Reservemittel sowohl bei terminaler Unruhe/Agitation als auch therapieresistenter Nausea/Emesis zum Einsatz kommt (Off-Label-Use).
Serotonin-Antagonisten
Selektive 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten (Setrone) wurden speziell für die Prophylaxe und Therapie von CINV und PONV entwickelt. Mittlerweile hat sich ihr Indikationsspektrum ausgedehnt und umfasst außerhalb der offiziellen Zulassung weitere Anwendungsgebiete, wenn mit herkömmlichen Medikamenten kein zufriedenstellender antiemetischer Effekt erreicht werden kann. Die für die Onkologie erstellten Protokolle der Fachgesellschaften sehen für gewöhnlich eine Kombination mit weiteren Arzneistoffen wie Dexamethason und Metoclopramid vor. Auf diese Weise kann die Behandlung gut an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen angepasst werden.
Neurokinin-1-Antagonisten
Wirkstoffe dieser Klasse hemmen die Aktivierung von NK1-Rezeptoren durch Substanz P und sind fester Bestandteil der CINV-Therapie bei emetogenen Chemotherapie-Schemata. Während Aprepitant üblicherweise über drei Tage hinweg verabreicht wird, reicht für Fosa- und Netupitant die einmalige Gabe ein bis zwei Stunden vor Therapiebeginn. Da NK1-Antagonisten – v. a. die Leitsubstanz Aprepitant – CYP 3A4 inhibieren, muss die Dosis von CYP-3A4-Substraten wie Dexamethason und gleichzeitig applizierter Zytostatika für die Dauer der Behandlung verringert werden.
Glucocorticoide, M1-Antagonisten, Cannabinoide, Benzodiazepine
Obwohl der Mechanismus, über den Glucocorticoide ihre brechreizlindernde Wirkung entfalten, bislang nicht geklärt ist, besitzen sie von allen Antiemetika die meisten Indikationen. Bevorzugter Wirkstoff ist Dexamethason. Der M1-Rezeptor-Antagonist Scopolamin behauptet sich in Form eines transdermalen Pflasters seit Jahrzehnten in der Behandlung von Reiseübelkeit, speziell bei Seereisen. Das über Deutschland erhältliche Pflaster wird fünf bis sechs Stunden vor Reiseantritt hinter dem Ohr aufgeklebt und für insgesamt 72 Stunden dort belassen.
Benzodiazepine wie Lorazepam spielen vornehmlich beim konditionierten (antizipierten) Erbrechen eine Rolle – also Erbrechen, das von Angst, Anspannung, Gerüchen, Geräuschen oder unangenehmen Erfahrungen ausgelöst wird. Etwas neuer ist der Gebrauch von Cannabinoiden. Synthetische Vertreter wie Nabilon und halbsynthetische wie Dronabinol konnten sich einen Platz als Reservemedikamente bei nicht anders beherrschbaren CINV erobern, wenn mit vorausgehenden Antiemetika kein ausreichendes Therapieansprechen erzielt werden konnte.
Quellen:
- Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP): Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, 2018
- Friese K et al.: Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 8. Auflage, 2016
- Gan TJ et al.: Fourth Consensus Guidelines for the Management of Postoperative Nausea and Vomiting. Anesth Analg 2020; 131(2):411-448
- Stromer W et al.: Schmerztherapie für die Praxis – ein Wegweiser, Gebro Pharma GmbH, Wien, 1. Auflage, 2018
- Tageja N et al.: Chemotherapy-induced nausea and vomiting: an overview and comparison of three consensus guidelines. Postgrad Med J 2016; 92(1083):34-40
- Weibel S et al.: Drugs for preventing postoperative nausea and vomiting in adults after general anaesthesia: a network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev 2020; 10(10):CD012859