38. Südtiroler Herbstgespräche

Phytoherbst im Mostviertel

Mag. pharm. Dr. Angelika Chlud
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Schlosseisenstrasse © kuehl
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Alles neu im Phytoherbst 2024 – diese mutige Entscheidung traf die wissenschaftliche Leiterin des Kongresses ao. Univ.-Prof. Dr. Sabine Glasl-Tazreiter, Abteilung für Pharmakognosie, Universität Wien, und wählte mit dem pittoresken, an dem Wochenende von 13. bis 15. September aber leider völlig verregneten Waidhofen an der Ybbs einen neuen Veranstaltungsort. Auch zeitlich wurde die Tagung von Oktober auf Mitte September vorverlegt, eigentlich, um die Exkursionen bei sonnigem und warmem Herbstwetter durchführen zu können. Daraus wurde heuer wegen des Starkregens nichts – doch mit den in drei Gruppen aufgeteilten Indoor-Exkursionen war eine probate und gelungene Alternative gefunden worden. 

Der mit 160 Teilnehmer:innen ausgebuchte Kongress bot einen bunten Strauß an Vortragsthemen und trotz des um einen Tag verkürzten Formats ergab sich ausreichend Gelegenheit, mit den Vortragenden im kleineren und größeren Rahmen ins Gespräch zu kommen und offene Fragen zu diskutieren. In jeder Beziehung waren es drei inspirierende und bereichernde Tage, die die Gelegenheit boten, Wissen zu erweitern und vertiefen.

Weniger Antibiotika
Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu und stellen global ein großes Problem dar. So wurden in Österreich im Jahr 2022 in der Humanmedizin 55 Tonnen Antibiotika (AB) verbraucht, davon 64 % im ambulanten Bereich. Die unreflektierte Verordnung von AB zählt neben dem breiten Einsatz von AB in der Tierzucht zu den Haupttreibern der Resistenzentwicklung. Für die Pharmazeutin und Kinderärztin Univ.-Doz. DDr. Ulrike Kastner, Maria Enzersdorf, haben Phytos zweifelsfrei das Potenzial, den AB-Verbrauch zu reduzieren: „Phytos wirken multimodal antimikrobiell und antiviral und unterstützen vielseitig die körpereigene Abwehr. Sie zeigen multiple positive Effekte auf das Immunsystem und sind eine sichere Therapie, solange wir die Grenzen beachten.“ Die Expertin unterstrich die präventive Wirkung immunmodulierender Pflanzen wie Echinacea purpurea oder Pelargonium sidoides. Eine Vergleichsstudie von Echinacea (440 mg ethanol. Extrakt aus Frischpflanze) mit Vitamin C (20 mg Ascorbinsäure + 36 mg Calciumascorbat) bei Kindern zeigte nicht nur, dass Atemwegsinfektionen unter Echinacea signifikant seltener auftraten, sondern auch, dass die Kinder schneller wieder gesund wurden und sich die AB-Verschreibungen um bis zu 76 % reduzierten. 

Eingangstür © APOVERLAG
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Besucher der Herbsttage © APOVERLAG
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Herbstgespräche © APOVERLAG
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Synergistische Effekte
Die Effektivität von Efeu bei protrahiertem Husten konnte auch die Leitlinienautor:innen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie überzeugen, die Hederae helicis in die Leitlinie aufnahmen (S2k-Leitlinie). Die Wirkung entfalten Efeu ebenso wie Thymian u. a. über Beta-2-adrenerge Rezeptoren. Während Efeu die Rezeptoren hochreguliert, bindet Thymian an diese Rezeptoren. Daraus ergibt sich für die Kombination von Efeu und Thymian eine synergistische Wirkung auf Sekretolyse und Broncholyse. „Der gezielte Einsatz von Phytos kann zu Beginn und während des Verlaufs eines Infekts, aber auch in der Rekonvaleszenz die körpereigene Abwehr unterstützen und den AB-Verbrauch senken“, bestätigte die Kinderärztin aus ihrer praktischen Erfahrung.

Traditionelles Wissen
Volksmedizinische Anwendungen von traditionellen Heilmitteln werden oft nur mündlich weitergeben. Dadurch geht viel Wissen, das über Generationen hinweg etabliert wurde, verloren. Um dieses Wissen zu erhalten, initiierten die Universitätsprofessoren Dr. Wolfgang Kubelka und Dr. Johannes Saukel bereits in den 1980er-Jahren die VOLKSMED-Datenbank, wie Mag. pharm. Elisabeth Eichenauer, Dissertantin an der Abt. für Pharmakognosie, Univ. Wien, erklärte. Studierende befragten „Gewährspersonen“ wie Pharmazeut:innen, Ärzt:innen, Bauern und Bäuerinnen sowie Förster:innen und trugen die Informationen über Arzneimischungen und Monografien in die Datenbank ein. So kam ein erstaunlich umfangreicher Wissensschatz zustande: Der Monografie-Teil besteht aus über 43.000 Einträgen mit über 73.000 Nennungen über verschieden Pflanzengattungen sowie tierische, mineralische und sonstige Materialien.

