Komplementärmedizin

Chancen + Grenzen

MAG. PHARM.  René  GERSTBAUER
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Bei der Moxibustion werden Akupunkturpunkte mittels verglimmendem Beifußkraut behandelt. Das soll Energie-Blockaden lösen, die in der TCM als eine der Ursachen von Schmerzen gesehen werden. © iStock
Bei der Moxibustion werden Akupunkturpunkte mittels verglimmendem Beifußkraut behandelt. Das soll Energie-Blockaden lösen, die in der TCM als eine der Ursachen von Schmerzen gesehen werden. © iStock

Komplementärmedizinische Verfahren werden häufig als Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin eingesetzt. Für viele dieser Methoden fehlt jedoch nach wie vor ein ausreichender wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis. Ihre Anwendung beruht oft auf individuellen Erfahrungen und subjektiven Bewertungen der Patient:innen und Behandelnden. Ein wichtiger Aspekt ist der Placeboeffekt, der sowohl in der komplementären als auch in der konventionellen Medizin eine wesentliche Rolle spielt. Dieser kann dazu beitragen, das subjektive Wohlbefinden zu verbessern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Um gesundheitliche Risiken zu vermeiden, ist es jedoch entscheidend, dass Patient:innen durch alternative Methoden nicht von nachweislich wirksamen Behandlungen abgehalten werden.

Komplementärmedizin sollte daher stets als ergänzende und nicht als ersetzende Option betrachtet werden. So betont beispielsweise die Leitlinie zur Komplementärmedizin bei onkologischen Patient:innen die Notwendigkeit einer sicheren Integration dieser Methoden, um eine evidenzbasierte Anwendung sicherzustellen. Expert:innen unterstreichen außerdem, dass die Kommunikation zwischen Patient:innen und Fachpersonal verbessert werden muss, um die sichere Anwendung komplementärer Therapien zu gewährleisten.

Endometriose
Akupunktur, Yoga & TCM

Bei Endometriose gibt es Hinweise, dass komplementäre Ansätze wie Akupunktur, Yoga und chinesische Heilkräuter die Lebensqualität verbessern können. Die Evidenz bleibt jedoch schwach und methodisch uneinheitlich, was eine klare Empfehlung erschwert. Die aktuelle Forschung weist darauf hin, dass diese Methoden hauptsächlich unterstützend eingesetzt werden und den Schmerz sowie das allgemeine Wohlbefinden positiv beeinflussen können. Die Rolle von Bewegung und Ernährung wird bei Endometriose ebenfalls zunehmend als ergänzender Therapieansatz betrachtet. Spezielle Diäten – die entzündungshemmend wirken sollen – werden in der Forschung diskutiert, wobei die Evidenzlage noch nicht ausreichend stark ist, um klare Empfehlungen auszusprechen. Diese Unsicherheiten spiegeln die generelle Herausforderung wider, die Studienlage 
zur Komplementärmedizin zu verbessern, um betroffenen Frauen fundierte Behandlungsoptionen bieten zu können.

Onkologie
Homöopathie und 
Mikronährstoff-therapien 

Die Anwendung homöopathischer Mittel 
bei onkologischen Patient:innen wird kontrovers diskutiert. Einige Studien berichten über positive Effekte, beispielsweise bei der Verwendung von Arnika zur Unterstützung der postoperativen Genesung, jedoch bleibt die Evidenzlage oft schwach und methodologisch problematisch. Viele der vorhandenen Studien weisen Designmängel auf, die eine klare Bewertung der Wirksamkeit erschweren.

Die Mikronährstofftherapie spielt eine wichtige Rolle in der unterstützenden Behandlung von Tumorpatient:innen, insbesondere bei nachgewiesenen Mängeln. Die Substitution von Mikronährstoffen wie Selen, Eisen und Vitamin D wird empfohlen, um Defizite zu korrigieren und das allgemeine Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern. Die Evidenz deutet darauf hin, dass diese Maßnahmen vor allem dann sinnvoll sind, wenn sie gezielt und auf Grundlage von Labortests angewendet werden. Allgemeine Empfehlungen zur breiten Supplementierung ohne nachgewiesenen Mangel sind hingegen nicht gestützt, da das Risiko für unerwünschte Wirkungen besteht. Die Wirksamkeit von Zink, Vitamin B und E bleibt umstritten, da keine signifikanten Vorteile festgestellt wurden.

