In diesem Jahr wurden bereits 25 Frauen von Männern ermordet, mit denen vermutlich ein Beziehungs- oder Familienverhältnis bestand. Mord und Mordversuche bilden die Spitze der Gewaltanwendung von Männern an Frauen. Jede dritte Frau hat im Alter über 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Mann erlebt. Von Gewalt in intimen Beziehungen sind 16,4 % der Frauen betroffen, das besagt eine Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2021.
Auch in unserer Gesellschaft sind ein Machtungleichgewicht der Geschlechter und patriarchales Denken nach wie vor weit verbreitet. Dieses Ungleichgewicht und der Glaube an die männliche Vormachtstellung führen dazu, dass Männer gegenüber Frauen Gewalt anwenden, um ihre Interessen durchzusetzen.
Formen von Gewalt
Die Formen von Gewalt sind vielfältig. Unter körperliche Gewalt fallen Misshandlungen und körperliche Übergriffe wie Schlagen, Stoßen, an den Haaren ziehen und treten. Sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person werden als sexualisierte Gewalt bezeichnet. Hier wird Sexualität als Mittel zur Demütigung, Verletzung und Machtausübung eingesetzt. Zur psychischen Gewalt zählt zum Beispiel Einschüchtern, wiederholtes Beschimpfen, Anschreien, Kontakte unterbinden, Kontrollieren und ökonomische Gewalt, ebenso wie Stalking.
Wie man Frauen in der Apotheke helfen kann
Sensibilisiert für das Thema
Machtunterschiede zwischen Männern und Frauen sind in unserer Bevölkerung noch stark verankert. Sie sind der gesellschaftliche Hintergrund für Gewalt von Männern an Frauen und müssen durchbrochen werden. Die gesundheitlichen Folgen von interpersonaler Gewalt sind auch ein zentrales Public-Health-Problem, betonte der Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH Herwig Ostermann im Rahmen einer Veranstaltung im September zum Thema „Die Schlüsselrolle des Gesundheitswesens bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt“.
Textbausteine – Gewalt an Frauen thematisieren | |
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offene Fragen stellen | „Worüber möchten Sie sprechen?“ |
Hilfe anbieten/ Empathie zeigen | „Ich weiß, dass es schwierig ist, darüber zu sprechen, aber Sie können mit mir über alles sprechen.“ „Sie haben ein Recht darauf, in Sicherheit zu sein und respektiert zu werden.“ |
die Stärke würdigen und ermächtigen | „Sie haben große Stärke in sehr widrigen Umständen gezeigt.“ „Es ist sehr mutig von Ihnen, mit mir heute über die Gewalt gesprochen zu haben.“ „Ich werde nichts ohne Ihr Einverständnis unternehmen.“ |
wertende „Warum“-Fragen vermeiden | „Warum sind Sie nicht früher gekommen?“ „Warum haben Sie Ihren Partner nicht schon längst verlassen?“ |
Ressourcen anbieten | „Hier ist die Nummer der Frauenhelpline/des Frauenhauses. Dort können Sie Zuflucht und Beratung erhalten.“ |
Die ÖAZ hat mit Mag. Julia Broz, Assistentin der Geschäftsführung des Vereins Wiener Frauenhäuser, darüber gesprochen, was man in der Apotheke tun kann, wenn der Verdacht besteht, dass eine Frau von Gewalt betroffen ist.
ÖAZ Frau Broz, soll oder kann man seinen Verdacht auf Gewalteinwirkung der Kundin gegenüber in der Apotheke äußern?
Mag. Julia Broz Ich würde es davon abhängig machen, in welcher Situation die Frau kommt. Es ist wichtig, dass man die Möglichkeit hat, mit der Frau kurz allein zu sprechen. Man könnte sie zum Beispiel fragen, ob sie Unterstützung oder Hilfe braucht, oder ob alles in Ordnung ist. Und dann finde ich auch wichtig zu wissen, an wen man verweisen kann.
Man sollte der Frau auf jeden Fall wertfrei begegnen. Gesellschaftlich schwingt den Frauen gegenüber manchmal der Vorwurf mit, dass sie selbst schuld sind, wenn sie aus einer Gewaltbeziehung nicht gehen, oder es gibt Unverständnis, wenn sie wieder zum Partner zurückgehen. Wir müssen bedenken, dass es in einer Gewaltbeziehung sehr viele Dynamiken gibt, die es den Frauen massiv erschweren, sich zu lösen. Und deshalb ist es sehr wichtig, dass man die Frau mit Informationen ausstattet und die Frau entscheidet dann, ob sie aus der Beziehung gehen möchte und wann ein guter Zeitpunkt ist. Man darf nicht vergessen, dass gerade die Trennung die gefährlichste Zeit für Frauen in einer Gewaltbeziehung ist.
ÖAZ Welche Informationen sind für Frauen, die Gewalt ausgesetzt waren, wichtig?