Alles für die Frau
„Von Menstruationsbeschwerden bis zu den Wechseljahren bietet die Phytotherapie vielfältige Optionen, um Beschwerden zu lindern“, betonte Univ.-Prof. Dr. Karin Kraft aus Rostock, Deutschland. „Das prämenstruelle Syndrom (PMS) betrifft fast 50 % der gebärfähigen Frauen, dennoch existiert dazu keine Leitlinie“, kritisierte die Medizinerin. Bekanntlich eignen sich Extrakte aus den Mönchspfefferfrüchten sehr gut zur Behandlung des PMS. Die Wirksamkeit ist auch durch klinische Studien gut belegt. „Mindestens drei Monate soll das Phytotherapeutikum hierzu eingenommen werden“, empfahl Kraft. Als unerwünschte Wirkung können allergische Reaktionen wie Exanthem, Juckreiz und Akne auftreten.

“„Phytos wirken multimodal antimikrobiell und antiviral und unterstützen vielseitig die körpereigene Abwehr.““
Ulrike Kastner Univ.-Doz. DDr. Mag. pharm. 

Die antientzündliche Wirkung von Schafgarbenblüten eignet sich zur Therapie der Menstruationsstörungen: „Ein Tee aus Schafgarbenblüten, zwei- bis dreimal am Tag getrunken, reduziert hochsignifikant Schmerzen während der Menstruation“, bestätigte die Expertin. 
Eine weitere, auch in Studien dokumentierte Option sind Fenchelfrüchte. „Trotz des im Fenchel enthaltenden Estragols ist die kurzfristige Anwendung während der Menstruation unbedenklich“, zerstreute Kraft eventuelle Befürchtungen. Auch Hirtentäschelkraut kann in dieser Indikation v. a. in Kombination mit z. B. Schafgarbe, Majoran und Eichenrinde Linderung verschaffen. 

„Die lästigsten und häufigsten Beschwerden in der Peri- und Postmenopause sind die neurovegetativen Symptome wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Schlafstörungen. Hitzewallungen treten bei zwei Drittel aller postmenopausalen Frauen auf“, umriss Kraft die Belastungen in den Wechseljahren. Ihrem unermüdlichen Einsatz für die Phytotherapie ist es zu verdanken, dass über ein Sondervotum der Gesellschaft für Phytotherapie die Traubensilberkerze als alternative Therapieoption neben der hormonellen Behandlung und der nicht-pharmakologischen Interventionen wie der kognitiven Verhaltenstherapie Eingang in die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gefunden haben. Für die Praxis empfahl die Ärztin, besonders zu Beginn der Wechseljahre oder bei stärkeren Beschwerden hochdosiert mit 15 bis 20 mg Trockenextrakt aus Cimicifugawurzelstock plus Johanniskraut über einen Zeitraum von acht Wochen einzusteigen und dann die Dosis zu reduzieren. „Erste therapeutische Effekte zeigen sich nach zwei Wochen“, so Kraft. Sie zerstreute Bedenken hinsichtlich einer Gewichtszunahme unter Cimicifuga: „Daten aus mehreren Studien mit über 1.800 Frauen konnten keine Gewichtszunahme feststellen.“ Als Alternative zur Traubensilberkerze eignet sich auch ein Spezialextrakt aus der getrockneten Wurzel von Rhapontik-Rhabarber, der allerdings bei estrogenabhängigen Tumoren kontraindiziert ist. 

Artefizielle klimakterische Symptome
Bei Brustkrebspatientinnen mit hormonrezeptorpositivem Tumor kann die Therapie mit Tamoxifen oder Aromatasehemmern schwere klimakterische Symptome verursachen. „Viele Patientinnen brechen die onkologische Therapie wegen der Nebenwirkungen ab“, erklärte Kraft. Doch auch bei diesen Patientinnen kann mit Cimicifuga eine signifikante Verminderung der Nebenwirkungen erzielt werden, die ein Fortführen der Krebstherapie erlaubt. Das bestätigte auch die Internistin und Onkologin Dr. Susanne Roas aus Zürich, die in einem Zentrum für integrative Onkologie tätig ist. „Onko-Patientinnen haben oft Angst, dass durch Cimicifuga die Effektivität der Tamoxifentherapie verringert wird“, sprach Roas einen entscheidenden Punkt an und versicherte: „Das kann ausgeschlossen werden.“ Sie empfahl eine Anwendung von Cimicifuga für mindestens sechs Wochen bis zu sechs Monaten. Hitzewallungen und übermäßiges Schwitzen in Folge einer antihormonellen Therapie können auch mit hochdosierten Präparaten aus Salbeiblättern therapiert werden. „Interaktionen mit anderen Medikamenten sind auch in diesem Fall nicht bekannt“, so die Onkologin.

