Davon, dass wir tagtäglich mit unerwünschten Eindringlingen wie Viren, Bakterien, Parasiten und Pilzen in Berührung kommen, merken wir meist nichts. Im Idealfall kümmert sich unser Immunsystem selbstständig darum. Doch besonders in der kälteren Jahreszeit, wenn viele Krankheitserreger Hochsaison haben, brauchen unsere Abwehrkräfte unsere tatkräftige Unterstützung.
Einfluss von Sport
Die Wirkung von körperlicher Aktivität auf unser Immunsystem kann je nach Regelmäßigkeit, Intensität, Dauer und Art der Belastung sehr unterschiedlich ausfallen.
Moderates Ausdauertraining gilt allgemein als immunstimulierend. Beim Sport werden Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) freigesetzt, und die Zahl der Immunzellen im Blut (u. a. B-Zellen, T-Zellen, natürliche Killerzellen, Makrophagen) steigt. Ebenso erhöht sich die Konzentration von Immunglobulin A (IgA) im Speichel, das für die Schleimhautimmunität essenziell ist. Bei moderatem Training erreichen die Stresshormone keine besonders hohen Level, und wenn nach dem Sport der Adrenalinspiegel und somit die Anzahl der Immunzellen wieder abnimmt, werden die Ausgangswerte schnell wieder erreicht. So ist es möglich, die Abwehrzellen zu „trainieren“. Es ist wissenschaftlich belegt, dass auch die natürliche Abnahme der Immunstärke im Alter durch regelmäßige körperliche Aktivität gebremst werden kann.
Im Gegensatz dazu zeigen Studien eine signifikant höhere Inzidenz an Atemwegsinfekten bei Marathonläufern und -läuferinnen. Unter denjenigen Sportlern und Sportlerinnen, die zusätzliche Faktoren wie etwa Schlafmangel, unzureichende Regenerationsphasen und psychischen Stress aufwiesen, wurde die höchste Infektionsquote festgestellt. Nach Angaben der International Society for Exercise and Immunology gilt dieser Effekt v. a. für intensive Trainingseinheiten ab ca. 90 Minuten. Beobachtet wurde eine starke Zunahme von proinflammatorischen Zytokinen und Stresshormonen. Wenn diese nach dem Training wieder abnehmen, kann es zu einem sehr raschen Abfall von Leukozyten und IgA kommen – oft weit unter das Ausgangsniveau. In dieser Zeit haben Erreger es besonders leicht, in den Körper einzudringen. Dieser Zustand, in dem sozusagen die „Fenster“ für Viren und Bakterien geöffnet sind („Open-Window-Effekt“), kann mehrere Stunden bzw. in Extremfällen bis zu drei Tage andauern. Ein Nicht-Einhalten der Regenerationszeit kann eine chronische Unterdrückung des Immunsystems bewirken. Im Falle von Infekten ist eine ausreichende Schonzeit umso wichtiger, da sonst u. a. ein erhöhtes Risiko für eine Herzmuskelentzündung besteht.
Einfluss der Ernährung
Die komplexen Aufgaben des Immunsystems erfordern eine ausreichende Versorgung mit Mikro- und Makronährstoffen, um z. B. die Immunkaskade auszulösen. Ständige geringfügige systemische Entzündungszustände („silent inflammation“), wie sie z. B. häufig bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes auftreten, stellen eine permanente Belastung für das Immunsystem dar. Eine immunstimulierende Wirkung im Darm, wo sich etwa 80 % unserer Immunzellen befinden, wurde für prä- und probiotische Lebensmittel gezeigt. Präbiotika (v. a. Ballaststoffe) werden durch Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren verstoffwechselt, die Entzündungsreaktionen hemmen und die Barrierefunktion der Darmschleimhaut stärken. Ähnliche Effekte werden auch durch probiotische Nahrungsmittel wie z. B. Sauerkraut, Kefir und Sauerteigbrot erzielt, die unsere Darmflora positiv beeinflussen und dadurch ebenfalls zur Abwehr und Eliminierung potenzieller Krankheitserreger beitragen.
Einfluss von Stress
Im 21. Jahrhundert werden lang andauernde Stresszustände vorwiegend durch psychische Faktoren ausgelöst. Dass es gerade in solchen Zeiten häufig zu plötzlichen Infekten (Erkältungen, Fieberblasen etc.) kommt, zeigt den direkten Zusammenhang zwischen Stress und unserem Immunsystem. Evolutionär betrachtet ist Stress lebenswichtig – Stresshormone werden freigesetzt und befähigen den Körper im „Angriff oder Flucht“-Modus zu Höchstleistungen. Ähnlich wie beim Sport kann auch Stress sich sowohl positiv als auch negativ auf unser Immunsystem auswirken.
Bei einer Stressreaktion wird der Sympathikus aktiviert und die Nebenniere schüttet vermehrt (Nor-)Adrenalin aus. Gleichzeitig wird über das Hypothalamus-Hypophysen-System auch die Cortisolfreisetzung stimuliert. Daraus resultieren eine Erhöhung der Atemfrequenz, ein Anstieg von Puls, Blutdruck und Blutzuckerspiegel und eine Steigerung der Muskeldurchblutung. Um Energie einzusparen, wird die Durchblutung in anderen Körperarealen (z. B. im Verdauungssystem) heruntergefahren. Anfänglich regt Cortisol die angeborene Immunabwehr an, und die Zahl bestimmter Immunzellen (z. B. Phagozyten, natürliche Killerzellen) wird erhöht. Dieser Effekt kehrt sich jedoch bereits nach kurzer Zeit um, und die Zahl der Immunzellen fällt wieder ab. Ebenso wird die Zahl an B- und T-Zellen reduziert und somit auch die erworbene Immunantwort gehemmt.