Krebspatient:innen mit einem nachgewiesenen Selen-, Eisen- und Vitamin-D-Mangel wird die Einnahme dieser Mikronährstoffe empfohlen. © Shutterstock
Krebspatient:innen mit einem nachgewiesenen Selen-, Eisen- und Vitamin-D-Mangel wird die Einnahme dieser Mikronährstoffe empfohlen. © Shutterstock
Onkologie
Misteltherapie & Co 

Bei Brustkrebspatientinnen ist das Interesse an komplementären Ansätzen besonders hoch. Die Evidenz für viele dieser Verfahren – wie etwa die Misteltherapie – ist jedoch limitiert und variiert je nach Quelle. In der S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patient:innen“, die im Mai 2024 aktualisiert wurde, erhält die Misteltherapie einen Empfehlungsgrad 0 (Kann-Empfehlung). Eine weitere Heilpflanze aus der südamerikanischen Medizin, die Katzenkralle, wird traditionell bei verschiedenen Erkrankungen eingesetzt. Die erneute Recherche für die aktualisierte Leitlinie fand jedoch keine in ihrer Qualität ausreichenden Studien zur Wirksamkeit der Katzenkralle. Daher bleibt die Empfehlung bestehen, dass es weder eine klare Empfehlung für noch gegen die Anwendung dieser Pflanze gibt. Dies verdeutlicht die begrenzte Evidenz für bestimmte pflanzliche Therapien, die oft trotz fehlender Studienlage genutzt werden. Auch die Verwendung von Cannabinoiden wurde in der aktualisierten S3-Leitlinie genauer betrachtet, wobei die Ergebnisse zeigten, dass nur wenige Indikationen durch robuste Studien gestützt sind.

Misteltherapie & Co  © Shutterstock
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Tumorerkrankungen & Chemotherapie - bedingte Nebenwirkungen
Phytotherapie undMikro­nährstoffe

Die Phytotherapie, insbesondere die Anwendung von Boswellia serrata, kann bei Krebspatient:innen mit zerebralen Hirnödemen bei Hirntumoren ergänzend zur Strahlentherapie empfohlen werden. Die Evidenzlage unterstützt den Einsatz von Phytotherapeutika, jedoch bleibt die Datenqualität oft begrenzt. Für andere pflanzliche Heilmittel wie Artemisia annua zur Supportivtherapie fehlen robuste Studien, welche eine klare Empfehlung erlauben würden. Die Wirksamkeit von Ingwer und Selen wurde zur Unterstützung bei Chemotherapie-bedingten Nebenwirkungen untersucht. Die Leitlinien aktualisierten die Empfehlungen, wobei Selen weiterhin als unterstützende Maßnahme bei nachgewiesenem Mangel betrachtet wird, jedoch keine neuen positiven Ergebnisse für die allgemeine Anwendung gefunden wurden. Die Studienlage zu Ingwer zeigt moderate Erfolge bei der Linderung von Übelkeit, jedoch bleibt die Evidenz uneinheitlich, was eine standardisierte Anwendung erschwert.

Mikro­nährstoffe © iStock
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Chronische Schmerzen & 
Fibromyalgie
Akupunktur & Co.

Akupunktur zählt zu den am besten untersuchten komplementärmedizinischen Verfahren. Studien zur Akupunktur bei Migräne, aber auch Fibromyalgie zeigen moderate Erfolge, insbesondere wenn Akupunktur als Teil eines multimodalen Ansatzes eingesetzt wird. Die S3-Leitlinie für Fibromyalgie betont weiters die Wichtigkeit von Bewegungstherapien wie Yoga und Qigong, welche ebenfalls eine solide Evidenzbasis aufweisen. Akupunktur wird in diesen Leitlinien als akzeptiertes Verfahren betrachtet, das im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts eingesetzt werden kann.

Akupunktur wird auch oft bei anderen chronischen Schmerzsyndromen eingesetzt, wobei die Evidenzlage hier sehr gemischt ist. Eine Übersicht aktueller Studien zeigt, dass Akupunktur bei der Behandlung von Rückenschmerzen und Kniearthrose hilfreich sein kann, jedoch oft auch stark vom Placeboeffekt geprägt ist. Die Differenzierung zwischen spezifischen Effekten der „Nadelung“ und Placeboeffekten bleibt eine Herausforderung für die Forschung, die kontinuierlich weiterentwickelt werden muss, um klare Aussagen treffen zu können.