Broz Grundsätzlich ist es wichtig zu wissen, dass es für solche Situationen Hilfe und Unterstützung gibt. Keine Frau muss damit allein bleiben. Es gibt Wege aus der Gewalt. Wenn eine Frau in unmittelbarer Gefahr ist, dann ist die Telefonnummer der Wahl der Polizeinotruf 133. Die Polizei kommt sofort und schreitet unmittelbar ein und kann dann z. B. einen gewalttätigen Partner aus der Wohnung wegweisen und ihn mit dem Betretungsverbot belegen. Dann gibt es die Möglichkeit, sich beraten zu lassen und sich über die rechtlichen und sonstigen Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Und für jene Frauen, die schnell aus einer häuslichen Gewaltsituation wegwollen, gibt es die Frauenhäuser. In Wien können Frauen z. B. Tag und Nacht den Notruf der Wiener Frauenhäuser anrufen. Wir können die Frauen sofort in einem der fünf Wiener Frauenhäuser aufnehmen, auch mit Kindern.
ÖAZ Gibt es so ein Angebot auch in den Bundesländern?
Broz Es gibt über 30 Frauenhäuser in Österreich und in jedem Bundesland auch Beratungsstellen zu häuslicher Gewalt, allerdings nicht in jedem Bundesland eine zentrale Notrufnummer.
ÖAZ Wenn eine Frau in die Apotheke kommt und sie sagt, sie wurde vergewaltigt. Wie kann man hier helfen?
Broz Das hängt davon ab, was die Frau möchte. Wenn sie von sexualisierter Gewalt in der Partnerschaft betroffen ist und beispielsweise aus der Beziehung weg möchte, dann kann sie in ein Frauenhaus kommen. Wenn es um sexualisierte Gewalt in einem anderen Kontext geht, aber auch in der Beziehung, gibt es die Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt, die ganz spezifisch beraten und begleiten.
Wenn der Eindruck entsteht, dass es wichtig ist, dass jemand sich untersuchen lässt, dann ist es möglich, sich im Spital untersuchen und behandeln zu lassen und Verletzungen zu dokumentieren. Opferschutzgruppen in den größeren Spitalern unterstützen dabei. Es gibt sie in allen Bundesländern und sie sind auch mit den Opferschutzeinrichtungen vernetzt. Seitens der Bundesregierung sind zudem spezielle Gewaltambulanzen geplant, wo sich Opfer untersuchen lassen können und wo Beweismittel entsprechend gesichert werden können. Es werden viele Strafverfahren eingestellt, auch deshalb, weil es wenig Beweissicherung gibt.
ÖAZ Welche Hilfe bekommen Frauen bei Ihnen im Frauenhaus?
Broz Grundsätzlich können Frauen bei uns in den Frauenhäusern des Vereins Wiener Frauenhäuser Tag und Nacht, mit und ohne Kinder aufgenommen werden. Wir bieten den Frauen für eine vorübergehende Zeit einen geschützten Wohnplatz, damit sie und ihre Kinder möglichst sicher sind vor den gewalttätigen Partnern. In dieser Zeit bieten wir Stabilisierung an, da geht es einmal darum, zur Ruhe zu kommen und durchzuatmen, und dann unterstützen wir bei den nächsten Schritten und begleiten sie bei der Entwicklung einer neuen Perspektive, mit allem, was dazugehört, wenn man das Leben auf ganz neue Beine stellen muss. Zudem bieten wir im Frauenhaus rechtliche und psychosoziale Beratung in allen Lebenslagen an.
ÖAZ Danke für das Gespräch!
Um im Falle einer Vergewaltigung eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern, kann die Frau zu den Möglichkeiten der „Pille danach“ informiert werden.
- Bei unmittelbarer Gefahr: Polizei-Notruf 133
- „Stiller Notruf“ an die Polizei über die Smartphone App DEC112
- SMS Polizei (auch als Notruf für Gehörlose): 0800 133 133
- Frauenhelpline 24/7 gegen Gewalt: 0800 222 555 | www.frauenhelpline.at
- AÖF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser: www.aoef.at
- Frauenberatung bei sexueller Gewalt: www.sexuellegewalt.at
- Opferschutzgruppen: www.toolbox-opferschutz.at/OSG
- Für Männer, die zu Gewalt neigen oder selbst von Gewalt betroffen sind: Krisenhelpline 24/7 Männerinfo 0800 400 777 | www.maennerinfo.at
Quellen
• www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/kriminalitaet-und-sicherheit/gewalt-gegen-frauen
• www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten/weitere-statistiken
• www.wien.gv.at/menschen/frauen/stichwort/gewalt/formen.html
• Mikhael et al.: Intimate partner violence: Defining the pharmacist's role Can Pharm J (Ott). 2023 Feb 17;156(2):63-70. doi: 10.1177/17151635231152450