In der Psychologie unterscheidet man zwei Arten von Stress, wobei oft nur ein schmaler Grat dazwischenliegt. Wenn man auf positive Weise von einer Herausforderung angespornt wird, spricht man von Eustress. Dieser fühlt sich gut an, motiviert uns und gibt uns Energie. Auf der anderen Seite steht der Distress, welcher negative Gefühle von Überforderung in uns auslöst und unsere Leistungsfähigkeit einschränkt. Der wesentliche Unterschied ist, dass Eustress keine dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel bewirkt und sich Stress mit Entspannung abwechselt. Dadurch kann unser Immunsystem gestärkt werden. Im Falle von Distress hingegen kommt es durch die anhaltend hohen Cortisolspiegel zu einer dauerhaften Reduktion der Abwehrzellen.
Phytotherapeutika
Zur natürlichen Stärkung der Abwehrkräfte hält auch die Pflanzenwelt einige „Wundermittel“ bereit. Während für traditionell eingesetzte Heilpflanzen oft keine eindeutigen Studiendaten vorliegen, gibt es auch einige Phytotherapeutika, deren immunstimulierende Wirkung bereits wissenschaftlich belegt wurde.
• Echinacea
Dem in Nordamerika beheimateten Sonnenhut werden immunmodulierende Eigenschaften zugeschrieben. Unter den drei Arten wird v. a. der Purpur-Sonnenhut aufgrund seiner antimikrobiellen und entzündungshemmenden Wirkung traditionell zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Die positive Wirkung auf die Dauer und Schwere von Erkältungen wurde wissenschaftlich belegt. Einige Studien deuten auch auf einen präventiven Effekt hin. In der Regel wird die ganze Pflanze zur Herstellung der Extrakte verwendet, die in Form von Tropfen, Säften, Globuli, Tabletten oder als Tee eingenommen werden können.
• Tragant
Auch zur Wirkung von Tragant (Astralagus) aus der Familie der Hülsenfrüchtler gibt es bereits einige Studien. Als wichtiges Stärkungsmittel in der TCM kommt die Tragantwurzel bei Immunschwäche und chronischer Müdigkeit zum Einsatz und gilt auch als wirksam bei Erkältungen und wiederkehrenden Infekten. Die Wurzel wirkt immunmodulierend ‒ d. h., dass sowohl ein schwaches Immunsystem angekurbelt als auch eine überschießende Immunreaktion gedämpft wird. Ein symptommildernder Effekt bei Heuschnupfen konnte bereits in einer kleinen Studie belegt werden, was die Heilpflanze auch für Allergiker:innen interessant macht.
• Kapuzinerkresse
Die Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) hielt bereits im 17. Jahrhundert Einzug in die Gärten Europas. Traditionell wird das Kraut bei diversen Infektionskrankheiten eingesetzt. Aufgrund der enthaltenen Senfölglykoside wird der Pflanze eine antibakterielle, antivirale und antimykotische Wirksamkeit zugeschrieben. Studien der letzten Jahre bestätigen die antibiotische Wirksamkeit (in Kombination mit Meerrettich) bei Blasenentzündung und Atemwegsinfekten. Aufgrund der immunstimulierenden Wirkung kann auch eine präventive Einnahme empfohlen werden, die bei wiederkehrenden Infekten der Atem- und Harnwege zur Reduktion des Antibiotikabedarfs beitragen kann.
• Sternanis
Im asiatischen Raum wird der Sternanis (Illicium verum) bereits seit über 5.000 Jahren gegen diverse Infektionskrankheiten eingesetzt. Traditionell findet die Arzneipflanze außerdem Anwendung bei Magen-Darm-Beschwerden und produktivem Husten. Die in den Sternanisfrüchten enthaltene Shikimisäure ist der Ausgangsstoff bei der Synthese von Oseltamivir, das in der Influenza-Therapie erfolgreich eingesetzt wird. Sowohl die antivirale als auch eine antibakterielle Wirkung des Sternanis konnte in Studien bestätigt werden, was die Einnahme bei grippalen Infekten, Erkältungen und Atemwegsinfekten rechtfertigt. Sternanis ist vorwiegend als Pulver oder Extrakt in Kapseln im Handel, wobei durch das Extrahieren die Wirkstoffkonzentration um ein Vielfaches erhöht wird.
• Zistrose
Nachdem kleinere Studien die antivirale Wirkung von Extrakten der Zistrose (Cistus) u. a. gegen Coronaviren bestätigen konnten, erlangte die rosa blühende Arzneipflanze in den letzten Jahren der Pandemie große Beliebtheit. Ihre immunstärkende Wirkung ist im Mittelmeerraum bereits seit der Antike bekannt. Auch antibakterielle und antimykotische Effekte des Extraktes wurden gezeigt. Zudem hat die Pflanze eine ausgeprägte antioxidative Wirkung, was auf den sehr hohen Polyphenolgehalt zurückzuführen ist. Zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionskrankheiten (v. a. Atemwegsinfekte, Erkältungen) wird das Zistrosenkraut in Form von Tees, Kapseln, Säften und Lutschtabletten eingenommen.
Quellen
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Text: Mag. pharm. Magdalena Muralter