“„Ein Tee aus Schafgarbenblüten, zwei- bis dreimal am Tag getrunken, reduziert hochsignifikant Schmerzen während der Menstruation.““
Karin Kraft em. Univ.-Prof. Dr.

Supportive Therapien
Mit äußeren Anwendungen wie Wickel, Auflagen und Kompressen hat Roas gute Erfahrungen gemacht: „Unsere Krebspatient:innen profitieren massiv davon, sie bauen Stress ab und sind weniger müde, unruhig und verspannt.“ Sehr hilfreich ist ein Leberwickel mit Schafgarbe im palliativen und supportiven Setting. Herzwickel mit Lavendelöl lindern Nervosität, Angst und Unruhe. 
Mukositis ist eine der häufigsten Nebenwirkungen unter einer Chemo- und Radiotherapie und oft dosislimitierend. Zudem begünstigt sie Superinfektionen mit Bakterien, Pilzen und Viren. Sanddorn (Hippophae rhamnoides) bewährt sich in der Therapie der Mukositis, es fördert die Granulation und Epithelisierung der Mundschleimhaut. Das Öl aus dem Sanddornfruchtfleisch wirkt wundheilungsfördernd und deutlich lokal schmerzstillend. „Bei leichten Beschwerden reichen 3 bis 5 Tropfen des Öls mit etwas Wasser vermischt für Mundspülungen. Sind die Schmerzen stark, bringt 1 Teelöffel Fruchtfleischöl, gut eingespeichelt, Erleichterung.“

In der Therapie von Nausea und Erbrechen setzt die Onkologin vor allem auf Ingwer. Neben Ingwertee aus frisch geraffeltem Ingwer empfahl sie auch Ingwerwickel in Nierenhöhe. Capsicum-Pflaster, auf Akupunkturpunkte geklebt, wirken ebenfalls effektiv bei Übelkeit und Erbrechen.
Der Einfluss des Mikrobioms auf die onkologische Therapie wird aktuell vermehrt diskutiert. „Heute wissen wir, dass das intestinale Mikrobiom die systemische Immunreaktion moduliert. Das hat Auswirkungen auf die Autoimmunität und auf das Tumorwachstum.“ Möglicherweise ist ein intaktes Darm-Mikrobiom nötig, um auf Zytostatika oder Immuntherapien gut anzusprechen. Sicher ist, dass die Zytostatikatherapie oder die Bestrahlung die Darmschleimhaut schädigen können, die Darmbarriere vermindern und so die Zusammensetzung des Mikrobioms verändern.

Mikrokosmos Darm
Das Darm-Mikrobiom ist auch ein interessantes Target für Phytotherapeutika, ist Univ.-Prof. Dr. Rudolf Bauer, Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, Universität Graz, überzeugt. „Viele Wirkstoffe und Wirkmechanismen von Arzneipflanzen sind noch nicht bekannt. Dass sie einen Einfluss auf unsere Darm-Mikrobiota ausüben, ist sehr wahrscheinlich.“ 
Die nicht resorbierten Inhaltsstoffe von pflanzlichen Zubereitungen kommen mit der Darm-Mikrobiota in Kontakt und beeinflussen somit die Zusammensetzung der Darmflora. Durch die Metabolisierung der Pflanzeninhaltsstoffe können sich neue, potentiell bioverfügbare und bioaktive Metaboliten bilden: „Durch die Metabolisierung der Pflanzenextrakte durch die Darm-Mikrobiota werden neue Verbindungen gebildet, die pharmakologisch relevant sein können.“

“„Bei leichten Mukositis-Beschwerden reichen 3 bis 5 Tropfen Sanddornöl mit etwas Wasser vermischt für Mundspülungen.““
Susanne Roas Dr.

Forschungs-Plattform
In Graz wird mit der „Microbiome and Health Initiative Graz“ interdisziplinäre Mikrobiomforschung vorangetrieben. Es wurde eine experimentelle Plattform bereitgestellt, um sowohl die Wechselwirkungen von Pflanzenextrakten mit der Darm-Mikrobiota als auch die Metabolisierung im oberen Verdauungstrakt zu untersuchen. Am Weidenrindenextrakt konnte Bauer u. a. zeigen, dass bereits kleinste Mengen von 2 mg/ml Extrakt das Darm-Mikrobiom verändern. Damit ist klar: „Auch ein Tee beeinflusst das Mikrobiom!“ Bei der Analyse der durch die Darmbakterien metabolisierten Inhaltsstoffe des Extraktes zeigten sich große Veränderungen: „Nach 24 Stunden ist der Weidenrindenextrakt nicht wiederzuerkennen“, erläuterte Bauer die Forschungsergebnisse. Weitere Forschung soll die Wirkung der Metabolite aufschlüsseln.

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