Bei chronischen Schmerzsyndromen abseits von Fibromyalgie ist die Evidenzlage für Akupunktur sehr gemischt. © Shutterstock
Bei chronischen Schmerzsyndromen abseits von Fibromyalgie ist die Evidenzlage für Akupunktur sehr gemischt. © Shutterstock


Evidenzlage in der Komplementärmedizin

Die Evidenz für komplementärmedizinische Methoden variiert stark je nach Verfahren und Einsatzgebiet. Die Ergebnisse aus mehreren Studien zeigen, dass es für einige Methoden moderate bis gute Belege gibt, während andere Verfahren nur begrenzte oder widersprüchliche Daten aufweisen. Insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern wie Fibromyalgie, Endometriose und Krebserkrankungen – wo oftmals die evidenzbasierte Medizin subjektiv für die Patient:innen kein befriedigendes Ergebnis erzielt – suchen Patient:innen (und Ärzt:innen) häufig nach ergänzenden Behandlungsformen, welche über die konventionellen Angebote hinausgehen. Im Folgenden sollen nun einige dieser „Spezialfälle“ – die auch in den Apotheken öfters thematisiert werden – auf Evidenz geprüft werden.

Fibromyalgie
Multimodaler Therapie­ansatz

Die Behandlung des Fibromyalgiesyndroms erfordert einen multimodalen Ansatz, bei dem komplementärmedizinische Verfahren wie Wärmeanwendungen, Phytotherapie und Akupunktur wesentliche Bestandteile darstellen. Die Evidenz zeigt hier positive Effekte auf die Schmerzlinderung und die Lebensqualität der Betroffenen. In den Leitlinien wird betont, dass solche integrativen Ansätze besonders wirksam sind, wenn sie mit konventionellen Therapieformen kombiniert werden. Die Anwendung von Wärmetherapien wie Infrarot- oder Fangopackungen zeigt durchweg positive Wirkungen in klinischen Studien. Die Leitlinien zu Fibromyalgie heben auch die Bedeutung psychologischer Unterstützungsmaßnahmen hervor, welche oft in komplementären Behandlungskonzepten verankert sind. Neben körperlichen Interventionen spielen auch Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung und Meditation eine Rolle, die durch ihre Wirkung auf das Nervensystem zur Linderung beitragen können. Solche Ansätze sollten aber immer im Kontext einer umfassenden Behandlung betrachtet und individuell an die Bedürfnisse der Patient:innen angepasst werden.

Wärmetherapie wie Infrarot- oder Fangopackungen zeigten positive Wirkungen bei Fibromyalgie. © iStock
Wärmetherapie wie Infrarot- oder Fangopackungen zeigten positive Wirkungen bei Fibromyalgie. © iStock

 Offene Fragen

Die wissenschaftliche Bewertung komplementärmedizinischer Verfahren zeigt ein heterogenes Bild. Während einige Ansätze – wie die Akupunktur und bestimmte Phytotherapeutika – durch Studien moderat gestützte Wirksamkeit zeigen, ist die Evidenzbasis für viele andere Methoden oft schwach oder inkonsistent. Es besteht ein dringender Bedarf an weiteren qualitativ hochwertigen Studien, um die Anwendung dieser Verfahren sicher und effektiv zu gestalten. Die Integration in die medizinische Praxis sollte stets auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage basieren und in enger Abstimmung mit Ärzt:innen sowie Apotheker:innen erfolgen. Nur so kann gewährleistet werden, dass komplementäre Therapien den größten Nutzen bieten, ohne die Patientensicherheit zu gefährden.

Fazit

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Komplementärmedizin ein breites Spektrum an Therapieansätzen bietet, die für viele Patient:innen eine wertvolle Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin darstellen können. Essenziell bleibt jedoch, diese Methoden kritisch zu bewerten und ihre Anwendung evidenzbasiert zu gestalten. Der Dialog zwischen evidenzbasierter Medizin und Komplementärmedizin sollte verstärkt gefördert werden, um eine integrative Medizin zu ermöglichen, die das Beste aus beiden Welten vereint und die Patient:innen umfassend unterstützt.


Quellen

  • Dörfler J, et al.: Neuerungen in der aktualisierten S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“. Forum (2024)  
  • Adamietz A, et al.: Ernährung, Sport und Komplementärmedizin. Gynäkologie 2024; 57: 162–166.
  • Irnich D, et al.: Wissenschaftliche Mängel im CME-Artikel zur Komplementärmedizin in der Schmerztherapie. Schmerz 2023; 37: 372–377. 
  • Langhorst A, et al.: Integrative Medizin, Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der Therapie des Fibromyalgiesyndroms. Schmerz 2023; 37: 319–323.
  • Büntzel J, et al.: Essentielle Spurenelemente, Vitamine und ausgewählte Elektrolyte in der Komplementärmedizin für Tumorpatienten. Urologie 2023; 62: 12–16.

Weitere Literatur auf Anfrage

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